Mein Deutschland:Besuch in der Puppenstube

Lesezeit: 2 min

Die Deutschen haben richtig gewählt, als sie Berlin Bonn vorzogen. Das Land braucht eine Hauptstadt, die eine richtige Metropole ist.

Pascale Hugues

Zehn Jahre lang hatte ich keinen Fuß auf Bonner Boden gesetzt. Früher fuhr man dorthin wegen der Politiker, heute sind die Goldbären der Grund für eine Reise. Für eine Reportage über die Firma Haribo bin ich diese Woche nach Bonn gereist. Es war eine sentimentale Reise in die alte Bundesrepublik, in die Hauptstadt von vor der Wiedervereinigung, in das Deutschland von vor 20 Jahren. Schon zwei Jahrzehnte sind seit der Wende vergangen, und sie sind schnell vergangen. Deutschland ist nicht mehr dasselbe Land wie damals. Nur Bonn hat sich nicht verändert.

Das ehemalige Kanzleramt in Bonn, wo heute das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung seinen Sitz hat. (Foto: Foto: AP)

Ich habe die belebte Bundesstraße 9 wiedergefunden und das idyllische Rheinufer. Ich war in der Fußgängerzone, an der ockergelben Universität und am Kanzleramt, das an die Sparkasse einer Provinzstadt erinnert. Es war ein Ausflug in die Vergangenheit, und es scheint, als ob sich nichts bewegt hätte. Kein Pomp, kein Pathos. Bonn spiegelt noch immer diese wohlhabende Bundesrepublik wider, die sich ihrer Erfolge sicher war. Ein Land, das ein wenig moralisierend war und ängstlich in die Zukunft blickte, ein wenig provinziell, altertümlich. Verglichen mit London und Paris war Bonn immer eine Puppenstube.

Im ICE, der mich am Abend nach Berlin zurückbringt, denke ich darüber nach, dass kein Land Westeuropas in den vergangenen Jahren so radikale Veränderungen erlebt hat: 17 Millionen Einwohner mehr auf einen Schlag und eine Hauptstadt, die nach Berlin umgezogen ist. Ich erinnere mich an die nicht enden wollende Debatte im Bundestag, in der Presse: Berlin oder Bonn? Bonn oder Berlin?

All diese Ängste, die Politiker und Feuilletonisten ausbreiteten: Berlin werde das Ende des Föderalismus einläuten, den Beginn des Gigantismus, die Wiedergeburt der nationalistischen Dämonen. Kurzum, es drohte der Anfang der Apokalypse. "Metropole" - das klang nach Unheil. Das neue Deutschland wollte sich in einer Stadt einrichten, deren Geschichte dem Land wie ein Mühlstein um den Hals hing. Bonn dagegen war so unschuldig, so hübsch, so lächelnd. Eine kleine saubere Stadt ohne schwierige Geschichte.

Was bleibt von diesen Warnungen, von den düsteren Vorhersagen? Ein Land, das immer noch im Westen verwurzelt ist, der Motor Europas. Ein wacher Föderalismus. Weder München noch Stuttgart noch Hamburg haben zugunsten Berlin abdanken müssen. Sicher, Nationalismus und Rechtsextremismus sind lebendig, doch die gibt es auch anderswo , und die Demokratie war nie in Gefahr. Die Gespenster der Vergangenheit sind nicht zurückgekommen.

Als der Zug im Hauptbahnhof einfährt, denke ich: Die Deutschen haben richtig gewählt. Deutschland ist selbstsicherer geworden, moderner, entspannter als vor 20 Jahren. Das Land hat sich eine echte Hauptstadt gegeben, die niemandem Angst machen muss. Eine wirkliche Metropole, eine der aufregendsten Städte Europas.

Vier Berliner Auslandskorrespondenten schreiben an dieser Stelle jeden Samstag über Deutschland. Pascale Hugues arbeitet für das französische Nachrichtenmagazin Le Point.

© SZ vom 21.03.2009/brei - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: