Mein Deutschland:Das Wunder der Versöhnung

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50 Jahre Elysee-Vertrag: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) empfängt am 22.01.2013 Frankreichs Präsident Francois Hollande (r) vor dem Bundeskanzleramt in Berlin. Am 22.01.1963 wurde der deutsch-französische Freundschaftsvertrag in Paris unterzeichnet. (Foto: dpa)

Vor 50 Jahren wurden deutsche Austauschschüler in Frankreich noch beschimpft.

Pascale Hugues

Hilfe! Bitte nicht! Der Elysée-Vertrag feiert sein 50-jähriges Bestehen! Nächsten Dienstag werden sich Angela Merkel und François Hollande in Berlin vor einer Reihe von Flaggen umarmen. Es wird eine Stunde der großen Worte werden, der Nationalhymnen und der historischen Rückblicke auf - Mann, ist das lange her! - de Gaulle und Adenauer. Das ganze Tamtam der deutsch-französischen Freundschaft eben. Ich bezweifle, dass diese Festivitäten, die den politisch-medialen Mikrokosmos unserer beiden Länder entflammen, auch der breiten Öffentlichkeit in Frankreich und Deutschland Leidenschaft abringen können. Diese Gleichgültigkeit ist der Preis für die Normalisierung der Beziehungen.

Und doch sollten wir an diesem Jahrestag die Gelegenheit nutzen, uns, wenn auch nur für einen kleinen Moment, an den lange zurückgelegten Weg zu erinnern. Vor 50 Jahren galt der Deutsche in Frankreich noch als le Boche, le Fridolin, le Fritz, le Schleu - ganz gebräuchliche Namen, mit denen die Franzosen meiner Generation aufgewachsen sind. Vor 50 Jahren noch betrachtete meine elsässische Großmutter das Wirtschaftswunder auf der anderen Seite des Rheins mit Entsetzen: "Guck mal, sie haben den Krieg verloren und jetzt sind sie reicher als wir!" Und meine deutsche, mit einem Franzosen verheiratete Großmutter machte sich ganz klein, schluckte ihre Sehnsucht nach ihrer Heimat hinunter und weigerte sich, mit ihren Kindern und Enkelkindern deutsch zu sprechen. Vor 50 Jahren hatte der Vater meiner jüdischen Straßburger Freundin auf der Rückkehr aus Dänemark noch darauf gewartet, dass es Nacht wurde und seine Kinder auf dem Rücksitz des Autos eingeschlafen waren, bevor er Deutschland durchquerte. Und vor 50 Jahren wurden deutsche Austauschschüler in Frankreich noch als Nazis beschimpft. Noch in den 70er Jahren war es klar für mich, dass ich den Sommer nicht bei meiner Brieffreundin in Stuttgart verbringen würde. Ich zog England vor. Die Strände von Bournemouth und die Carnaby Street waren viel exotischer und einfacher zu lieben als Baden-Württemberg.

Und genau deshalb sollten wir am Dienstag große Worte wagen. Denn die deutsch-französische Versöhnung ist eines der großen Wunder in der Geschichte des 20. Jahrhunderts.

P ascale Hugues schreibt für das französische Nachrichtenmagazin Le Point.

© SZ vom 19./20.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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