17. Juni 2009:Ein schiefes Bild

Lesezeit: 7 min

Ärzte-TÜV: SZ-Leser finden, dass die Bewertung von Ärzten sinnvoll ist. Schwierig wird es aber, wenn chronisch oder psychisch Kranke Noten abgeben.

Zum Mediziner-TÜV der AOK (" Patienten sollen Ärzte benoten", 13./14. Juni) schreiben Leser:

Vergessene Scheren im Bauch kommen zum Glück selten vor. Aber auch wegen kleineren Unstimmigkeiten sind Patienten oft unzufrieden. Sollen sie ihre Meinung im Internet kundtun dürfen? (Foto: Foto: dpa)

"Sicher ist eine Bewertung von Ärzten durch Patienten sinnvoll. Schließlich könnten auch wir Ärzte von einem Feedback profitieren. Die Frage ist nur: Wie? So wie es nun von der AOK über eine Internetplattform geplant wird, birgt das Vorhaben die Gefahr, dass nur die sich beteiligen, die sowieso sehr vertraut mit diesem Medium sind.

Gerade ältere Patienten und chronisch Kranke sind dies häufig nicht. Zudem protestieren generell die in unserer Gesellschaft, die etwas negativ zu kritisieren haben. Also ergibt sich auch hieraus ein schiefes Bild. Der Arzt wird in der Praxis daher seine AOK-Patienten bitten müssen, doch netterweise im Internet eine - möglichst positive - Bewertung über ihn abzugeben. Ob das gewollt ist? Es wäre eine zusätzliche Störung der Arzt-Patient-Beziehung, die schon an der Erhebung der Praxisgebühr, der beschnittenen Leistungsmöglichkeiten in Zeiten eines knappen Regelleistungsvolumens sowie an überbordernder Bürokratie leidet.

Ein schiefes Bild ergibt sich auch daraus, dass mancher von einem Infekt geheilter oder erfolgreich operierter Patient sicher begeistert sein Votum abgibt. Aber wie schaut es bei chronisch Kranken aus, bei denen es oft um langfristige Betreuung und wenigstens eine Vermeidung von Krankenhausaufenthalten geht, wie etwa häufig im psychiatrischen Bereich? Ein schizophrener Patient, dem mitgeteilt wird, welch schwere Erkrankung er hat, wie die Prognose aussieht und vor allem dass er jahrelang Medikamente mit teilweise erheblichen Nebenwirkungen zu nehmen hat, wird wohl kaum seine Begeisterung darüber kundtun.

Wenn schon Ärztebewertung, warum nicht einmal jährlich den Versicherten einen Fragebogen mit frankiertem Rückumschlag zusenden, mit der Bitte um Angabe der behandelnden Ärzte, um Rückmeldung zu Freundlichkeit in der Praxis, Wartezeiten auf Termine und im Wartezimmer selbst, zur Bereitschaft des Arztes, ihn ernst zu nehmen, und natürlich auch zu Behandlung, Information und Aufklärung. Selbst wenn dies mit erheblichem Papieraufwand und Porto verbunden wäre: die Möglichkeit einer ausgewogeneren und realitätsnäheren Ärztebewertung wäre dadurch gegeben.

Dr. Andreas Meißner Annette Holzwarth München

Warum die Aufregung, Dr. Hoppe?

"'Ärztliche Kunst' ist nach heutigem Verständnis eine spezielle Dienstleistung. Und Dienstleistungen werden nach ihrer Qualität bewertet, insbesondere wenn es um ein so wichtiges und teures Gut wie die Gesundheit geht. Das erfordert die humanitäre und ökonomische Verantwortung von Ärzten und Patienten. Dies hat auch der Gesetzgeber im Sozialgesetzbuch SGB V § 135a festgeschrieben:

'Die (medizinischen) Leistungserbringer sind zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der von ihnen erbrachten Leistungen verpflichtet.' Sie sind 'verpflichtet, einrichtungsintern ein Qualitätsmanagement einzuführen und weiterzuentwickeln.' Warum also die Aufregung von Herrn Hoppe? Wovor hat man da Angst?"

