Mein Deutschland:Das große Familiengeheimnis

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Bild eines Straßenkünstlers von dem traditionellen Kobold "Leprechaun" an der Wand eines Gebäudes in den Docklands in Dublin, Irland. (Foto: Getty Images)

Wer war der geheimnisvolle Mann?

Eine Kolumne von Kate Connolly

Wir haben diese Woche zu Hause viel über eine alte Familiengeschichte diskutiert, die lange in Vergessenheit geraten war. In dieser Geschichte geht es um einen ehemaligen deutschen Soldaten, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als Untermieter im Haus meiner Großtante in Nord-Dublin lebte. Willi Hülsebusch war ein höflicher und gut gekleideter Mann. Seine Erscheinung machte damals die ganze Nachbarschaft neugierig, wohl auch weil seine wahre Identität immer ein Geheimnis blieb.

Es kursierten wilde Gerüchte darüber, was ihn nach Irland verschlagen haben mag. Die einen glaubten, er sei Kommandant eines deutschen U-Boots gewesen. Andere hielten ihn für einen deutschen Spion, der nach dem Krieg Schutz in Irland suchte. Dass Willi Hülsebusch jeden Donnerstagabend pünktlich um sieben Uhr von seinem Sohn angerufen wurde, bei den Moyletts, der einzigen Familie in der Gegend mit einem Telefon, wusste die ganze Straße. Die Kinder waren besonders fasziniert. Ihnen gefiel am besten die Geschichte, wonach Willi Hülsebusch in Dublin stationierte wurde, um Feuer in den Hauptstraßen zu legen, als Wegweiser für deutsche Flugzeuge, die von Irland aus den "gemeinsamen Feind" England angreifen sollten.

Die antibritische Stimmung in Irland zu jener Zeit führte dazu, dass Willi Hülsebusch mit einer gewissen Ehrfurcht behandelt wurde. Das ging so weit, dass ihn Nachbarn zum deutschen Soldatenfriedhof in Glencree fuhren. Als er krank wurde, bekam er jeden Tag Besuch von Herrn Moylett, der ihn rasierte. Als er mit 70 Jahren starb, reiste sein Sohn nach Irland, um meiner Großtante und den Moyletts für alles zu danken, was sie für ihn getan hatten.

Als wir diese Woche im Familienarchiv gruben, zeigte sich, dass Willi in Wirklichkeit mein Großonkel war. In Limerick geboren, mit einem deutschen Vater und einer irischen Mutter, machte er Karriere im deutschen Militär und brachte es bis zum Geheimdienstoffizier. Die Theorie vom Spion war also nicht so falsch. Das macht mich neugierig. Plötzlich ist meine persönliche Verbindung zu Deutschland viel tiefer, als ich mir je hätte vorstellen können - und ich frage mich, warum meine Familie daraus ein so großes Geheimnis gemacht hat.

Kate Connolly berichtet für den Guardian und den Observer aus Berlin.

© SZ vom 05./06.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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