Basketball:Alte Socke

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Steve Kerr war ein besonderer Profi und ist jetzt ein besonderer Coach. Mit den Golden State Warriors schreibt er eine immer bemerkenswertere Geschichte.

Von Jürgen Schmieder, Oakland/Los Angeles

Steve Kerr wirkt manchmal wie der Polizist bei einem Verkehrsunfall, der den Leuten versichert, dass es hier nichts zu sehen gibt. Der Trainer der Golden State Warriors reagiert auf Fragen nach seinem Anteil daran, dass seine Mannschaft gerade mit 73 Siegen in der regulären Saison den Rekord der Chicago Bulls aus der Spielzeit 1995/96 gebrochen hat und als Favorit in den soeben gestarteten Playoffs der nordamerikanischen Basketballliga NBA gilt, meistens mit einem Ach-komm-Abwinken und einem Satz wie dem hier: "Wir verdienen unser Geld mit Basketball. Man darf niemals vergessen, wie absurd das alles ist."

Kerr ist der Typ mit dem Spitzbuben-Lächeln, der stets so tut, als könne er überhaupt nicht fassen, was er da für ein Glück gehabt hat im Leben. Auch an diesem Montag winkte er ab, immer wieder, doch war es diesmal weniger Bescheidenheit als Beschützen seines Starspielers Stephen Curry. Die Warriors hatten ohne den verletzten Curry gegen die Houston Rockets gewonnen, sie führen vor der Partie am Donnerstag mit 2:0. Die Best-of-seven- Serie interessiert angesichts der grotesk schwachen Rockets kaum noch jemanden, die brennenden Fragen sind vielmehr: Wann wird Curry wieder spielen können? Wie schlimm ist die Verletzung? Und was hat er denn überhaupt?

Empfang für die Meister des Jahres 2015: Steve Kerr und sein Team am 4. Februar 2016 im Weißen Haus bei US-Präsident Barack Obama. (Foto: Pablo Martinez Monsivais/AP)

"Ganz ehrlich, ich weiß es auch nicht genau", sagte Kerr, nachdem die Physiotherapeuten erst von einer Verstauchung im Knöchel und dann von einer Zerrung im Fuß gesprochen hatten: "Irgendwas am hinteren Fuß, unter dem Sprunggelenk. Irgendwas da unten. Wir schauen mal, wie es ihm morgen geht und treffen dann eine Entscheidung für Donnerstag."

Kerr wollte keine Details verraten und betonte lediglich, keinesfalls die Gesundheit seines Spielers aufs Spiel setzen zu wollen: "Das haben andere Vereine in der Vergangenheit versucht und dafür bezahlt. Egal wie es in der Serie steht: Stephen wird nur spielen, wenn er gesund ist." Gehen Sie weiter, verehrtes Publikum, hier gibt es nichts zu sehen!

Der Umgang mit der Verletzung Currys gibt einen Einblick, wie diese Rekord-Warriors funktionieren. Bei den meisten Vereinen ist der prägende Akteur einflussreicher als der Trainer, bisweilen kann der Starspieler gar für dessen Entlassung sorgen - LeBron James etwa war bei den Cleveland Cavaliers nicht unbeteiligt daran, dass David Blatt während der Saison von Tyronn Lue ersetzt wurde. Curry ist der derzeit beste Spieler der Liga, es könnte zum ersten Mal in der NBA-Geschichte passieren, dass einer einstimmig zum wertvollsten Akteur der Saison gewählt wird. Curry hätte nach seiner Verletzung gerne weiter gespielt. Er forderte seine Einwechslung jedoch nicht laut und gestenreich, sondern bat Assistenztrainer Luke Walton vorsichtig, doch bitte bei Kerr vorzusprechen. Der jedoch winkte ab.

Kerr, 50, war vor 20 Jahren als Spieler ein Mitglied der Rekord-Bulls. Die hatten Michael Jordan, Scottie Pippen, Dennis Rodman. Hin und wieder kam ein schmächtiger Kerl mit blonden Haaren aufs Spielfeld und warf ein paar Dreier. Gerne warf er auch mal den entscheidenden Wurf wie im sechsten Spiel der Finalserie 1997. Ein Jahr später, nach drei Titeln, wechselte Kerr zu den San Antonio Spurs. Dort gab es die so genannten "Twin Towers" David Robinson und Tim Duncan, Avery Johnson und Sean Elliott. Hin und wieder kam ein schmächtiger Kerl mit blonden Haaren aufs Feld und warf ein paar Dreier. Gerne auch mal bedeutende wie die im sechsten Spiel der Western Conference Finals 2003 auf dem Weg zur Meisterschaft.

Kerr absolvierte 910 Partien in seiner Karriere, bei nur 30 davon stand er von Beginn an auf dem Feld. Er gewann jedoch fünf Titel und schaffte die beste Drei-Punkte-Quote (45,4%) in der Liga-Geschichte. Er war effizient, erfolgreich, dabei jedoch stets zurückhaltend. Diese Eigenschaften vermittelt er seinen Spielern seit zwei Jahren, gesteht ihnen aber auch Eigenheiten zu. Curry darf ungestraft aus elf Metern werfen, der furchtlose Verteidiger Draymond Greene darf sich eine verrückte Rodman-Aktion erlauben. Alles in Ordnung, so lange keiner das Ziel vergisst: nach der Rekord-Saison auch den Titel zu holen.

Dafür nordet Kerr seine Akteure bisweilen ein; nicht mit markigen Worten, sondern mit kleinen Gemeinheiten im Training. Kürzlich forderte er Curry zu einem Wurfwettbewerb heraus - und gewann. Auf den T-Shirts der Warriors steht "Strength in Number", was sich mit "Nur als Gruppe stark" übersetzen lässt. Natürlich ist das eine Binsenweisheit, die jedoch viele NBA-Vereine noch immer nicht beherzigen und im Sommer wieder Hunderte von Millionen Dollar auf diesen einen Wunschspieler werden regnen lassen, anstatt einen ausgewogenen Kader mit Ersatzspielern zu basteln, die auch mal Verantwortung übernehmen. Wie Shaun Livingston am Montag. Wie Kerr damals bei den Bulls und den Spurs.

Kerr winkt ab, wenn er seinen Einfluss erklären soll. "Ich habe einfach nur Glück", sagt er: "Diese Mannschaft kann jeder trainieren, die wahre Arbeit machen doch ohnehin die Assistenten." Kerr gibt den fröhlichen Typen, der stets die anderen lobt - doch wenn er sagt, dass sich Curry hinsetzen soll, dann setzt Curry sich hin. Er kann durchaus auch austeilen, auf ironische Art freilich. Sein ehemaliger Kollege Scottie Pippen hat kürzlich gesagt, dass die Bulls von damals die Warriors von heute aus der Halle fegen würden. Also trug Kerr beim Rekordspiel in der vergangenen Woche: Scottie-Pippen-Socken.

© SZ vom 21.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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