Wanderungen auf Gomera:Lebenslust im Nebelland

Nach den Hippies kommen die Profiteure: Auf der zweitkleinsten Kanareninsel tobt der Kampf um die Gunst der Touristen.

Von Hubert Filser

Die Fähre

Mächtige weiße Fontänen schießen unter dem Bug des Katamarans heraus. Durch das aufgeschäumte Wasser schimmert das Blau des Meeres. Auf dem Meer dümpeln entfernt ein paar Grindwale. Die Spur der Fähre, die sich von Teneriffa nach Gomera zu deren Inselhauptstadt San Sebastian hinüber zieht, ist noch lange zu sehen wie der Kondensstreifen von Flugzeugen. Doch wer nach Gomera fährt, reist eben nicht mit dem Flugzeug an. Die Insel hat praktisch keine ebenen Flächen. Ein Flughafen wurde zwar in die abfallenden Hänge gefräst, große Jets dürfen auf der kurzen Piste jedoch nicht landen.

Die so verlängerte Anreise ist ein Glück für Gomera. Es wäre eine andere Insel, könnte man sie wie Gran Canaria oder Teneriffa von Deutschland aus in vier Stunden anfliegen. Es fehlte der Kontrast zu Teneriffa Süd, von wo aus Tausende geröteter Engländer wieder heim nach Bristol oder Manchester fliegen.

Die Fähre, die in den Hafen von San Sebastian einfährt, scheint viel zu groß zu sein für die kleine Atlantikinsel, höher als das höchste Haus auf Gomera. Auf dem Schiffsrumpf steht in mächtigen Buchstaben ein Name: Fred Olsen. Seit 1974 hat die Reederei 27 Millionen Passagiere und drei Millionen Autos zwischen den kanarischen Inseln transportiert. Die norwegische Familie Olsen - einst reich geworden, als sie die Wasserrechte der Insel erwarb - dominiert Gomera. Derzeit betreibt sie neben der Fährlinie auch die größte Hotelanlage der Insel in Playa Santiago. Wäre nicht der Nationalpark, der ein Drittel von Gomera bedeckt, das Unternehmen Olsen würde noch mehr nach dem Prinzip seiner Fähre arbeiten: die Massen ansaugen und mit Hochdruck wieder ausspucken.

Noch ist Gomera kein Massenziel, obwohl es für Touristen viel zu bieten hat. Seit einiger Zeit wird nun auch der Hafen von Vueltas im Valle Gran Rey ausgebaut, zum größten Yachthafen der Kanaren. Ein Berg wird dafür abgetragen, Molen werden befestigt. Es ist ein gewaltiges Unterfangen, das das Valle Gran Rey verändern wird. Gomera ist die grünste, wasserreichste Kanareninsel, Kolumbus lud auf Gomera vor seiner Atlantiküberquerung im August 1492 Wasser und Proviant: ¸¸Von hier aus brach Kolumbus auf" steht im Stadtwappen von San Sebastian. Die Gomeros behaupten, dass Amerika mit dem Wasser aus dem Brunnen ihres Zollhauses geweiht wurde.

Bei Maria im Valle

Manches auf dem Weg nach Gomera hat also rituelle Züge, als ob man in Teneriffa das Übel der Welt hinter sich lassen würde. Doch angekommen ist man erst, wenn man sein erstes Bier oder den ersten Kaffee trinkt bei Maria im Valle. Jeder landet irgendwann bei ihr. In der Regel fährt ein deutscher Tourist direkt ins Valle Gran Rey, zu Marias Pension und der zugehörigen Bar Las Jornadas. Bekannt gemacht haben sie die Hippies, die wenigen übrig Gebliebenen aber muss man hier lange suchen.

Heute sitzen vor der Bar bei Sonnenuntergang Trommler auf den Steinen am Strand und trommeln die Sonne ins Meer. Vieles wirkt wie eine Kopie vergangener Tage. Eine Frau windet ihren Wickelrock um die handgemachte Kaktus-trommel, dreht sich Richtung Sonne und trommelt los. Auch ihr kleiner Sohn schlägt ab und zu auf das gespannte Ziegenfell. Der Mann daneben hat ein Tuch um seinen Kopf geschlungen, er klopft auf eine Bierflasche und wiegt seinen Kopf so, als würde er gerade im Geiste weit reisen. Dabei beobachtet er heimlich, wie es bei dem dritten läuft, einem bärtigen Typen, der mit einer grün-rot gestreiften Narrenkappe Geld einsammelt.

