4. Februar 2009:"Weiblich und links ist nicht gleich machtgeil"

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Leser fragen sich, ob "persönlicher Ehrgeiz" verwerflich ist, ein Freibetrag für Arbeitslose zynisch und Radfahrer eine Haftpflichtversicherung benötigen.

"Vorwurf ohne Substanz", 30. Januar

"Wie wohl die politische Szene mit Akteuren ohne 'persönlichen Ehrgeiz' aussähe?" (Foto: Foto: ddp)

"Ist es eigentlich noch möglich, dass ein Mensch, der a) weiblich und b) links ist, für ein Amt kandidiert, ohne dass sofort wie in 'Vorwurf ohne Substanz' (30. Januar) auf 'persönlichen Ehrgeiz' als Antriebskraft verwiesen wird? Bei der Rudelvergewaltigung von Frau Ypsilanti durch große Teile der deutschen Publizistik (einschließlich der SZ) stand ja noch einiges auf der Kippe: Macht und Geld, und der gute alte Antikommunismus als traditionsreiche Geschäftsgrundlage so mancher Schmuddelei war natürlich auch ganz handsam. Und als es die Grundüberzeugung jedes aufrechten Deutschen war, sich von dieser 'machtgeilen Zicke' rechtschaffen entrüstet abzuwenden, war die Sache ja gelaufen: Die Erfinder der jüdischen Vermächtnisse sind im Amt. Die Geschäfte laufen ungestört.

Aber die Kandidatur von Frau Schwan für dieses ja nun doch nicht sonderlich wichtige Amt? Dass sie Impulse geben würde, die sich von denen eines früheren IWF-Chefs unterschieden, ist doch genauso klar wie dass sie keine Chance hat, die Wahl zu gewinnen. Also freuen wir uns doch einfach, dass wir zwei intelligente und interessante Kandidaten haben, die miteinander konkurrieren. Wie wohl die politische Szene mit Akteuren ohne 'persönlichen Ehrgeiz' aussähe?"

Christoph Denstaedt, Berlin

Mehr Demokratie durch Wettstreit

"Gesine Schwan beunruhigt der Gedanke, mit der Demokratie in Deutschland könne gegenwärtig etwas nicht so ganz in Ordnung sein. Dass das keineswegs 'ohne Substanz' ist, dafür liefert dieser Meinungsartikel ungewollt gleich selbst einen Beleg. Nur vordergründig geht es hier überhaupt um eine kritische Äußerung von Gesine Schwan zur Amtsführung des gegenwärtigen Bundespräsidenten, dahinter wird als die eigentliche Meinung deutlich: Es ist ein Skandal, dass sie überhaupt als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten auftritt. Nicht die Sorge um die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland treibt Gesine Schwan an, sondern rein 'persönlicher Ehrgeiz', so wird unterstellt, und das Thema 'Gefährdung der Demokratie' ist für sie nur ein Mittel zur Befriedigung dieses persönlichen Ehrgeizes, 'irgendein' anderes, genauso unbegründet aufgegriffenes, könnte es angeblich auch sein.

Das ist eine infame Verunglimpfung der Person der Kandidatin, zugleich eine Abqualifizierung ihrer wissenschaftlichen Lebensleistung, die schließlich nicht erst seit Beginn ihrer Kandidatur um das Amt der Bundespräsidenten datiert, es ist in dieser Doppelung durch nichts gerechtfertigte, pure Meinungsmache mit dem Ziel, das Image der Kandidatin zu zerstören. Schlimmer noch: Es wird Gesine Schwan zum Vorwurf gemacht, dass sie überhaupt die Auseinandersetzung sucht, sich mit ihren Vorstellungen ins Gespräch bringt und damit womöglich die 'öffentliche Stimmung' beeinflusst. Das nämlich darf nach Meinung des Autors nicht sein, das ist für ihn unerlaubter 'Wahlkampf'.

Demokratie heißt aber doch, dass Ämter (auch das Amt des Bundespräsidenten) nicht durch Absprache hinter den Kulissen besetzt werden, sondern dadurch, dass es Kandidaten und Gegenkandidaten gibt, dass zwischen ihnen eine öffentliche Auseinandersetzung stattfindet und dass schließlich über die Besetzung des Amtes die freie Wahl der Wahlberechtigten entscheidet. Es ist demokratiefreundlich, dass Gesine Schwan kandidiert. Dies zu verhindern oder zu hintertreiben, gefährdet die Demokratie."

Dr. Jürgen Viering, Bovenden

"CSU fordert Gesine Schwan zum Rückzug auf", 30. Januar

Unverständliche Sprache schafft Politikverdruss

"Frau Schwan irrt. Die Gefahr der 'Erosion der Demokratie' geht nicht von den Bürgern aus. Sie beginnt bei der für den Normalbürger nahezu unverständlichen Sprache der Politiker. Wer schon mal einen Gesetzestext gelesen hat wird dies nur bestätigen. Was Herr Köhler angemahnt hat, ist eine verständlichere Ausdrucksweise. Wenn er dies auch mit seinen bescheidenen rhetorischen Mitteln getan hat, so kann ihm das nicht zum Vorwurf gemacht werden. Der mangelnde Wille der Politiker ihre Entscheidungen verständlich zu erklären, ist die eigentliche Ursache. Wenn Frau Schwan glaubt die 'Politikerschelte' von Herrn Köhler als Instrument nutzen zu können, tut sie dies - und hier widerspreche ich dem Kommentar - bewusst. Der Bundespräsident wird von einer Versammlung aus Politikern und Delegierten der Parteien gewählt. Mit ihrem Volke unzufriedene Politiker zu gewinnen, ist ihr eigentliches Ziel. Dieses Kalkül entspricht nicht meiner Vorstellung einer/s Bundespräsidentin/en."

Oswald Rudrich, München

"Haftpflichtpflicht", 30. Januar

Autofahrer, nicht Radler verursachen Verkehrstote

"Die Forderung nach einer 'Haftpflichtpflicht' für Radfahrer ist eine überzogene Reaktion: Ihr Beitrag hätte erwähnen sollen, dass an Unfällen zwischen Kraftfahrzeugen und Fahrradfahrern die Schuld am Unfallgeschehen zu zwei Dritteln bei den Autofahrern liegt; an der Anzahl der Verkehrstoten tragen Radfahrer zu 0,3 Prozent die Schuld, Autofahrer zu 99,7 Prozent, in absoluten Zahlen sind das also etwa 15 Tote zu etwa 4985, wobei die Zahl der getöteten Fußgänger bereits berücksichtigt ist. Die Wahrscheinlichkeit, als Fußgänger vom Blitz erschlagen zu werden, ist also genauso hoch, wie durch einem rasenden Radfahrer zu Tode zu kommen.

Nahezu alle gefährlichen Regelverstöße von Autofahrern gegenüber Radfahrern ( zu geringer Seitenabstand, unachtsames Öffnen von Fahrzeugtüren, Vorfahrtmissachtung an Grundstücksausfahrten und beim Rechtsabbiegen) werden nur von den unmittelbar Beteiligten wahrgenommen, polizeilich aber nicht registriert und erst recht nicht geahndet. Wenn nun die Frage einer Haftpflichtversicherung für Radfahrer diskutiert wird, so muss auch die Angemessenheit im Hinblick auf die erwähnten Statistiken gestellt werden. Schließlich muss auch gefragt werden, wie eine Überwachung praktisch funktionieren soll. Schon die polizeiliche Überwachung etwa an stark befahrenen Hauptstraßenkreuzungen, an denen bei jeder Ampelphase mindestens ein Rotlichtverstoß zu registrieren ist, findet nicht statt. Wie sollte die Überwachung gegenüber Radfahrern stattfinden, die der Versicherungspflicht nicht nachgekommen sind?"

Wolf-Dieter Neupert, Berlin

"Arm und Reich - in der Not gleich?", 30. Januar

Eine zynische Sozialpolitik

"Zum Artikel muss folgendes ergänzt werden: Ein 'Freibetrag' bedeutet natürlich nicht, dass man diesen Betrag bekommt, sondern dass nur den Freibetrag übersteigende Einnahmen versteuert werden. Woher sollen aber langjährige Arbeitslose (ALG II-Empfänger) solche Beträge haben? Die Frage stellt sich vor allem bei Altersrentner, deren Rente, aus welchen Gründen auch immer (Krankheit, Pflege von Angehörigen) unter dem Existenzminimum liegt und sie deshalb sogenannte Grundsicherung erhalten. Nachdem man jahrelang der Öffentlichkeit erzählt hat, die Grundsicherung solle eine verbesserte Sozialhilfe für die Alten werden, hat man sie dann plötzlich auch mit ALG II-Empfängern gleichgeschaltet.

Das ist sogar formal eine Verschlechterung gegenüber der frühere Sozialhilfe, da diese zum Beispiel 'bis auf weiteres' gewährt wurde, die Grundsicherung aber heute jedes Jahr umständlich neu beantragt werden muss. Die Schwächsten erhalten nur das Existenzminimum von 351 Euro, von denen aber, außer Miete und Krankenkasse, alles bezahlt werden muss: Ernährung, Kleidung, Strom, Telefon, Kontogebühren, Postgebühren, Fahrkarten. Für größere Ausgaben, etwa den Ersatz des kaputten Kühlschranks, soll der Betroffene 'Rücklagen ansparen'. Ein zynischer Witz. Die dringend notwendige Erhöhung der monatlichen Grundsicherung um 50 oder 100 Euro würden den Staatshaushalt, im Gegensatz zu den Riesen-Hilfssummen für Banken, nicht überfordern. Oder man sollte das Gerede vom Sozialstaat einstellen."

Franz Sandor, Feldafing

© aus der SZ vom 4. Januar/agfa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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