Überbuchung:Die Rache der Herabgesetzten

Wegen Überbuchung am Boden zu bleiben, ärgert alle Passagiere. Noch schlimmer aber ist für viele der Abstieg in eine niedrigere Ticketklasse, zeigt eine neue Studie der TU München.

Daniela Dau

Wie reagieren Passagiere, wenn sie ihren Platz in der Business Class wegen Überbuchung kurzerhand gegen einen Sitz in der "Holzklasse" tauschen müssen oder am Ende gleich ganz am Boden bleiben? Kurzfristig: mit Ärger. Langfristig: mit Abwendung vom Unternehmen - wobei dies nicht für alle Passagiere gleichermaßen gilt. Und auch nicht für jede entgangene Leistung.

Überbuchung, Studie TU München, AFP

Langfristig schaden sich Airlines mit der Überbuchung von Flugzeugen.

(Foto: Foto: AFP)

"Verhaltenskonsequenzen aus der Überbuchung von Service-Kapazitäten" lautet der Titel einer Studie, die sich genau mit diesem Thema befasst. Durchgeführt von Florian von Wangenheim von der TU München und Tomás Bayón von der Heilbronn Business School hat dieser Beitrag zur Dienstleistungsforschung gerade als erste deutsche Publikation überhaupt den "Best Service Award 2008" der American Marketing Association (AMA) gewonnen.

Kurzfristiges Hoch, langfristiger Schaden

Überbuchung ist ein gängiges Auslastungskonzept, mit dem Airlines verhindern wollen, dass aufgrund von nichterschienenen Passagieren Plätze im Flugzeug leer bleiben. "In der Krise der Branche nach dem 11. September 2001 hat gerade bei US-Airlines die Zahl der überbuchten Plätze stark zugenommen", sagte Florian von Wangenheim zu sueddeutsche.de. Andere Fluggesellschaften hätten nachgezogen, denn kurzfristig verbessere das die Gewinnsituation.

Auf lange Sicht bedeuteten viele Überbuchungen aber auch viele enttäuschte Kunden - die ihr Glück dann zukünftig bei anderen Airlines versuchen.

Basierend auf einem umfangreichen Datensatz aus der Flugbranche zeigt Wangenheims und Bayóns Untersuchung, dass dieser Effekt unabhängig von Nationalität oder kulturellen Unterschieden eintritt. Deutsche Passagiere sind also genauso nachtragend wie amerikanische. Auch hinsichtlich Privat- und Geschäftsreisenden gab es kaum Abweichungen.

Bedeutsame Unterschiede zeigten sich dafür hinsichtlich des Status der Passagiere. Sogenannte High Value Customer, also Vielflieger, First- und Business-Class-Kunden, wurden durch negative Erfahrungen mit einer Airline mehr verprellt als die Low Value Customer, die Gelegentlich-Flieger und Economy-Class-Passagiere.

Am größten war der Ärger bei Premium-Kunden, wenn sie aus ihrer gebuchten Klasse herabgestuft wurden. "High Value Customer haben dann das Gefühl, sie bekommen nicht das, was sie eigentlich verdienen, was sie der Airline durch ihren höheren finanziellen und zeitlichen Einsatz wert sein sollten", so von Wangenheim, Professor und Leiter des Lehrstuhls für Dienstleistungs- und Technologiemarketing an der TU München, zu sueddeutsche.de.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum selbst Upgrading bei vielen Passagieren nicht unbedingt Freude auslöst.

Die Rache der Herabgesetzten

Weniger stark reagierten diese Kunden, wenn ihnen der Zutritt an Bord ganz verwehrt wurde. "Dann kann die Airline oft noch was retten", so Wangenheim, durch Ausweichen auf einen späteren Flug, das Ausgeben von Gutscheinen, am Ende gar durch Hochstufen in eine höhere Klasse. "Der Passagier sieht: 'Aha, die Airline bemüht sich, für mich eine Lösung zu finden' und fühlt sich zwar unfair, aber positiv unfair behandelt."

Interessant auch, dass das Upgraden in eine höhere Ticketklasse von den High Value Customers zwar angenommen, aber nicht deutlich positiv bewertet wurde. Signifikant gefreut haben sich der Studie zufolge darüber nur die Low-Value-Passagiere.

Negatives bleibt stärker im Gedächtnis

So richtig verstehen kann man dieses Verhalten erst vor dem Hintergrund der unter anderem der Studie zugrundeliegenden Prospect Theory - Neue Erwartungstheorie - von Daniel Kahneman und Amos Tversky. Unter anderem besagt diese nobelpreisgekrönte Theorie, dass der Mensch Verluste mehr fürchtet, als dass er sich über Gewinne freuen kann. Und dass uns negative Erfahrungen stärker in Erinnerung bleiben als positive.

Herabstufung oder verwehrtes Boarding sind aus Konsumentensicht solche negativen Ereignisse - und das Upgrading lediglich die Übererfüllung eines bezahlten und erwarteten Service-Versprechens. Einfach ausgedrückt: Wir merken uns eher, wenn etwas schiefgeht, als wenn etwas klappt. Selbst wenn es besser läuft, als erwartet.

Kunden-Segmente schon bei der Buchung besser erfassen

Angesichts steigender Ticketpreise und abnehmender Flugzahlen müssen sich Airlines Gedanken darüber machen, wie sich ihre Überbuchungspraxis langfristig auf die Kundenbindung auswirkt. Ein notwendiger Schritt, den auch Wangenheims und Bayóns Studie als Ergebnis empfiehlt, wäre die engere Verzahnung der Unternehmensteile, die mit Buchungssystemen und Kundenmanagement zu tun haben.

Bei vielen Airlines werden Überbuchungsquoten in technischen Abteilungen mit Hilfe von Optimierungsalgorithmen ausgerechnet, die in erster Linie den kurzfristigen Unternehmensertrag im Blick haben und weniger die Kundenzufriedenheit.

Genauere Datenerfassung könnte dazu führen, dass Unternehmen die Überbuchung in bestimmten Kunden-Segmenten besser steuern lernen und so verhindern, dass zu viele "wertvolle" Kunden sich enttäuscht von der Airline abwenden. Bei weniger "wichtigen" Passagieren dagegen könnte man demnach schon mal Ärger riskieren.

Klingt aus Unternehmenssicht plausibel, aber offen zugeben würde das wohl keine Airline. Denn: "Jede Fluggesellschaft wird natürlich immer betonen, dass ihr alle Kunden am Herzen liegen", weiß auch Florian von Wangenheim.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: