Wasserrutschen an der Türkischen Riviera:Adrenalinkick in der Röhre

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Höher, länger, steiler: Die Hotels an der Türkischen Riviera überbieten sich gegenseitig mit spektakulären Wasserrutschen. Höchste Zeit, sie einmal ausgiebig zu testen.

Eva Thöne

Dönerrutsche, Güral Premier Tekirova, Kemer

Türkische Ferienresorts überbieten sich gegenseitig mit immer noch ausgefalleneren Wasserrutschen. (Foto: dpa)

Ibrahim Kaya steht ganz oben auf der Plattform, zu der sich drei Rutschen wie weiße, verknotete Gedärme vor dem blauen Himmel emporschlingen. Er arbeitet heute an der kurvenreichen Dönerrutsche, die so heißt, weil sich der Körper des Rutschenden hier permanent in unterschiedliche Richtungen verdrehen soll - so, wie sich auch das Fleisch am Dönerspieß ständig dreht. Ibrahim ist als Rettungsschwimmer einer der wenigen 800 Hotelangestellten des Güral Premier Tekirova, die tatsächlich schon mal gerutscht sind. Die Hotelmanager selbst haben die Aquaparks fast nie ausprobiert und sagen das oft mit einem amüsierten Lächeln, als würden sie dermaßen sinnfreie Späße nun wirklich gerne den Touristen überlassen. Ibrahim aber macht seinen Job am Rutscheneingang passioniert: Er begrüßt jeden, der zu ihm auf die Plattform steigt, in gebrochenem Englisch, aber mit breitem Lächeln, und wünscht dann, die Stimme dem Anschieberhythmus angepasst, eine gute Fahrt: "Goodbyeee!"

Manche seiner Kollegen geben den großen Wasserreifen nur achtlos einen Schubs mit dem Fuß. Ibrahim aber schiebt nicht nur an, sondern hängt sich bis nach der ersten Kurve mit dran, obwohl er dann durch die Rutsche wieder hoch laufen muss. Die kurvige Dönerrutsche verursacht allenfalls einen ganz netten Taumel. Wegen Ibrahim aber steige ich trotzdem ein zweites Mal hoch. Vielleicht hat seine Begeisterung damit zu tun, dass er vorher Kartenabreißer im Kino war, erst seit vier Monaten hier auf der Plattform steht und noch nicht genervt ist von den wuseligen Zehnjährigen, die schon zum Eingang drängen, wenn die Bahn noch gar nicht frei ist.

Wer rutscht: sogar der Bademeister

Aussicht: das Taurusgebirge

Urteil: leichter Dusel

All Space Hole, Susesi Resort, Belek

Am überbordenden Buffet im Restaurant sind Lachsröllchen auf weißem Porzellan angerichtet, daneben Schokopralinen auf Silberlöffelchen. Zwischen den Familiengästen sieht man einige Sporturlauber, weil in Belek in den vergangenen Jahren viele Golfanlagen gebaut wurden. Vielleicht fällt der Luxus hier wegen der als anspruchsvoll geltenden Klientel so üppig aus. Und vielleicht steht hier auch deshalb die besonders verheißungsvolle Rutsche "Space Hole" gleich gegenüber der weißen Strandpavillons, die aussehen wie die Kulisse einer Raffaello-Werbung. Besonders verheißungsvoll, weil Rutschen im Weltall immer Action garantiert: "Ich bin dein Vater", eröffnet Darth Vader dem Jedi-Aspiranten Luke Skywalker in "Star Wars". Schockiert von dieser Nachricht, stürzt sich der Sohn in einen Luftschacht und kurvt in einer spektakulären Rutschenfahrt durch ein Röhrensystem bis zum Boden der Wolkenstadt.

Wie ein Jedi fühle ich mich nur auf den ersten Metern der Rutsche, wo man, ganz wie Luke, durch eine kurvige Röhre schlittert. Dann aber plumpse ich über eine Kante in ein großes Becken, das von außen zumindest entfernt wie eine achteckige Raumkapsel aussieht. Hier soll man theoretisch zweimal kreisen, um dann in der Mitte in einem Loch in ein Auffangbecken zu verschwinden. Leider macht die fehlende Fliehkraft alle Erwartungen zunichte: Schon nach einer halben Runde trudele ich träge aus. Und fühle keinen Geschwindigkeitsrausch, sondern komme mir vor wie eine Makkaroni, die beim Abschütten aus dem Sieb geflutscht ist und nun gen Abfluss eiert. In dieser Galaxie reicht es nicht mehr zum Jedi. Ich bleibe eine Nudel.

Wer rutscht: Golfer, die Abkühlung suchen

Aussicht: Luxus-Strandpavillons

Urteil: große Klappe, nichts dahinter

All Free Fall, Maxx Royal, Belek

Leider treffe ich Florian Pfeiffer erst, nachdem ich mich schon an einer Free-Fall-Rutsche versucht habe, bei der es einfach ziemlich steil bergab geht. Denn Pfeiffer weiß, wie man richtig rutscht. Er hat im März gegen mehr als 30 Konkurrenten bei den Deutschen Meisterschaften im Wettrutschen gewonnen, und jetzt nimmt er am Rutschenturnier des Reiseveranstalters Öger teil. Nach meinem ersten Versuch auf der Free Fall saß ich verdattert in einer großen Wasserlawine. Mein Bikini hielt zwar noch gerade so am Körper, aber an Stellen, an die er nicht gehört. "Um den Bikini nicht zu verlieren, können sich Frauen nach vorne beugen", sagt Pfeiffer, "wie ein Klappmesser." Das Oberteil werde so auch die Fahrt nicht zusätzlich bremsen. Denn am schnellsten werde beim Rutschen, wer möglichst wenig Reibungsfläche bietet. Deshalb ziehe in der Rutschenszene jeder die Badehose bis in die Poritze hoch, erklärt der Experte Pfeiffer.