Dr. Axel Berke Pürgen

Herr Doktor, ein großes Blutbild bitte!

"Vor wenigen Wochen verließ eine Patienten wutentbrannt die Praxis und wäre damit eine gute Kandidatin für eine schlechte Benotung nach Vorstellungen der AOK. Ich hatte ihr nicht das gewünschte Medikament auf ihren Namen für ihre nicht versicherte Verwandte aufschreiben wollen.

Unzufriedenheit bei Patienten entsteht fast ausschließlich, wenn gewünschte Leistungen nicht erbracht werden, die medizinische Leistung kann er in der Regel nicht beurteilen. 'Herr Doktor machen Sie mal eine gründliche Untersuchung und ein großes Blutbild.' Die Bestimmungen für eine Gesundheitsuntersuchung sind sehr einschränkend: nur ab 36, alle zwei Jahre und im Blut nur Cholesterin und Zucker.

Gegenargument des Patienten: 'Die Kasse soll doch froh sein, wenn ich mich um meine Gesundheit kümmere, die werden das schon zahlen.' Weitere häufige Wünsche: Massagen bei Bildschirmarbeit, Originalpräparate statt Nachahmer, Kuraufenthalte und Schwerbehindertenprozente. Die Sachbearbeiterin der Krankenkasse säuselt natürlich gerne gegenüber dem Patienten, der Doktor dürfe doch alles aufschreiben. Tut er das wirklich, tritt die Kasse dem Doktor gegenüber dann völlig anders auf. Dann werden knallhart Tausende Euro als Strafzahlung gefordert, denn es sind nach wie vor alle Leistungen gedeckelt.

Somit ist diese Notengebung eine zugegeben raffinierte Art, unpopuläre Sparmaßnahmen dem Arzt in die Schuhe zu schieben. Hält er sich an die Sozialgesetze, ausreichend, wirtschaftlich und zweckmäßig zu handeln, wird er sich den Unwillen der Patienten und eine schlechte Benotung zuziehen. Ist er großzügig, zahlt er irgendwann Tausende Euro Strafe (Regress) oder vermehrte diagnostische Maßnahmen zur Beruhigung des Patienten, aufgrund der Deckelung, aus der eigenen Tasche. Die eigentlich Verantwortlichen für die Unzufriedenheit, Kassen und Politiker, sind dabei fein heraus."

Dr. Hans Jungk München

Auf dem Weg in die Bertelsmann-Republik

"Schon immer stimmen Patienten darüber ab, in welcher Arztpraxis sie sich gut aufgehoben fühlen, und das ist gut so. Sie tun dies ohne Internet, mit ihren Füßen. Aufhorchen lässt, dass die Bertelsmann-Stiftung eine Bewertungsplattform im Internet etablieren will.

Getarnt als gemeinnützige Stiftung, mit 75 Prozent Aktienkapital der Bertelsmann-AG im Rücken, nebenbei ein wunderbares Steuerschlupfloch und unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Objektivität hat diese Bertelsmann-Stiftung bei vielen umstrittenen Reformen im Hintergrund mitgewirkt, bei Hartz-Gesetzen, Einführung von Studiengebühren und Gesundheitsreformen. Hier macht das Ehepaar Liz und Reinhard Mohn unbemerkt von der Öffentlichkeit mit ihrem gewaltigen Medienimperium Politik, die Freundin Friede Springer arbeitet zu. Vor wenigen Tagen zog Bild über schlechte Ärzte her, ein Zufall ?

