Mein Deutschland:Stinkefinger? Ach was!

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Ein goldener Gartenzwerg zeigt in Bamberg (Bayern) lächelnd seinen Mittelfinger. (Foto: dpa)

Der Mittelfinger als "Markenzeichen".

Eine Kolumne von Giovanni Maria Del Re

Am Sonntag ist der große Tag, auf den ganz Europa wartet: Deutschland wählt, und die Nachbarn sind sehr gespannt, die Endergebnisse zu erfahren. Umso erstaunlicher ist es, dass im deutschen Wahlkampf Pathos und Drama Mangelware waren. Der Begriff "Langeweile" fand sich oft in den Kommentaren der italienischen Zeitungen. Umso erfreulicher war Peer Steinbrücks Stinkefinger auf der Titelseite des SZ-Magazins . Endlich etwas Lustiges, worüber man berichten kann.

Manche italienische Kommentatoren fanden die ganze Fotoserie positiv: Endlich erlaubt sich der eher hölzerne, den Deutschen-Klischees entsprechend steife Steinbrück solche spaßvollen Grimassen. Vielleicht ändern sich die Deutschen, vielleicht werden sie lockerer und humorvoller? Und dann das: In Deutschland verbreitet sich Empörung. Das ist für uns völlig unverständlich, umso mehr, als in Italien (aber auch in Ländern wie Frankreich oder Polen) Gesten und Grimassen der Politiker keine Seltenheit sind. Wir haben schon viel "Schlimmeres" erlebt. Das sage ich, ohne die verschiedenen Politiker beider Länder in irgendeiner Weise vergleichen zu wollen.

Der Stinkefinger war zum Beispiel das "Markenzeichen" von Lega-Nord-Gründer Umberto Bossi. Der Ex-Komiker Beppe Grillo hat sogar etliche "Vaffa-Days" ("Du-kannst-mich-mal-Tage") auf den italienischen Plätzen veranstaltet. Unvergesslich (und in Wahrheit doch ein bisschen peinlich) ist das Gruppenfoto der Staats- und Regierungschefs der EU beim Gipfel von Cáceres 2002, als Silvio Berlusconi die typisch italienische Hörner-Geste mit gestrecktem Zeige- und kleinem Finger hinter dem Kopf eines "Kollegen" machte. Angela Merkel hat auch sicher nicht vergessen, wie sich der Cavaliere 2008 in Triest zum Spaß hinter einer Säule versteckte und dann "Kuckuck!" rief. Die Deutschen ticken eben anders und schaffen es, auch aus Nebensächlichkeiten etwas äußerst Ernstes zu machen, anstatt darüber zu lachen. Diese manchmal übertriebene Ernsthaftigkeit ist vielleicht die Kehrseite der Seriosität, die eine große Stärke der Deutschen ist. Ein bisschen mehr Leichtigkeit, auch unter Politikern und Wählern, würde nicht schaden - ohne natürlich die italienischen "Exzesse" zu kopieren.

Giovanni Maria Del Re ist Brüssel-Korrespondent der italienischen Tageszeitung Avvenire.

© SZ vom 21./22.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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