0:2 gegen Frankreich:Deutsche Niederlage rückt in den Hintergrund

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Im Zweikampf: Frankreichs Raphael Varane und Bastian Schweinsteiger (rechts) (Foto: AP)

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft verliert das Testspiel gegen Frankreich. Doch das Ergebnis gerät wegen tragischer Ereignisse zur Nebensache.

Von Claudio Catuogno, Paris

Es ging nach diesem Länderspiel nicht darum, welche Mannschaft mit hängenden Köpfen den Platz verlässt und welche jubelt. Dieses Länderspiel produzierte am Ende andere Bilder, es waren Bilder, die mit Sport nichts zu tun hatten und das EM-Gastgeberland Frankreich noch lange beschäftigen werden. Irritierte und verängstigte Zuschauer rannten nach dem Schlusspfiff auf den Rasen, sie setzten sich aufs Grün und standen wieder auf, sie blieben im Innenraum, bis sie irgendwann vor Mitternacht von den Sicherheitskräften zu ausgewählten Ausgängen begleitet wurden. Zu diesem Zeitpunkt war das Handynetz über dem Stade de France schon zusammengebrochen, aber direkt nach Spielschluss hatten die Menschen über ihre Smartphones schon erfahren, dass sich die Innenstadt im Ausnahmezustand befand ( siehe Seite 1). Sie hatten von Schießereien und Toten gehört und gelesen, Gerüchte, halbe und ganze Wahrheiten überschlugen sich. Spätestens da war den Zuschauern klar, dass es keine Fußballböller gewesen waren, die sie in der ersten Hälfte hinterm Stadion knallen gehört hatten.

Zu notieren gab es am Ende auch noch ein 0:2 der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Paris, in jenem Stadion, in dem am 10. Juli 2016 das EM-Finale steigt; ein bisschen Finalluft wollten die Deutschen schnuppern und sich nebenher ein paar sportliche Experimente leisten. Das taten sie im Übrigen auch, und an einem normalen Abend hätte es genügend Stoff gegeben, diese Experimente ausgiebig zu besprechen. An diesem schwarzen Abend aber verweigerte der Bundestrainer die Aussage: "Für mich treten der Sport, das Spiel und die Gegentore heute völlig in den Hintergrund", sagte Löw nach dem Spiel, "darüber gibt es heute nichts zu sagen."

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:Die Entwicklungen zum Nachlesen

+++ Augenzeugen: Täter schossen minutenlang in Konzertsaal um sich +++ Viele Tote auch bei Angriffen auf Lokale +++ Hollande verhängt Ausnahmezustand +++

Manager Bierhoff registriert bei den Spielern "große Unsicherheit und große Angst"

Als er es während des Spiels zweimal knallen hörte, hatte sich Löw laut eigener Aussage "natürlich an die Bombendrohung erinnert", die es am Morgen im deutschen Teamhotel gegeben hatte: "Wir alle auf der Bank haben daran gedacht, weil wir heute Mittag ja schon in Schrecken versetzt wurden." Auf seiner Trainerbank bekam er aber nicht mit, wie sich plötzlich die Ehrenloge leerte. Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande hatte das Stadion schon zur Halbzeit verlassen und einen Krisenstab einberufen.

Es muss eine seltsam bedrückende Atmosphäre gewesen sein, die die deutschen Nationalspieler vorfanden, als sie nach dem Spiel in ihre Kabine kamen. Sie hatten auf dem Rasen maximal eine Ahnung davon, dass an diesem Abend etwas anders war als sonst, aber sie konnten es noch nicht verstehen, weil das Fußballpublikum natürlich immer noch ein Fußballpublikum war, das bei guten Aktionen klatschte und bei schwachen aufstöhnte. Erst in der Kabine erfuhren die Spieler von den erschütternden Ereignissen dieses Abends. "Wir haben die Spieler sofort informiert", sagte Manager Oliver Bierhoff, der bei den Profis "eine große Unsicherheit und große Angst" registrierte. "Man hat gemerkt, wie geschockt die Spieler sind. Sie haben sofort nach ihren Telefonen gegriffen, um sich zu informieren oder zu Hause anzurufen", sagte Bierhoff.

In der Nacht war noch unklar, ob und wie der DFB seine Pläne ändern würde. Ursprünglich wollte Löw seinen Spielern noch einen freien Samstag in Paris gönnen, um dann erst am Sonntag nach Hannover zu fliegen, wo am Dienstag das nächste Testspiel gegen die Niederlande ansteht. "Wir müssen das jetzt alles neu beraten", sagte Bierhoff gegen Mitternacht. Dennoch wird Löw irgendwann in den nächsten Tagen auch wieder seiner Aufgabe als Bundestrainer nachkommen müssen, er wird irgendwann bewerten müssen, was ihm in diesem traurigen Fußballspiel aufgefallen ist - und was er mit seiner Mannschaft verbessern muss, wenn sie am 10. Juli 2016 zum EM-Finale alle noch mal wiederkommen wollen. Die 0:2-Niederlage nach Toren von Giroud und Gignac entsprach durchaus diesem umkämpften Spiel, in das die Deutschen allerdings ohne mehrere Stammspieler gestartet waren. Dafür gab es immerhin das Comeback von Mario Gomez zu sehen, und wahrscheinlich wird Löw bei seiner Analyse zu dem Urteil kommen, dass er seinem Rückkehrer keinen großen Gefallen getan hat mit der Berufung in die Startelf. Denn zusammen mit der einsamen Sturmspitze Gomez schickte er eine Formation auf den Platz, die Löws Vorsatz, die Partie zum "Probieren und Testen" zu nutzen, ziemlich radikal auf die Spitze trieb. Mesut Özil und Toni Kroos hatte Löw von vornherein frei gegeben, Mario Götze und Marco Reus fehlten verletzt, und so wartete Mario Gomez weitgehend vergeblich auf Pässe in die Spitze. Mit gemischtem Pro-und-Kontra wird Löw demnächst wohl auch die Dreier-Abwehrkette Rüdiger/Boateng/Hummels bewerten, die er überraschend spielen ließ, ebenso das kurze Debüt des 19 Jahre alten Leroy Sané. An diesem schwarzen Abend aber stand ihm der Sinn nicht nach Analysen.

© SZ vom 14.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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