Auch die Rhön-Klinik-AG, die auf den Markt der ambulanten ärztlichen Versorgung drängt, zählt zum Bertelsmann-Imperium, ein Zufall? Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium Dr. Schröder und Gesundheitsökonom Prof. Lauterbach haben gut dotierte Beraterverträge mit der Rhön-Klinik-AG, ein Zufall? Warum werden über alle verfügbaren Medien niedergelassene Ärzte diskreditiert? Die Rhön-Klinik AG kann es in der ambulanten ärztlichen Versorgung besser. Geht die Souveränität noch vom Volke aus, wenn viele unserer Politiker bereits an den Fäden weniger Medienkonzerne hängen? Willkommen in Italien von Berlusconi!"

Dr. Stefan Eidam Egelharting

Prüfung ja, aber nicht durch Laien

"Auch ich bin für TÜV-Prüfungen. Aber wer würde sein Auto von Laien prüfen lassen und dafür auch noch ein Zertifikat ausstellen wollen? Die TÜV-Prüfung wird durch Prüfingenieure durchgeführt, die in der Regel bestens mit der Materie vertraut sind.

Den Ärzte-TÜV kann doch nicht eine Masse von Laien durchführen, deren Sachkunde darauf beruht, dass sie jetzt gerade mal beim Arzt waren. Ich bin seit über 26 Jahren Kassenarzt und stelle mich gerne fachkompetenter Kritik und Qualitätskontrolle."

Bernd Schnizlein Neustadt

Was den zufriedenen Patienten ausmacht

"Als langjährig tätige Arzthelferin wurde mir in vielen Praxisführungsseminaren beigebracht, dass die freundliche Arzthelferin, das gemütliche Wartezimmer, der Blumenschmuck, die Zufriedenheit und die Bindung des Patienten an die Praxis in erster Linie beeinflussen, noch bevor der Patient den Arzt zu Gesicht bekommen hat.

Jetzt soll der Patient als Hilfesuchender sein Gegenüber fachlich beurteilen? Der Arzt, der dem Patienten Lifestyleänderung, Gewichtsabnahme und Sport (übrigens sehr effiziente, für die Kassen kostengünstige Verfahren) empfiehlt, wird wohl schlechter beurteilt werden als der Mediziner, der für jedes Problem eine Pille verschreibt. Ärztliche Qualität wird durch Fortbildungsverordnungen, Qualitätsmanagement, interne und externe Qualitätskontrollen in Deutschland ständig gefordert und überwacht."

Ursula Sessler Ingolstadt

Die Nettigkeit zählt

"Ein Ärzte-TÜV wird ja nicht zum ersten mal gefordert. Dass die früheren Bemühungen in dieser Richtung zu keinem Erfolg geführt haben, hat seine Gründe. Es sind nicht die übermächtigen 'Ärztekartelle', die eine Realisierung verhinderten, sondern sachlich-rationale Gründe.

Dafür, dass die berufstätigen Ärztinnen und Ärzte nicht auf dem Wissensstand von anno dazumal stehen bleiben, sorgt das Pflichtzertifikat, das innerhalb eines Zeitraums von 5 Jahren eine Mindestpunktzahl von 250 Punkten einfordert. (Das beinhaltet für einen definierten Zeitraum eine bestimmte Fortbildungspunktzahl, d.h. man muss für seine Fortbildung und seinen aktuellen medizinischen Wissensstand schon etwas tun !)

Ein 'Ärzte-TÜV' lässt sich aber nicht so leicht und realistisch umsetzten wie der Test einer Kaffeemaschine. Bei den früheren Bemühungen um einen 'Ärzte-TÜV' hatten Umfragen bei den Patienten ergeben, dass im Ranking bei der Bewertung, die 'Nettigkeit' bzw. die 'Freundlichkeit' der Ärztinnen/Ärzte an erster Stelle stand.

