Mein Deutschland:Ein bescheidener Präsident

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Ein französischer Flanby und eine deutsche "Mutti" führen nun die europäische Lokomotive.

Normal. Das ist die Zauberformel, die François Hollande die Türen des Elysée weit geöffnet haben. Vorbei ist die Zeit, als ein Politiker sich mühte, "charismatisch" oder "visionär" zu sein, um in Frankreich gewählt zu werden. Und bitte, vor allem kein Bling Bling und neureichen Prunk mehr, keine plötzlichen Stimmungsumschwünge, keine Ticks und keinen Narzissmus. Davon hatten wir eine Überdosis vom letzten Mieter des Elysée abbekommen. Die leidende Republik braucht Ruhe! François Hollande ist wie ein Yogi, der die überreizte Nation zur Askese zurückführt. Carla Bruni hatte tatsächlich verstanden, worum es ging, und als der Wahlkampf der Rechten in den letzten Zügen lag versucht, ihren Mann zu retten, indem sie mit fast rührender Unbeholfenheit sagte: "Wir sind bescheidene Leute." Und dabei enthüllte sie, dass sie es vorziehe, abends mit ihrem geliebten Baby zu Hause zu sein, gekleidet in einen großen Wollpullover und Schlappen. Aber diese spät entdeckte Normalität hat nicht mehr wirklich überzeugt.

Der französische Präsident François Hollande und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel während dem Nato-Gipfeltreffen in Chicago. Bei den zweitägigen Beratungen, die am 20. Mai 2012 begannen, diskutieren die Staats- und Regierungschefs über die internationale Sicherheit und den Rückzug aus Afghanistan.  Der französische Präsident François Hollande möchte seine Kampftruppen bereits bis Ende dieses Jahres zurückziehen, was in der Allianz zu Unmut führt. (Foto: dpa)

Flanby, so nennt man unseren neuen Präsidenten - ein Wackelpudding überzogen mit Karamel. Süß, weich, glibberig. Flanby, das ist eigentlich eine kastrierende Bezeichnung für einen Mann in den besten Jahren, überhaupt nicht schmeichelhaft für einen Präsidenten der französischen Republik. Das grenzt fast an Respektlosigkeit. Aber: Ein Flanby ist ein Dessert für jeden Tag, das findet man in allen französischen Supermärkten. Ein normales Dessert, weit entfernt von "Mongeneral" (in einem einzigen Wort und die Finger an den Bügelfalten), wie man De Gaulle taufte. Weit entfernt auch von "Dieu" oder "Sphinx" (ohne Kommentar!) wie man François Mitterrand titulierte, oder von "Grand Condor", das man Jacques Chirac zuschrieb. Besonders weit entfernt von "Sarkoléon/Tsarkozy". Die Franzosen brauchen keinen Über-Vater außerhalb ihrer Reichweite mehr, sondern einen Präsidenten wie Hollande, der im Supermarkt seines Viertels einkauft, "weil der Kühlschrank leer war". Der leere Kühlschrank hat die Rolex und die Ray Ban als Requisiten der französischen Politik abgelöst.

François Hollande hat sich irrsinnige Mühe gegeben, damit seine Einführungszeremonie so "nüchtern" wie möglich verlief. Er hat seine vier Kinder nicht dazu eingeladen, an seiner Seite den roten Teppich im Hof des Elysée zu beschreiten. Flankiert von seiner Frau Cécilia, gekleidet in ein silbrig glänzendes Prada-Kleid, und flankiert von der Truppe seiner Kinder, den biologischen und den Patch-Work-Sprösslingen, hatte einst Sarkozy seinen Hollywoodesken Einzug dort inszeniert. François Hollande dagegen fuhr die Champs Elysées an Bord eines simplen, grau-metallic-farbenen Citroën DS5 hinauf, einem Auto, wie es normale Familienväter fahren. Nein, dieser Präsident verzog in seinem durchnässten Anzug vor dem Arc de Triomphe keine Miene.

Während der fünfjährigen Amtszeit von Nicolas Sarkozy schielten die Franzosen voller Sehnsucht nach Deutschland. Sie beneideten es wegen der Nüchternheit, den Pragmatismus und der Ruhe Angela Merkels. Keine Affären, weder finanziell noch sexuell, eine einfache Datscha in der Uckermark, schlichte Hosenanzüge... Die deutsche "Mutti" ließ uns neidisch werden. Ein Flanby und eine Mutti führen nun die europäische Lokomotive. Die folgenden Monate werden zeigen, ob diese neue Mannschaft aus Normalos ein Entgleisen des großen europäischen Zuges verhindern kann.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Pascale Hugues arbeitet für das französische Nachrichtenmagazin Le Point.

© SZ vom 19./20.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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