29. Juni 2009:Verlust der Glaubwürdigkeit

Lesezeit: 3 min

Der Westen pocht auf Demokratie und Selbstbestimmung im Iran - nach den Wahlen in Ägypten und Afghanistan aber hat er geschwiegen. SZ-Leser diskutieren.

"Inwieweit und ob die Wahl im Iran manipuliert wurde ('Irans geistlicher Führer predigt Härte', 20. Juni), wird für westliche Beobachter letztlich nicht zu klären sein. Vielsagend aber die übergroße Präsenz, die dieses Thema in unseren Medien von Anfang genießt, mit all den Wertungen und Vorverurteilungen. Wo war unsere Entrüstung bei den Wahlen in Ägypten und in Afghanistan, die nun wirklich eine Farce waren?

SZ-Leser diskutieren: War Oppositionsführer Mir Hossein Mussawi nur ein Hoffnungsträger für kurze Zeit? (Foto: Foto: dpa)

Wir tragen unsere hehren Werte Demokratie und Selbstbestimmung wie eine Monstranz vor uns her, aber wir mahnen sie nur dort an, wo es den geostrategischen Zielsetzungen unserer Führungsmacht dienlich ist. Wir maßen uns das Recht an, mit erlogenen Rechtfertigungen völkerrechtswidrig andere Nationen mit Krieg und Chaos zu überziehen, um dort uns willfährige Regime einzusetzen. Und wir sehen nicht, dass wir damit unsere Glaubwürdigkeit, unsere Strahlkraft, in den Augen all der Benachteiligten und Unterdrückten auf dieser Welt, deren es so viele gibt, endgültig verlieren. Das ist die eigentliche Tragik!"

Dr. Horst A. Hoffmann Kiel

Unbewiesene Vorwürfe

"Da hat also die Mehrheit des iranischen Volkes bestehend aus kleinen Leute, Landbevölkerung und Habenichtsen eine Wahl gewonnen und die elitäre Mittel- und Oberschicht in die zweite Reihe, was letztere nicht anerkennen wollen ( 'Ende der Party', 15. Juni). So gehen sie mit unbewiesenen Vorwürfen der Wahlfälschung auf die Straße und wollen gewaltsam die Fakten ändern. Die USA und Israel werden ihren Nutzen daraus ziehen.

Israel als rechte Hand der USA im Nahen Osten will die atomare Vorherrschaft (ohne Einbindung in internationale Verträge und Kontrollinstitutionen) behalten und ausbauen, um die Bedingungen in der Region zu diktieren. Selbst ein Krieg gegen den Iran als letztes Mittel der Wahl stand schon auf dem Plan, scheiterte aber an der fehlenden Zustimmung durch die USA. Ich hoffe, dass die iranische Bevölkerung zur Besinnung kommt, alle Chancen einer friedlichen Lösung der entstandenen Probleme nutzt, um nicht in einem Blutbad zu versinken, wie der Libanon, der Irak und Gaza in den letzten Jahren."

Ingeborg Herrklotsch Berlin

Es ist etwas in Bewegung geraten

"Wer Obama Naivität unterstellt ( 'Obamas Rechnung geht nicht auf', 15. Juni) , hat den grundlegenden Gedanken seines Ansatzes nicht verstanden und macht sich zum Sprachrohr der Kritiker Obamas aus den Reihen der Republikaner in den USA. Obamas Kairoer Rede war nicht in erster Linie an die autoritären Regime, sondern an die Menschen der muslimischen Welt gerichtet. Nicht die Erwartung einer plötzlichen Verhaltensänderung der Regime ist das Grundmotiv, sondern die Vertrauensbildung in den Bevölkerungen der Staaten des nahen und mittleren Ostens.

Nicht Ahmadinejad und Chamenei waren der vorrangige Adressat der Kairoer Rede, sondern die nach mehr Freiheit lechzende Jugend Irans. Es ist etwas in Bewegung geraten in Iran. Für viele Menschen in Iran ist das Feindbild nicht mehr länger der amerikanische Präsident, sondern das iranische politische Establishment. Im Lichte einer solchen Perspektive auf die Folgewirkungen der Wahl im Iran hat Obama schon einiges erreicht. Naiv ist, wer dies nicht sieht."

Cameron Kilborn Tübingen

Europa ohne Leidenschaft

"Die Auseinandersetzungen in Teheran, die Toten und zum Teil schwer verletzten, freiheitsliebenden Menschen ( 'Teheran in Aufruhr', 16. Juni), sind ein Fanal dafür, was uns drohen könnte, wenn wir, zum Beispiel, dauerhaft nicht mehr zu Wahl gingen, und sei es, um das Straßburger Parlament neu zu konstituieren. Wo bleibt denn diese Leidenschaft für die Demokratie, die Freiheit hier bei uns? Sind wir inzwischen alle so fett und satt geworden, dass uns Europa nichts mehr wert ist, wo das Blut, das vergossen wurde, kaum getrocknet ist?

Es ist eine große Gefahr, sich im Glauben zu wähnen, man könne sich auf dem Erreichten ausruhen. Demokratie muss immer neu erkämpft werden, jeden Tag, und nichts ist selbstverständlich. Daran erinnern uns leider jetzt schon wieder die Nachrichten aus Teheran, nein: sie ermahnen uns geradezu alle hier - von Warschau bis Lissabon - leidenschaftlich für die Freiheit zu kämpfen! Es geht nicht beides: Freiheit, Demokratie, Wohlstand mittels Verantwortung auf der einen und politisches Desinteresse resultierend aus Bequemlichkeit auf der anderen Seite. Diese junge Leidenschaft aus Teheran muss uns alle anstecken, auch die politischen Führer, die Demokratie vielleicht noch zu nüchtern vermitteln."

Sebastian Dégardin Hamburg

Nagelprobe für Deutschland

"Die Forderungen von Nile Gardiner (Außenansicht vom 24. Juni) 'nun auch die ökonomischen Sanktionen gegen Teheran zu verschärfen', werden wohl schon sehr bald in Deutschland ihre Nagelprobe erleben. Noch im Mai dieses Jahres gab es auf politischer Seite, die Bundeskanzlerin eingeschlossen, eine 'wohlwollende Haltung' zu dem Ansinnen der deutschen Industrie, angeführt von Siemens, den Wünschen des iranischen Regimes zu entsprechen und mit deutscher Hilfe den Transrapid durch den Iran sausen zu lassen. Dabei ist es gerade einmal zwei Jahre her, da wurde dieser Wunsch noch mit einem entschiedenen Machtwort unserer Bundeskanzlerin zu den Akten gelegt. Nun ist aber zu befürchten, dass im Rahmen der Finanzkrise und Mega-Neuverschuldung moralische Bedenken zu den Akten gelegt werden."

Michael Mohr Köln

© SZ vom 30.06.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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