Mein Deutschland:Iyi Noeller!

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Viele Türken in Deutschland sehen inzwischen Weihnachten auch als ihr Fest an.

Celal Özcan

Das Weihnachtsfest habe ich in der Türkei kennengelernt. Freunde in Istanbul und ihre christlichen Nachbarn nahmen mich zu einer Christmette mit. Die liturgische Sprache in der Kirche St. Antoine war zwar Latein, die feierliche Stimmung aber konnte ich nachempfinden, zumal die Bäume auf den Straßen Istanbuls, mit Lichterketten geschmückt, zu einer festlichen Atmosphäre beitrugen. Auch der erste Heiligabend im Studentenwohnheim in Deutschland ist mir bis heute in Erinnerung geblieben. Ich war als Einziger dageblieben, mit einem fast beängstigenden Gefühl der Einsamkeit und in einer bedrückenden Stille. Im ganzen Haus war kein Laut zu hören. Die Stadt mit ihren menschenleeren Straßen wirkte trotz ihrer glitzernden Pracht plötzlich beklemmend. Stille Nacht. Für die einen ist es ein festlicher Abend, doch für Einsame kann das Fest der Liebe auch eine schmerzliche Erfahrung sein.

Christmette in Augsburg. Bischof Konrad Zdarsa predigt im Mariendom in der Christmette zum Heiligen Abend hinter einer Krippe mit Jesuskind. Die Christmette gehört mit der Feier der Osternacht zu den beiden großen nächtlichen Feiern im Kirchenjahr. (Foto: dapd)

Es sind vor allem die Erlebnisse aus der Kindheit, die sich unauslöschlich ins Gedächtnis einprägen und in verklärter Erinnerung bleiben. Eine Frau mit Kopftuch, in Deutschland geboren und als Zwölfjährige mit ihren Eltern in die Türkei zurückgekehrt, sehnt sich bis heute nach einer deutschen Weihnacht. Nach Tannenbäumen mit Sternen und Kugeln, nach Kerzenbeleuchtung, weihnachtlich geschmückten Straßen, nach Weihnachtsmärkten mit ihrem Duft von Anis und Mandeln, nach dieser Stimmung von Frieden, von hellem Glanz in dunkler Nacht. Auch viele türkische Familien in Deutschland wollen diese Atmosphäre erleben. Sie stellen einen Weihnachtsbaum auf und machen einander kleine Geschenke. In den Wochen vor dem großen christlichen Fest waren die türkischen Restaurants voll mit jungen Türkinnen und Türken, die sich mit Freunden und Arbeitskollegen zum Weihnachtsessen trafen und sich gegenseitig mit Parfüm und Schmuck beschenkten.

Überraschend? Nein, schließlich berichtet auch der Koran über die Geburt Jesu: "Die Engel sprachen: O Maria, Gott gibt dir frohe Kunde durch ein Wort von ihm: Sein Name soll sein der Messias, Jesus, Sohn Marias, geehrt in dieser und in jener Welt, einer der Gottnahen." Dass die Türken in Deutschland Weihnachten inzwischen auch als ihr Fest ansehen, zeigt das Beispiel der Goethestraße in München, wo sich türkische Geschäfte aneinanderreihen. Dort steht dieses Jahr zum ersten Mal ein Weihnachtsbaum. Türken kamen auf die Idee und spendeten das Geld für den Baum. Ihre Väter waren vor fünfzig Jahren mit dem Orientexpress im Münchener Hauptbahnhof eingetroffen. Den Schmuck wiederum haben Deutsche bezahlt, die sich im Verein "Südlicher Bahnhof" gemeinsam mit Türken für ihr Viertel engagieren. Zwei Pfarrer weihten den Baum.

Viele Türken haben übrigens erst in Deutschland erfahren, dass der Weihnachtsmann im Türkischen "Noel Baba" heißt und auf Bischof Nikolaus zurückgeht, der im 3. Jahrhundert in Myra lebte, dem heutigen Demre an der türkischen Riviera. Kulturell war die Welt also schon immer global. "Prüft alles und behaltet das Gute" hat der Apostel Paulus aus dem türkischen Tarsus vor fast 2000 Jahren gesagt. In diesem Sinn: Iyi Noeller! Frohe Weihnachten!

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Celal Özcan arbeitet für die türkische Zeitung Hürriyet.

© SZ vom 24./25./26.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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