Mein Deutschland:Kartoffeln an einer Prise Spießigkeit

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Ein wichtiges Nahrungsmittel für Deutsche und Polen.

Agnieszka Kowaluk

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat 2008 zum Internationalen Jahr der Kartoffel erklärt. (Foto: AP)

Am Jahrestag des Mauerfalls und zwei Tage vor dem polnischen Nationalfeiertag aßen meine deutsche Freundin und ich feierlich Ofenkartoffeln und tranken dazu polnisches Bier. Kein Salat, kein Schnickschnack - purer Geschmack. Im aktuellen Lieblingsfilm meiner Tochter "Türkisch für Anfänger" indessen schnauzt der türkische Protagonist seine vermeintlich arrogante Sitznachbarin beleidigend an: "Deine Kartoffelmutter!" Nun, das bin ich auch. Und was, bitte, soll hier beleidigend sein?

Dass Deutsche und Polen gerne Kartoffeln essen, wurde sogar in der Weltliteratur verewigt: Wer erinnert sich nicht an die großartige Anfangszene aus der Blechtrommel, in der die kaschubische Großmutter von Oskar Matzerath auf dem herbstlichen Acker ihre Körperwärme mittels eines im Kartoffelfeuer gewärmten Ziegelsteins bewahrt, den sie unter ihrem Rock hält, wo auch Joseph Koljaicek ein Versteck findet.

"Wie deutsch du doch bist!" rief vor Jahren meine mazedonische Mitbewohnerin, als ich das Gesicht gierig der Märzsonne entgegenhielt. Klar, die Südländer kennen nicht diesen Drang, Sonne zu speichern, wenn sie gerade mal kurz sichtbar ist. Ich bin "deutsch", nicht weil ich schon länger in Deutschland lebe oder mich anpassen möchte, sondern ich lebe in Deutschland, weil es so gut passt. Weil es hier wie zu Hause Jahreszeiten und Kartoffeln gibt. Und weil ich die deutsche Pünktlichkeit und den deutschen Ordnungssinn nicht als spießig empfinde, sondern als wohltuend.

Die einzige Kleinigkeit, die meine Deutschlandliebe gelegentlich verwirrt, ist die zunehmende und unerklärliche Abneigung der Deutschen gegen jegliche Spießigkeit, die sich mal in ihrer "südländischen" Lockerheit offenbart (Abendessen in der mitteleuropäischen Dunkelheit um 21 Uhr, wenn die Gäste vor Hunger keine Kraft mehr zum Essen haben!), mal in der Unpünktlichkeit (der ICEs, von nicht pünktlich fertig werdenden Flughäfen ganz zu schweigen) und ein andermal in einer gewissen Ungezwungenheit (unbekümmertes Türenknallen in Clawdia-Chauchat-Manier). Diese Unspießigkeit fördert meine eigene Spießigkeit zu Tage und erschüttert meine Weltsicht und mein ausländisches Brav-Sein. Ja, allen können es die Deutschen nicht recht machen. Aber meine italienische Freundin sagte neulich, sie lebe wirklich gerne in Deutschland. Die Italiener seien so spießig geworden.

Agnieszka Kowaluk ist Journalistin und Literaturübersetzerin. Sie berichtet unter anderem für die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza.

© SZ vom 17./18.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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