Mein Deutschland:Die Klischees schmerzen

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Für viele Griechen ist Deutschland mehr als nur Kulturheimat.

Kostas Kalfopoulos

"Mein" Deutschland liegt Mitte der sechziger Jahre irgendwo im Schwarzwald zurück und bleibt wichtiger Legostein einer Vergangenheit, die sich mit den Turbulenzen der Gegenwart peinlich konfrontiert. Meine ersten Erinnerungen sind Sommerurlaube im Südwesten Deutschlands, das Lied "Schornsteinfeger ging spazier'n", Fix-und-Foxi-Hefte und lange Wanderungen durch Wälder, worin einst die Grimmsche Seele und der Geist der Romantik und der Melancholie beheimatet waren. Dann kamen die "Lehrjahre" im eingeweihten neuen Gebäude der Deutschen Schule in Athen, ein 14 Jahre dauernder Aufenthalt in West- und im wiedervereinten Deutschland, abgeschlossen mit einem Soziologiestudium in Hamburg. Nach der Rückkehr nach Griechenland: Lektoratsarbeit und Journalismus. Dabei hatte Deutschland immer Priorität an Titeln und Themen.

Die Sonne scheint in Athen hinter einer griechischen Fahne. Deutschland könnte etwa 170 Finanzexperten bereitstellen, um Griechenland zu helfen, eine funktionierende Steuerverwaltung aufzubauen. Doch Griechenland sieht dies als Einmischung. (Foto: dapd)

Für mich ist Deutschland mehr als (m)eine Kulturheimat - und das gilt für viele Griechen, die ich kenne. Ihnen bedeutet Deutschland Wahlverwandtschaft, das Deutsche ist Brückensprache, für mich ist Deutschland außerdem Zufluchtsort einer sentimentalen Reise, geleitet von Walter Benjamin und Uwe Johnson, aber auch von Gottfried Benn und Carl Schmitt. Deutschland ist für mich die systematische Lektüre seiner Presse und Literatur, über deutsche Kulturthemen zu berichten, mit den deutschen Kollegen zusammenzuarbeiten - und den Dialog gemeinsam zu fördern.

Um Hellas zu verstehen, ist in den deutsch-griechischen Beziehungen der Kulturdialog eine unabdingbare Voraussetzung - jenseits von europäischen Subventionen, bilateralen Wirtschaftsbeziehungen und Sommeridylle. Der Kulturdialog soll Vorurteile beseitigen, neue Brücken schlagen, und den nötigen, zeitgenössischen Blick auf beide Länder kritisch erweitern. Ein Kulturkorrespondent seitens der deutschen renommierten Zeitungen, sesshaft in der griechischen Hauptstadt, hätte vieles in diese Richtung leisten können. Denn in den vergangenen Jahren ist ein unerklärter, subversiver Krieg ausgebrochen. Die strengen Sparauflagen für Griechenland sind notwendig. Aber statt mit nüchternen Argumenten und Entschlossenheit die Krise zu bewältigen, wird giftig, ja bild -haft und focus siert gekämpft. Seit den Zeiten von Alexis Sorbas, im Buch und Film, wurde Hellas als eine Art "Schlaraffenland hinter den antiken Ruinen" idealisiert. Seit der griechischen Krise, welche die europäischen Fundamente aufzusprengen droht, ist Deutschland für meine Landsleute als "Reich des Bösen" dämonisiert. Beides schmerzt.

Dieser "Blitzkrieg der Klischees" muss schnellstens beendet werden. Der "Katzelmacher" der 60er Jahre sollte einem vernünftigen, tüchtigen "griechischen Nachbar" Platz machen. So was würde sogar Rainer Werner Fassbinder erfreuen.

Kostas Th. Kalfopoulos ist Feuilletonmitarbeiter der griechischen Tages- und Sonntagszeitung Kathimerini. Er lebt in Athen.

© SZ vom 11.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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