Mein Deutschland:Das Mandat des Himmels

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Ein Bundespräsident, der nicht durch seine Reden auffällt.

Shi Ming

Im Businessalltag verhält es sich in der Regel so: Bilanzzahlen belegen die Leistung des Vorstands und fundieren das Vertrauen der Anleger in die Aktien des jeweiligen Unternehmens. Im Sport ist es ähnlich: Die Zahl der gewonnenen Partien belegt nicht nur die Leistung des Teams, sondern auch des Trainers. Bleiben die Erfolge aus, wird den Trainern das Vertrauen entzogen. Auch in Wahlkämpfen sind Regierende auf der ganzen Welt bemüht, echte oder schöngeredete Erfolge zu präsentieren. Nur mit messbaren Leistungen gewinnt man Vertrauen, nur mit Vertrauen die Wahlen. Warum sonst nennen sich Gesellschaften im Westen Leistungsgesellschaft, wenn Leistungen nicht dem Vertrauen vorausgehen, ja vorausgehen müssen?

Bundespräsident Christian Wulff und seine Frau Bettina kommen am 31.01.2012 in Friedrichshöhe während eines Kurzurlaubes im Thüringer Wald vom Skilaufen zurück. Derweil kommt Christian Wulff aus den negativen Schlagzeilen nicht heraus. Offenbar hatte er weitergehende geschäftliche Beziehungen zu dem Unternehmer Egon Geerkens als bislang eingeräumt. Danach war Geerkens Mandant und Vermieter der Räume einer Rechtsanwaltskanzlei, für die der frühere niedersächsische Ministerpräsident über Jahre tätig war. Der Bundespräsident bestreitet die Vorwürfe. (Foto: dapd)

Wie ein Gegenbeispiel gegen die besagte Selbstverständlichkeit wirkt der Fall von Bundespräsident Christian Wulff. Niemand redet von Leistung, nicht einmal von schwer messbarer wie "Deutschland erfolgreich repräsentieren". Alle regen sich auf, da Wulffs Verhalten das Vertrauen der Menschen enttäuscht. Manche reden sogar davon, dass das Vertrauen in das Bundesamt erschüttert sei, als fundiere erst das Vertrauen die bundespräsidiale Leistung. Zu Recht: Anders als bei einem traditionell-konfuzianischen Kaiser im vormodernen China, der das Mandat des Himmels besaß, ist es die Leistung des Bundespräsidenten, das Vertrauen der Bürger in das Politische als Staatswesen zu erhalten und zu mehren - und das ohne sach- und fachpolitische Leistungsnachweise. Darum leugnet niemand, dass Wulffs Versuch, etwa Medien hinsichtlich seiner Verfehlung zu beeinflussen, kontraproduktiv war.

Unbeantwortet bleiben dennoch Fragen, etwa die, inwieweit das Bundesamt und von wem "beschädigt" wird. Denn das Vertrauen in das Politische als Staatswesen unterscheidet sich von Businesserfolgen darin, dass es sich nicht in Zahlen messen lässt. Populistische Medien können um "Umfragewerte" des Präsidenten noch so sehr bemüht sein. In letzter Konsequenz kann ein Bundespräsident als Persönlichkeit das Vertrauen der Menschen in das Staatswesen allenfalls fühlbar repräsentieren.

Als unabhängige Persönlichkeiten haben die einstigen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Roman Herzog realpolitischen Staatsakten und deren Machern mutig misstraut. Sie gewannen das Vertrauen der Menschen in das Staatswesen. Als ehrliche Persönlichkeit hat sich Ex-Bundespräsident Horst Köhler, als er sich in seiner Persönlichkeit angegriffen fühlte, das Staatsamt nicht mehr zugetraut. Im Falle von Christian Wulff verhält es sich anders: Bislang fällt der Präsident weder durch besondere Mut-Reden auf - wie von Weizsäcker oder Herzog. Aber er reagiert angesichts seines selbst zugegebenen Fehlverhaltens nicht wie Horst Köhler.

Von der Mehrheit der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten einst mit Vertrauen gekürt haben, hört man allenfalls ein beinahe verschämtes Geraune. Sie mussten mit ihrem geschenkten Vertrauen demonstrativ in Vorleistung treten und öffentlich darlegen, dass sie meinen, den Richtigen auserwählt zu haben: unbestechlich, mutig, ehrlich zu sich und zur Welt - vertrauenerweckend eben. Sie bleiben jetzt seltsam stumm. Daher fragt sich: Wie viel Wert legen diejenigen, die durch ihre Auswahl das Staatsamt mit Vertrauen des Volks als Leistung besetzen, eigentlich darauf, dass dies auch geschieht?

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Shi Ming arbeitet als Freier Journalist und Publizist. Er lebt in Freiburg.

© SZ vom 30.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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