Nun sagt aber die Tatsache, dass die Ärztin/der Arzt 'nett' zu den Patienten ist, mitnichten etwas über die Fähigkeit aus, eine richtige Diagnose zu stellen, bzw. eine entsprechende Therapie vor zu schlagen. Nach über 37-jähriger Tätigkeit als Allgemeinarzt auf dem Lande und 30 Jahren Berufspolitik in meinungsbildender Position, kenne ich meine Pappenheimer: Ärztinnen/Ärzte, die grosse Praxen , d.d. viele Patienten haben, müssen in der aktuellen Medizin nicht unbedingt up to date sein, wie es umgekehrt Ärztinnen/Ärzte gibt, die medizinisch exzellent sind. aber nur durchschnittlich grosse Praxen haben.

Es spielt also bei der Akzeptanz ( und dies ist die aktuelle Patientenbewertung ) der Ärztin/des Arztes etwas anderes eine zentrale Rolle: die Empathie! Die hat der grosse Arzt Michael Balint gemeint mit der Aussage: jeder Arzt hat seine Patienten und jeder Patient hat seinen Arzt. Und diese Empathie kann keine Ärzte-TÜV regulieren! Wenn die AOK statt Selbstdarstellung für ihre Kunden etwas tun will, könnte sie veranlassen, dass an der Stellschraube 'Fortbildung' etwas Feinarbeit geleistet wird und so die Patienten besser erkennen können, was ihre Ärztin/ihr Arzt für sie, die Patienten tut!"

Dr. Egon Mayer Erdweg

Experten in eigener Sache

"Patienten sind zwar keine Medizinexperten, werden aber im Verlauf langer Kranken (=lebens)geschichten oft zu 'Experten in eigener Sache'. Die Einführung dieses (Internet-) Mediziner TÜV wäre für mich Grund genug, einen Krankenkassenwechsel zu überlegen (v. der DAK zur AOK). So ein TÜV/Bewertungssystem mag anfällig für Mißbrauch sein; extrem missbrauchsanfällig aber ist vor allem der Patient -durch Ärztemacht- u. abhängigkeit."

Annette Gümbel-Rohrbach München

Verschwendung von Beiträgen

"Oft fragt man sich, wohin die Milliarden im Gesundheitssystem versickern. Hier wieder ein Beispiel, wie die Beiträge der Pflichtversicherten für versicherungsferne 'Leistungen' verschwendet werden."

Dr. Michael Neuber Fürstenfeldbruck

Der neuzeitliche Pranger

"Das Internet liefert die Plattform für eine neuzeitliche Form des mittelalterlichen Prangers, an den wie damals Individuen, keine Einrichtungen gestellt werden. Worin besteht der Nutzen des Vorhabens der AOK? Was soll anderes dabei herauskommen, als dass sich eine Vielzahl benachteiligt fühlender Patienten zum Denunzieren aufgerufen fühlt? Und dies, so ist anzunehmen, anonym und ohne Beweislast tragen zu müssen, während die Zielscheibe Gefahr läuft, per Rufmord wirtschaftlich ruiniert zu werden.

So wird einmal mehr ein Teil der Bevölkerung zum Kontrolleur eines anderen und die Gesellschaft zerfällt weiter in ihre Einzelteile. Divide et impera. Wenn es der AOK mit dem angegebenen Ziel ernst wäre, so stärkte sie die vorhandenen Kontrollinstanzen Medizinischer Dienst und Ärztekammer, bei denen Fachleute die erforderliche Expertise besitzen, medizinisches Handeln beurteilen zu können.

Und einen guten Arzt zu finden, wird ohnehin immer schwierig bleiben, da subjektive Faktoren (z.B. "Die Chemie muss stimmen") nicht per Mehrheitsvotum zu erfüllen sind, die objektiven, die medizinisch-naturwissenschaftlichen, aber kaum von Laien verlässlich angewandt werden können. Ich bin kein Arzt, aber sollte meine Krankenkasse die AOK nachahmen wollen, würde ich mich dem verweigern."

Wolfgang Wendt Berlin

© SZ vom 17.06.2009/dab - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: