Abraham-Sieg in der Rundenkritik:Einladung zum Vermöbeln

Lesezeit: 6 min

  • Arthur Abraham hat gegen Robert Stieglitz seinen WBO-Titel verteidigt.
  • Der Profiboxer gewann in Halle/Westfalen durch technischen K.o. in der sechsten Runde und bleibt damit Weltmeister im Supermittelgewicht.
  • Abrahams Trainer Ulli Wegner hatte sich für den Kampf eine besondere Motivation ausgedacht.

Von Saskia Aleythe, Halle/Westfalen

Manchmal ist Boxen wie Kunstturnen: Es gibt Pflichtteile, die manchem Sportler eher lästig sind, und es gibt Kurstücke, die den Spaß bringen. Arthur Abraham musste in Halle/Westfalen eine lästige Aufgabe bewältigen: Zum vierten Mal gegen Robert Stieglitz antreten, in nur drei Jahren. Der "Final Showdown" wurde dann aber doch noch Spaß für ihn: Er besiegte Stieglitz in der sechsten Runde durch technischen K.o..

Vor dem Kampf

Arthur Abraham nennt seinen Trainer "Herr Wegner". Ulli Wegner nennt seinen Boxer "Arthur", manchmal auch nur den "Jungen". Zwölf Jahre arbeiten die beiden nun schon miteinander, der Kämpfer 35 Jahre alt, der Ausbilder 73. Und weil dem Herrn Wegner der Arthur manchmal so schelmisch vorkommt wie Michel aus Lönneberga - allzu leicht lässt er sich vom Wesentlichen ablenken - hat er sich für den Kampf gegen Robert Stieglitz eine emotional recht fiese Motivation ausgedacht. "Wenn er verliert, beende ich die Zusammenarbeit", ließ Wegner verkünden. Arthur ohne den Krächzer vom Dienst? Da wird das Boxerherz gleich ganz weich.

Leichtgemacht wurde es Wegner aber auch nicht, auf das vierte Duell gegen Stieglitz hatte der gebürtige Armenier Abraham eigentlich gar keine Lust mehr. Und wenn er keine Lust hat, wird es vor allem für Wegner kompliziert. Welche Herausforderung es sei, Abraham in Top-Form zu bringen? "Ein teils unmenschliches Unterfangen", sagte Wegner jüngst der Welt. Es ist ein Spiel zwischen den beiden, in Wahrheit ist eine Trennung von Arthuli (Wegbraham? Abrawegner?) kaum vorstellbar.

Stieglitz ist Pflichtherausforderer in der Rangliste der WBO, nach dem letzten Kampf im März 2014 steht es 2:1 für Abraham. "Einen fünften Kampf wird es nicht geben", sagt Abraham, es solle ein für alle mal geklärt werden, wer der Sieger dieses Duells sei. Abraham will die Aufgabe Stieglitz möglichst reibungsfrei lösen und dann wieder einen attraktiven Gegner vor die Fäuste bekommen. Und das ist eben das Problem für Wegner und die Chance für Stieglitz: Ist der Arthur nicht heiß auf den Kampf, könnte er tatsächlich in Schwierigkeiten geraten.

Gegenüberstellung der Boxer

Vermutlich gibt es kaum einen Boxer, den Abraham so gut analysiert hat wie Stieglitz, und höchstwahrscheinlich ist das umgedreht genauso. Perfekte Grundlage also, um mal ordentlich die eigene Taktik umzustellen und den Gegner damit schön zu verwirren. Stieglitz-Trainer Dirk Dzemski kündigte jedenfalls eine Überraschung an, auch Abraham will eine neue Seite zeigen. Ob Abraham nun kämpft wie Stieglitz und umgekehrt?

Abraham konnte vor allem beim letzten Kampf gegen den Engländer Paul Smith im Februar überzeugen, er feierte einen einstimmigen Punktsieg, der sogar seinen Trainer milde stimmte. Sein letzter K.o. ist allerdings schon fast drei Jahre her, ein vorzeitiges Ende ist auch dieses Mal nicht zu erwarten. Mit 1,75 Meter ist Abraham zwar fünf Zentimeter kleiner als sein Kontrahent - doch beim Einwiegen präsentierte er sich so fit wie schon lange nicht mehr. "Arthur kann alles besser als Stieglitz", sagt Wegner wohl nicht ohne Grund.

Dass Stieglitz trotz mangelnder technischer Fähigkeiten ein zähes Kerlchen ist, weiß Abraham aber trotzdem. Und der Magdeburger hat viel zu verlieren: Gut möglich, dass an diesem Abend seine Karriere endet. Namhaftere Gegner als Abraham hat er bei einer Niederlage nicht mehr zu erwarten.

Boxer Artur Abraham
:Duell mit inszeniertem Donnerhall

Arthur Abraham steigt gegen Robert Stieglitz in den Ring - schon wieder. Dennoch bauschen die Vermarkter den Kampf zum "Final Showdown" auf.

Von Saskia Aleythe

Neben dem Ring

Manche Boxevents scheinen nur für das Wohlbefinden von Axel Schulz ins Leben gerufen worden zu sein: Als Box-Experte von Sat1 ist er meistens der größte Promi am Ring. Er ist natürlich von Berufs wegen dabei, die Konkurrenz am heutigen Abend: Die Kampfkollegen Jürgen Brähmer und Marco Huck, im Publikum wurde Moderatorin Miriam Pielhau gesichtet. Alles sah wieder nach einem Punktsieg für Schulz aus, da tauchten auf einmal Einspieler mit Lewis Holtby und René Adler auf, gedreht vor dem Stadion. Schulz war diesmal nicht der größte Promi am Ring. Er moderierte trotzdem besonnen durch den Abend.

Einmarsch der Boxer

Als Herausforderer hat Stieglitz die Ehre, als erstes in die Halle zu marschieren. Es gibt grelles Lichtgeflacker, das nur für gesunde Gesellen unbedenklich ist, dann öffnet sich die Videowand in der Hälfte und der Magdeburger schreitet hindurch. Die Halle ist durchaus bei ihm, Magdeburg sei ja auch viel näher an Halle dran als Berlin, das wurde in der Kampflektüre ausführlich erklärt. Sein Outfit ist unaufgeregt: Stieglitz trägt ein schwarzes T-Shirt, rote Ringhose, fertig.

Dann ist Zeit für King Arthur: Er absolviert den gleichen Weg wie sein Gegner, an seiner Seite natürlich Herr Wegner. Kool Savas liefert mit "Limit" den Einmarschsong, Abraham wandert im schwarzen glänzenden Mantel zum Ring, zeigt dabei ein bisschen Schattenboxen und schnaubt bedrohlich ein und aus. Fix geht es mit der deutschen Nationalhymne weiter, dann ist es "time for Rock'n'Rll", wie Ringsprecher Russ Bray verkündet.

Vorstellung der Boxer durch den Ringsprecher

Herr Bray aus England macht nochmal deutlich, wer hier heute kämpft, wobei das eigentlich mittlerweile wirklich jedem klar sein sollte. Stieglitz bekommt Applaus, doch dann ist Rock'n'Roll eher für Abraham angesagt. "Arthur"-Rufe schrillen durch die Halle. Magdeburg ist plötzlich doch wieder weiter weg als Berlin.

Runde 1

Bandenwerbung kann im Boxen eine gewisse Komik mitbringen, die beiden Sportler können sich heute vor Hundefutter verprügeln, wahlweise in der Ecke daneben vor KFZ-Ersatzteilen. Als der Kampf eröffnet wird, geht es erstmal weg vom Tierfutter, Stieglitz und Abraham liefern sich einen durchaus munteren Start. Stieglitz schwingt zweimal über Abrahams Kopf hinweg, doch auch er kann sich gut ducken.

Runde 2

Stieglitz wird für Abraham ein bisschen wie ein Punchingball, der immer zurückkommt. Ein bisschen stubsen mit der Linken, dann zwei Schwinger - doch Abraham kann das kaum aus der Ruhe bringen. Stattdessen setzt Abraham seine Linke gewinnbringend ein, Stieglitz gerät ins Taumeln und wird wütend.

Runde 3

Ulli Wegner schafft es kaum pünktlich aus dem Ring, mit 73 Jahren geht es eben nicht mehr so flink. Abraham erwischt Stieglitz am Kopf. Der Magdeburger wirkt weiter angefressen und drängt Abraham in die Ecke, die Schläge sind allerdings recht harmlos. Abraham wirkt überlegter, seine Deckung ist wach, die Angriffe punktuiert.

Runde 4

Abraham will nun die Initiative übernehmen, den Punktrichtern wird das gefallen. Ganz sauber geht es dabei nicht zu, einen rechten Haken setzt er Stieglitz an den Hinterkopf und wird verwarnt. Dann fällt Stieglitz plötzlich rücklings auf den Ringboden, nach Niederschlag sah das allerdings weniger aus als nach Ausrutschen.

Runde 5

Nun muss auch Abraham leiden: Stieglitz drängt ihn in die Seile und versetzt ihm einen schmerzlichen Treffer. Danach zeigt er animalische Züge und drückt den Armenier fast über die Seile. Immer wieder springt er in Abraham rein, allerdings recht ungestüm. Abrahams lockerer Zahn blutet zwar schon seit der zweiten Runde, doch er ist immer noch flink auf den Beinen. Zum Ende taumelt er das erste Mal - doch dann kommt der Gong.

Runde 6

Wenn Arthur einmal losstürmt, hat Stieglitz keine Chance: Seine Deckung wäre als Schweizer Käse Weltklasse, im Boxen ist sie allerdings eine Einladung zum Vermöbeln. Abraham packt ein paar gezielte Rechts-Links-Kombinationen auf, einmal, zweimal, dreimal, dann kippt Stieglitz nach vorne auf den Ringboden und fuchtelt noch ein bisschen mit den Armen durch die Luft. Der Ringrichter zählt ihn an, will den Kampf schon wieder freigeben - doch in der Stieglitz-Ecke hängt das weiße Handtuch in der Luft. Abraham behält seinen WM-Titel der WBO.

Nach dem Kampf

Abraham springt auf die Seile, Herr Wegner tapst gerührt durch den Ring - einen K.o. hatte wohl selbst er nicht auf dem Plan - oder er ist wirklich einfach happy, dass es mit dem Arthur noch ein bisschen weiter geht. Stieglitz schüttelt immer wieder mit dem Kopf und scheint mit sich selbst nicht zufrieden zu sein. "In der zweiten Runde hat er meinen Zahn erwischt, deshalb habe ich viel geblutet und kann nicht gut reden", sagt Abraham. Ohne seinen Trainer brauche er nicht auftreten, sagt Abraham. Dann darf Ulli reden. "Ich glaube, ich gehe ihm manchmal aufn Wecker", die Stimme wird ein bisschen brüchig. "Manchmal geht er mir auch zu viel auf den Wecker", ergänzt Abraham. Auch Stieglitz tritt noch ans Mikrofon. "Ich muss auf seine Rechte aufpassen, das habe ich nicht hinbekommen", sagt er.

Fazit

3:1 für Abraham - der "Final Showdown" sollte die Vorstellung in Halle tatsächlich gewesen sein. Von Motivationsproblemen war bei Abraham nichts zu sehen, stattdessen vor allem eine bemerkenswerte Deckung, die ihn in eine gute Ausgangsposition für attraktive Gegner gebracht haben sollte. Stieglitz war zwar ordentlich energiegeladen, doch so richtig durchdacht wirkte sein neuer Stil noch nicht. Am wichtigsten am heutigen Abend: Das Traumpaar Arthulli hat eine gemeinsame Zukunft.

© SZ vom 19.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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