Maria selbst trägt meist dunkle Kleider und wirkt gut gelaunt. Sie war als erste hier unten am Strand mit ihrer Pension. Sie hat in fast 50 Jahren Generationen von Hippies erlebt, vielleicht hört sie die Trommeln vor ihrer Haustür schon gar nicht mehr. Die Inselzeitung Valle Bote berichtet ehrfurchtsvoll über sie. Auch wenn Maria als erste, die am Strand Zimmer anbot, eigentlich Vorbotin des Tourismus war im Valle Gran Rey und die Lage sehr viel nüchterner einschätzt, als viele ihrer Gäste das tun.

Der Valle Bote

Verantwortlich für den Valle Boten ist Capitano Claudio, der eigentlich Claus Heinrichs heißt. Das Blatt ist seit beinah zwölf Jahren Pflichtlektüre der deutschen Gemeinde. Ironisch schreibt Claus Heinrichs über das Leben, die Liebe, das Meer und halbprominente Inselgrößen. Nur bei Hotels und Restaurants lässt Capitano Claudio Milde walten - es sind schließlich Anzeigenkunden.

Wenn man die Anzeigen über die Jahre studiert, lernt man einiges: Etwa, dass Leute wie der Makler Carlos Alonso die Insel mit immer mehr Appartements überziehen. Die Bettenzahl steigt stetig. Sein Slogan: ¸¸Wir verkaufen Lebensqualität in Harmonie mit der Natur." Ein anderer Gazetten-Dichter erinnert an die alten, viel harmonischeren Zeiten: ¸¸Genau dort, wo heute ein blank asphaltierter Verkehrskreisel vor der touristischen Zukunft der Insel erschauern lässt, duckte sich früher ein kleiner, Palmblatt-gedeckter Schuppen in die üppig wuchernden Bananen." Sentimentale Wanderungen. Frauen tauchen darin auf, die einem geflochtene Armbänder aus Elefantenhaar anlegen, während man trinkt und nicht nur Nachtvögel ihren heiseren Lockruf ausstoßen. Eine rundliche Spanierin hängt am Arm eines weißbärtigen Seemanns, ¸¸der angeblich El Capitano hieß und für den Bootsverkehr auf der Insel zuständig sein sollte".

Dies ist wichtig auf Gomera, dieser Insel, auf der die Deutschen vom möglichen anderen Leben geträumt haben. Die einstigen Nischen sind besetzt. Was viele hier hält, ist der Tourismus und die Hoffnung auf letzte Zufluchtstätten.

Die Täler

Eine dieser Stätten hatte Anfang der 90er Jahre der österreichische Aktionskünstler Otto Mühl aufgebaut, die Kolonie El Cabrito, ein Ort voller Abhängigkeiten und schmutziger Geschichten. Von ¸¸Sodom und Gomera" war zu lesen, der Kunst-Guru wurde wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt. Heute befindet sich dort eine Art Fortbildungszentrum, das nur mit dem Boot zu erreichen ist.

Ins Vallehermoso gelangt man dagegen ohne Hindernisse mit dem Auto. Dort, so war im Valle Boten zu lesen, sollen sich die letzten Hippies zurückgezogen haben. Bekannt ist Vallehermoso, das ¸¸schöne Tal", für seine Obstgärten, in denen neben zahlreichen Südfrüchten auch Äpfel, Birnen und Pflaumen gedeihen. Oft ist es dort nebliger als im Valle Gran Rey. Irgendwie scheint das aufs Gemüt zu schlagen. Wenn man durch den Ort Vallehermoso fährt, kann es passieren, dass vor einem ein Geländewagen in zweiter Reihe mit offener Tür den Weg versperrt. Wagt man als ahnungsloser Gomera-Reisender zu hupen, beginnt ein anschwellendes Gezeter des Fahrers, ein zweiter Typ kommt hinzu. Bei einem Gebrüll, das nach ¸¸del mondo"- größter Idiot - klingt, gibt man lieber Gas, zumal der Typ auf die Motorhaube zu schlagen beginnt. Die friedlichen Hippies im Nebel dürften das nicht gewesen sein.

Dona Efigenia

Auch Dona Efigenia erlebt in ihrer Bar La Montana sicher sehr viel Nebel. Ihr Restaurant liegt nämlich so weit oben, dass die Schwaden den Ort Las Hayas oft verschlucken. Dona Efigenia ist die zweite Berühmtheit der Insel neben Maria. Zwei Königinnen, die sich das Land geteilt haben: die eine herrscht über den Strand, die andere über die Berge. Dona Efigenia ist berühmt für ihr Essen. Betritt man ihr Lokal, bekommt man nur eine Frage gestellt: Mangar? Dann sagt man ja oder nein, essen oder nicht. Ab dann bestimmt Dona Efigenia, was auf den Tisch kommt, es ist ihr Menü. ¸¸Hasta la vista", sagt Dona Efigenia. Dabei steht kein Arnold Schwarzenegger vor einem, sondern eine zierliche ältere Dame. Es wirkt alles handgemacht, die langen Tische sind mit Plastikdecken überzogen, an den Wänden hängen die vielen Zeitungsberichte über Dona Efigenia. Hier im La Montana führt sie Regie, sie kassiert, niemand sonst. Es ist ihr Haus, ihre Kneipe, ihr Essen. ¸¸Muy bien", sagt sie, als sie den Eintopf hinstellt. Und ¸¸delicioso" sei der Gofio, ein karamelgelbes Etwas aus Mais, das nach Erdnüssen duftet. Mojo rojo darüber, fertig. ¸¸Excellente!" Natürlich. Nun, mojo rojo, die Paprikapaste, die man so scharf ausspricht, wie sie schmeckt, gibt es überall auf der Insel, meist zu Kartoffeln in Salzkruste. Dass man ein wenig auf das Essen warten muss, gut. Dafür kommen die Zutaten aus ihrem Garten. Und bei Dona Efigenia hätte man auch noch im größten Überfluss das Gefühl, ein Festmahl stünde vor einem auf dem Tisch. Und am Ende lächelt sie ihr breites Lächeln, rechnet schnell alles im Kopf zusammen, vor ihr liegt nur ein Zettel mit ein paar Zahlen.

Der Nebel und die Wälder

Gomera, das sind eigentlich zwei Inseln. Die eine kennt nur Strand und Wärme. Die andere liegt oben in den kühleren Bergen, um die ständig die Nordostpassate blasen. Mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit reißt es Nebelfetzen aus den Wolken zu Tale, die kargen Hänge hinunter. Sie stürzen sich hinab in ihre Auflösung. In den Schwaden meint man einzelne Tropfen erkennen zu können, feine Fäden. Auf Gomera regnet es kaum, doch die Nadel- und Lorbeerbäume kämmen die Feuchtigkeit aus den Passatwinden. Deshalb hat Gomera keine Wasserprobleme. Schön sieht dieses Stürzen aus, düster und heiter zugleich. Kein Wunder, dass die Einheimischen früher glaubten, auf den Lichtungen der Lorbeerwälder würden sich die Hexen und Geister zum Tanz treffen und wer es nicht vor Einbruch der Dunkelheit schaffte wegzukommen, müsste die Nacht durchtanzen.

Es gibt hier Wälder, die einmalig sind auf der Welt. Sie tragen einen wunderschön klingenden Namen: Laurisilva. Lorbeerwald, immergrün, mit glänzenden Blättern, die horizontalen Niederschlag ermöglichen. Sie nehmen Feuchtigkeit aus den Nordostpassaten und geben diese an den Boden ab. Es knarzt und ächzt in den Wäldern. Langsam arbeiten sich die hohen Töne durchs Dickicht. Von den Stämmen hängen Moose wie lange Bärte, die Stämme sind knorrig und schief wie bei Hänsel und Gretel. Nebelfetzen brechen durch Lichtungen, doch ehe man die Feuchtigkeit spürt, lösen sie sich auf. Es bleibt nur ein kühler Hauch. Im Dunkeln möchte man hier nicht wandern, man würde den Wind noch lauter hören, so ganz allein im Wald.

Die Wanderer

Oft schon in den frühen Morgenstunden schieben sich die Wanderer oben in den Bergen durch die Landschaft. Mit festem Schritt laufen sie meist paarweise weite Wege, durch die Nebelwälder und den Nationalpark Garajonay mit seinen grandiosen, wilden Felsen. Regelmäßig klacken ihre Teleskopstöcke auf dem trockenen Boden der Insel. Tack, tack. Sie sehen so aus, als wären sie schon ewig gelaufen. Dabei können sie die 700 Meter vom Meer gar nicht so schnell hochgestiegen sein, oder sind sie im Mondlicht losmarschiert? Vielleicht geht es ihnen aber auch um etwas anderes. Vielleicht wollen sie nur weg von dieser einlullenden Welt unten am Strand, weil sie spüren, dass die größte Gefahr im Paradies der Selbstbetrug ist. Die Wanderer haben die Hippies abgelöst, sie prägen heute die Insel. Und so müssen sie dem Müßiggang misstrauen, für den sich einst die Hippies entschieden hatten. Und der Sonne und den endlosen Tagen an der Playa des Ingles mit ihren wilden Wellen.

Das Meer

Unten am Meer verbreitet Pieter, der Holländer, der bei Capitano Claudio arbeitet, weiter gute Laune. Er hat es besser als die Wanderer oben in der Sonne, weil er von Delfinen und Walen erzählen darf. Also muss man mit dem Boot hinaus aufs Meer zu den Tümmlern und Grindwalen. Das Geld dafür, 27 Euro, sammelt Capitano Claudio ein. Ein- oder zweimal die Woche findet in seinem ¸¸Club de Mar" in Vueltas ein Vorführabend über Delfine statt, unterlegt mit sanfter Sphärenmusik. Nach einer Weile funktioniert der Ton nicht mehr optimal und man kann den Tieren wieder in Ruhe beim Springen zugucken. Pieter meint: ¸¸Das is di Magie von di Insel. In eine halbe Jahr is immer alles kaputt."

Am nächsten Tag geht es mit der Segelyacht Triana hinaus aufs Meer, diesmal mit Sven aus Groningen und Bernd aus Deutschland. ¸¸Vor der Südwestküste La Gomeras kommen mehr als 20 Wal- und Delfinarten vor - eine Artenvielfalt, die man kaum sonst irgendwo erleben kann", sagt Sven. Sven ist der Meeresbiologe, und Bernd ist der Skipper, ernst blickt er aufs Meer, heute geht es ja um was. ¸¸Um die Tiere", sagt Sven. Vielleicht arbeiten deshalb so viele Holländer bei Capitano Claudio.

Sven versenkt derweil irgendwo draußen auf dem Meer ein kleines Netz im Wasser, um den Planktongehalt zu messen. Das klingt alles sehr wissenschaftlich, im ¸¸Club de Mar" hängen Kurven mit der Wal- und Delfinhäufigkeit, außerdem hat man 2001 die Internationale Umweltauszeichnung ¸¸Tourismus und Umwelt" bekommen, für schonende Wal- und Delfinbeobachtung. Und dort informieren Capitano Claudio und seine Leute auch über die mittlerweile verbotenen Sonarexperimente der Amerikaner, die Walen die Orientierung rauben.

Immer wieder dringt die fremde Welt also ein ins Paradies. Drüben bei Teneriffa, dessen markanten Vulkan Teide mit seinen 3717 Metern man schön von Gomera aus sieht, ist aus dem Walbeobachten eine richtige Einnahmequelle für den Tourismus geworden. Eine Million Besucher jährlich auf 20 000 Whale-Watching-Touren pro Jahr bedeuten Weltrekord. Früher durfte man bei den Bootstouren von Capitano Claudio auch immer zu den Delfinen ins Wasser springen. ¸¸Seit vor Teneriffa immer mehr besoffene Touristen mit Flaschen nach den Tieren geworfen haben, ist es verboten", sagt Sven. ¸¸Leider."

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