Ausverkauf bei Anschi Machatschkala:Abschied von der Dachterrasse

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Samuel Eto'o (links) im Spiel gegen Hannover 96 (Foto: Bongarts/Getty Images)

Der russische Fußballverein Anschi Machatschkala will plötzlich kein Oligarchen-Projekt mehr sein und das Gehaltsgefüge kräftig reduzieren. Die prominenten Spieler werden abgegeben - auch Samuel Eto'o zieht dem Vernehmen nach aus seiner 1000 Quadratmeter großen Wohnung aus.

Von Johannes Aumüller

Samuel Eto'o hatte es sich in seinem Leben so gemütlich eingerichtet. Der 32 Jahre alte Angreifer aus Kamerun residierte in einem exquisiten Moskauer Dachterrassen-Apartment mit 1000 Quadratmetern Wohnfläche und eigenem Koch; er kassierte ein kolportiertes Jahresgehalt von 20 Millionen jährlich; und er war der prominenteste Spieler des Klubs Anschi Machatschkala - eines ebenso millionenschweren wie umstrittenen Oligarchen-Projektes aus dem fernen Dagestan, das in den vergangenen zweieinhalb Jahren nicht nur die russische, sondern zunehmend auch die mitteleuropäische Fußballszene irritiert verfolgte.

Doch nun ist Eto'os gemütliches Leben vorbei. Am Dienstag hat er sich dem Vernehmen nach mit Sulejman Kerimow auf eine Vertragsauflösung geeinigt; ohne finanzielle Kompensation darf er den Verein nun verlassen. Denn das Oligarchen-Projekt ist plötzlich kein Oligarchen-Projekt mehr.

Der Geschäftsmann Sulejman Kerimow ist zwar weiterhin der Besitzer, aber der Klub will das Gehaltsgefüge kräftig reduzieren und stattdessen auf junge Spieler setzen. Offiziell ist der Grund das unbefriedigende sportliche Auftreten der Mannschaft - das so schlecht gewesen sei, dass es Kerimows Gesundheit angegriffen habe, wie Aufsichtsratschef Konstantin Remtschukow berichtete.

545 Millionen Dollar an einem Tag verloren

Auf der Suche nach einer Erklärung schadet aber auch nicht der Blick auf die Entwicklungen beim Düngemittelhersteller Uralkali, wo Kerimow einer der Haupteigentürmer ist. Nach Angaben der Zeitung Iswestija verlor er an einem einzigen Tag im August 545 Millionen Dollar - so viele zahlte er nicht einmal Eto'o & Co an Gehältern.

Unabhängig vom konkreten Grund zeigt dieser Vorgang aber bestens, wie gefährlich es ist, sich von einem reichen Geschäftsmann abhängig zu machen. Viele Klubs in Osteuropa befinden sich in der Hand von Oligarchen, doch wirklich verlässlich und kontinuierlich arbeiten nur wenige. Im Januar 2011 war Kerimow bei Anschi eingestiegen, ein Mittvierziger, selbstverständlich bestens verdrahtet mit dem Kreml, reich geworden mit der Investmentfirma Nafta Moskau und gar nicht so verbissen russisch, sondern durchaus mal leger im Stadion. Sein Vermögen schwankte laut Forbes-Liste stets zwischen ein paar Milliarden Dollar und ein paar Milliarden Dollar mehr, aber regelmäßig war er unter den 20 reichsten Männern des Landes zu finden.

Als er Machatschkala übernahm, verpflichtete er Guus Hiddink als Trainer, holte namhafte Profis wie Eto'o oder zuletzt den Brasilianer Willian und ließ eine neue Arena hochziehen. Zugleich stand hinter seinem Einstieg auch ein politisches Kalkül. Machatschkala ist die Hauptstadt der kaukasischen Unruheregion Dagestan, in der es immer wieder zu Anschlägen und Toten kommt. Mit einem erfolgreichen Fußballprojekt, so die Hoffnung, ließe sich vielleicht das Image etwas schönen - auch wenn das Team die Woche über in Moskau wohnte und nur zu den Heimspielen nach Machatschkala flog.

"Dieses Projekt wird noch genialer"

Die Investitionen machten sich auch durchaus bemerkbar. Im ersten Jahr Achter, danach schon Dritter, dazu der Einzug ins Pokalfinale und - unter anderem nach einem Sieg gegen Hannover 96 - die Achtelfinal-Teilnahme in der Europa League. Bei den üblichen Umfragen im Sommer nannte fast jeder drei Kandidaten für den Meistertitel: ZSKA Moskau, Zenit St. Petersburg - und Anschi Machatschkala.

Dieser Status ist fürs Erste dahin. Der niederländische Coach Hiddink ist schon seit Anfang der Saison weg, nach einer Übergangsphase übernimmt nun Gadschi Gadschijew, der früher schon einmal Anschi trainierte; aus dieser Zeit kursiert die Geschichte, wie er einmal in der Halbzeitpause mit einigen starken Männern an seiner Seite die Kabinentür des Schiedsrichters eintrat - und sich danach über genehmere Pfiffe freute.

Dass sich Eto'o sowie die mutmaßlich ebenfalls scheidenden Spitzenkräfte Willian, Lassana Diarra oder Igor Denissow durch junge Spieler aus der Region ersetzen lassen, glaubt niemand. Verzückt ist gerade lediglich Ramasan Abdulatipow, der Interimspräsident der Region Dagestan: "Dieses Projekt wird noch genialer, wenn es näher an Dagestan heranrückt."

© SZ vom 14.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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