Als ich das nächste Mal oben an der steilen Rutsche stehe, ringe ich mit mir. Um der Geschwindigkeit willen die Badehose zum Tanga machen? Nein!

Wobei: Hier im luxuriösen Hotel gibt es ziemlich viele Russen. Von der Bademode lässt sich erstaunlich sicher auf die Nationalität des Gastes schließen. Deutsche zum Beispiel sind oft unauffällig unterwegs mit Badeshorts in gedeckten Farben. Russen sind modisch viel selbstbewusster: enge Badehosen, die immer extrem knapp und tief getragen werden - auch, wenn sich ein Wanst im Waschtrommelformat über den Gummibund drängt. Die Shortsträger würden eher schief gucken, wenn ich jetzt meine Badehose in einen String verwandelte. Aber im Moment - was soll's.

Wer rutscht: Russen in knapper Badehose

Aussicht: der Rest des Wasserparks

Urteil: für Profis

All King Cobra, Maxx Royal, Belek

Solange man auf dem sicheren Boden steht, mag man die Schlangenrutsche noch ironisch milde belächeln. Denn im Aquapark des Maxx Royal ist der Nervenkitzel völlig frei von ästhetischer Zurückhaltung gestaltet: Aus Lautsprechern im dunklen Maul der Riesenkobra dringen irres Hexengekicher und Heulen. Der Reptilienkopf mit dem grellen Schuppenmuster ist besprüht im Stil der mittelmäßigen Graffiti, die auch die Autoscooter auf deutschen Dorffesten schmücken. Auf der Treppe zum Rutscheneingang in 17 Metern Höhe vergeht mir das Lachen dann aber mit jeder der 87 Stufen ein bisschen mehr. Dafür werden die Beine bei jedem Schritt etwas weicher. Gleich werden wir in Zweierreifen zuerst durch den Schlangenschwanz kurven und dann ausgespuckt auf eine steile Rutsche, die in einem 50-Grad-Winkel abfällt. Hier soll man kurz abheben und unter dem Maul des Reptils in einer riesigen Halfpipe auspendeln. Die Kobra zeugt eindrücklich davon, dass das Geschäft mit den Wasserrutschen immer weiter auf die Spitze getrieben wird. Und sie passt ziemlich gut zu diesem neuen Luxushotel hier, wo die Häuser des Kinderclubs mit überdimensionalem, knallbuntem Geschenkband verziert sind.

In der ersten Rechtskurve nach dem Rutscheneinstieg muss man sich - scheinheiligerweise! - noch Anschwung geben, aber dann wird man immer schneller. Als mich der Schlangenschwanz ausspuckt und ich tatsächlich für einen Moment abhebe, fühlt sich das kurz wunderbar frei und fürchterlich schutzlos an. Die Worte meines Mitrutschers, der sich bislang mutig jede steile Rutsche hinuntergestürzt hat, sind das Letzte, was ich höre, bevor wir in die Tiefe fallen: "Oh, verdammt!"

Wer rutscht: wenige mutige Russen

Aussicht: Hotel in Beverly-Hills-Optik

Urteil: große Klappe, viel dahinter

All Black Hole, Güral Premier, Belek

Ein bisschen fühlt man sich im Wasserpark des Club Güral Premier Belek wie in einem rustikalen Waldbad. Die 16 Rutschen ragen aus grünem Blattwerk hervor, an der Snackbar neben dem kleinen Kiosk gibt es keine Lachshäppchen, sondern viel Frittiertes. Und die Grillen unter den hohen Pinien zirpen lauter als Modern Talking "Cheri Cheri Lady" aus den Boxen keuchen können. Am Eingang der dunklen Tunnelrutsche wartet dann auch vor allem die Klientel, die man aus dem Freibad daheim kennt: kleine Jungs mit Klebetattoos, die sich größer fühlen, als sie sind. Und große Männer mit echten Tattoos, die nie erwachsen geworden sind. Die Black Hole gibt sich nicht überkandidelt, sondern sorgt für einen angenehm geerdeten Adrenalinkick: Im Stockdunkeln gehe ich zwar zweimal in Kurven, die gar nicht da sind, lehne mich dann aber zurück in eine süffige Orientierungslosigkeit. Unten sitzen drei Generationen der Familie Pohl aus Franken unter den Pinien an der Snackbar. Von der Oma bis zum sechsjährigen Marlon rutschen sie alle. "Nur wegen der Rutschen sind wir aber nicht angereist", sagt Vater Armin Pohl. "Wir waren auch schon am Meer." Vielleicht würden hier mehr Leute im Meer baden, wenn eine Rutsche hineinführen würde, sinniert man nachts am leeren Strand. Wobei: Weil jetzt der Bass von der Samba-Party nur leise herüberwummert, hört man auch hier die Grillen. Und ist froh über das Bauverbot direkt am Strand und den unverstellten, rutschenfreien Blick aufs Meer.

Wer rutscht: deutsche Familien

Aussicht: Wasserreifen, der im rostigen Stacheldraht hängt

Urteil: Heimatgefühle

© SZ vom 26.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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