Sprachlabor (172):Ein hässliches Wort

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger ist durchaus für Gebräuche.

Die Startseiten der Suchmaschinenanbieter: Yahoo, Bing und Google. (Foto: dpa)

IN EINEM LEITARTIKEL fand Leser C. unlängst viermal das Wort "Konsens": zweimal ohne schmückende Beiwörter, einmal als "alten Konsens" und einmal als "zuweilen erstaunlich breiten Konsens". Herr C. schloss daran die Frage, ob dieser (seiner Ansicht nach meist entbehrliche) Begriff

in den Medien nicht überhaupt zu häufig vorkomme und ob es sich mit dem "ähnlich hässlichen Wort Kontext" nicht ebenso verhalte. Den Vorwurf der Hässlichkeit klammern wir gleich mal aus, da es bei der Bewertung dessen, ob ein Wort schön oder hässlich ist, meist auf den - mit Verlaub - Kontext ankommt. Wir haben eine kleine Statistik erarbeitet. Demnach kommt Konsens in den uns zugänglichen Medien vom 1. Januar bis zum 13. Oktober 2012 auf 8146 Treffer, davon 1424 in der SZ, wohingegen es Kontext auf 6421 Treffer (SZ: 1126) brachte. Ist das bei Millionen und Abermillionen geschriebener Wörtern zu viel? Zu wenig? Lassen wir es offen. Dass aber vier Konsense in einem einzigen Leitartikel zu viel sind, darüber dürfte ein Konsens herrschen, wie er breiter kaum denkbar ist.

WENN IN THOMAS MANNS "Doktor Faustus" der Erzähler Serenus Zeitblom seinem Freund Adrian Leverkühn sagt, dass er zu heiraten gedenke, dispensiert er ihn schon im voraus "von der Teilnahme an den ,Tänzen und Bräuchen'" des Hochzeitsfestes, was den dämonischen Tonsetzer sichtlich erleichtert. In keiner Weise erleichtert war unser Leser K., nachdem er bei uns gelesen hatte, dass auf dem Stuttgarter Wasen ähnliche "Sitten und Gebräuche" herrschten wie hier auf der Wiesn. Herr K. plädiert für Bräuche (von Brauchtum hergeleitet), doch wie es aussieht, sind auch die Gebräuche durchaus gebräuchlich, wenn auch deutlich weniger häufig. Herder etwa schreibt in seinen "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit", dass kein Menschenfresser seine Brüder und Kinder fresse, sondern dass ihm der "unmenschliche Gebrauch", Menschen zu verzehren, ein Kriegsrecht sei.

"UND SCHNITT!", wie sie beim Film sagen, denn was Leserin B. auf der Seele liegt, hat mit den Bräuchen alias Gebräuchen nichts zu tun. Sie stößt sich an dem Satz, wonach manche Leute fänden, in unserer stets komplexer werdenden Welt "könne man keinen Metzger in der Staatskanzlei gebrauchen". Wozu, fragt sie mit bitterem Hohn, hätte man einen Metzger dort auch "benutzen" wollen? Sie fordert zu strikterer Unterscheidung von gebrauchen und brauchen auf, doch haben davor schon die Macher des Grimmschen Wörterbuches die Waffen gestreckt, weil "beide im Sprachgefühl jetzt und weit rückwärts im wesentlichen zusammenfallen". Wenn Frau B. nun freilich einwendet, dass etwas, das "weit rückwärts" gilt, deswegen nicht auch "weit vorwärts" gelten muss, so sei ihr nicht länger widersprochen.

© SZ vom 27./28.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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