Tourismusprojekt in Südafrika:Ausgezeichnet reisen

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Sanfter Tourismus an wilder Küste: Einheimische führen durch eine der letzten unberührten Küstenlandschaften der Transkei.

Hansjörg Gasser

Wo ist denn nun dieses Dorf? Nicht, dass jemand was einzuwenden hätte gegen den Fußmarsch, nach all den Stunden im VW-Bus. Und dass man auf die Weg-Zeit-Angaben heimischer Führer immer etwa ein Drittel draufschlagen muss, hatte sich in den vergangenen Tagen auch gezeigt.

Die einzigen wilden Tiere bleiben kleine Krebse auf den glänzenden Strandrändern. (Foto: Foto: South African Tourism)

Fünf Kilometer hieß es. Aber nun geht es bald schon zwei Stunden am Strand entlang, immer nach Süden und immer in den Spuren Christophers und seines Pferdes. Die Informationen fließen spärlich. Klar ist nur, dass wir die kommende Nacht traditionell südafrikanisch verbringen werden. Was das bedeutet? Jeder hat da seine eigenen Vorstellungen - und Ängste.

Einstweilen aber bietet die Natur reizvolle Ablenkung. Es ist Abend. Ein lichtintensiver Spätsommerabend an der Ostküste Südafrikas. Genauer gesagt, an der Wild Coast. Wilde Küste ja, wilde Tiere nein. Zumindest nicht so viele wie gewohnt in Südafrika. Denn die Küste heißt so, weil die ersten Europäer hier unfreiwillig an Land gegangen waren, als Schiffbrüchige auf dem in diesen Breiten besonders stürmischen Indischen Ozean. Die einzigen wilden Tiere an diesem Abend bleiben kleine Krebse auf den glänzenden Strandrändern.

Aber die Landschaft! Es scheinen sich hier alle Landschaftstypen des Kontinents auf schmalem Raum zu vereinen: Das smaragdgrüne Meer, in das gelbe Sandstrände, Dünenlandschaften und felsige Kaps reichen; ein Gürtel von Jahrhunderte altem, niedrigstämmigem Dünenurwald, durch den sich zahllose Flüsse ins Meer winden; und dahinter grüne Weideflächen, wellenartig ins Land rollend, gespickt mit türkisfarben, rot und hellblau getünchten Rundhäusern, in denen 90 Prozent der Menschen hier wohnen.

Nun geht es weg vom Strand und weg vom Indischen Ozean, der auch noch aus einiger Entfernung den Geruch eines gut durchlüfteten Fischladens verströmt. Christopher, unser Führer, biegt nach rechts, wo sich, in der Dämmerung heftig pfeifend und quietschend, der Dünenurwald zu einem kleinen sandigen Pfad hin öffnet.

Logis bei Einheimischen

Nun sei es nicht mehr weit, sagt er, hinter dem Waldstreifen auf den Anhöhen befinde sich das Nachtlager. Er eröffnet uns nun, dass es sein Haus und seine Familie sein würden, die uns diese Nacht bewirten. Zum ersten Mal, wie er stolz betont, denn bisher logierten die Teilnehmer an den zwei- bis sechstägigen Trecks immer in Zeltlagern. Öfter schon hätten ihn Gäste nach der Möglichkeit gefragt, in Dörfern oder bei Familien zu wohnen. Und genau das sei es, was er nun versuchen wolle.

"Amadiba Adventure" nennt sich das gemeinnützige Tourismusprojekt, das bereits mit einigen Preisen ausgezeichnet wurde und seit drei Jahren von der Europäischen Union finanziell unterstützt wird. Ausschließlich die Bewohner der umliegenden Dörfer arbeiten und verdienen daran.

Mehr als 60 Menschen aus dem strukturschwachen Gebiet, das zum ehemaligen Homeland Transkei gehört, haben auf diese Weise ein geregeltes Einkommen: als Führer, Pferdehalter, als Köchin oder Fährmann. Denn die insgesamt 25 Kilometer des "Amadiba-Trails" können reitend über den Strand, wandernd auf kühlen Pfaden durch den vogelreichen Urwald oder paddelnd über die vielen ins Meer fließenden Flüsse überwunden werden. Keine gefährlichen Tiere, keine Malaria, dafür Menschen hautnah.

In der Ferne, die Dunkelheit war schnell gekommen, ist nun ein flackerndes Licht zu sehen. Das Dorf? Kurz davor begrüßen uns drei Frauen mit strahlenden Gesichtern. Die zwei Jüngeren verschwinden schnell wieder, und Christophers Frau, eine Dame mit leuchtend weißem Kopftuch, geleitet uns ins Haus.

Soviel im Fackelschein zu sehen war, handelt es sich um ein rechteckiges, aus Ziegeln gebautes Haus und ein paar runde Lehmhütten drum herum. Kein Dorf, sondern eine ¸¸Homestead", wie es hier treffend heißt, die ¸¸Heimstatt" einer einzigen Familie also.

Im Inneren des rechteckigen Ziegelhauses steht in der Mitte eine große Tafel voll mit Süßkartoffeln, Hühnchen, Reis, Früchten und Kannen mit Rotbusch-Tee. Zwei Kerzen brennen auf alten Instant-Kaffeedosen, ringsum an den Wänden stehen Stühle. Die Wände sind grau, unverputzt, schmucklos. Trotzdem ist es wärmer und gemütlicher als in manchem Wohnzimmer. Vielleicht wegen der Kerzen, wahrscheinlich aber vor allem der vielen Kinder wegen.

Während des Essens hatte es hinter einem weißen Vorhang aus dem Nebenraum gekichert, gegluckst und geklickt. Ja, geklickt, denn die Xhosa-Sprache kennt drei verschiedene Schnalz- oder Klicklaute, die sich in europäischen Ohren sehr lustig ausnehmen.

Irgendwann schiebt einer den Vorhang zur Seite. Dahinter stehen die zwei Frauen von vorhin, Köchinnen aus dem Nachbardorf, und vor ihnen, auf dem Boden stehend, liegend, sitzend, eine zunächst unüberschaubare Anzahl von Kindern. Im schwachen Kerzenlicht sind es die glänzenden Stirnen und die weiß leuchtenden Zähne, die als erstes auffallen.

Der Kleinste, vielleicht zwei Jahre alt, beginnt sofort zu weinen, als er die Fremden sieht. Zwei Mädchen in weißen Kleidchen, etwa acht Jahre alt, amüsieren sich indes prächtig. Acht Kinder sind es insgesamt, zwischen zwei und zwölf Jahren. Es sind allesamt Enkel von Christopher und seiner Frau Silvia. Sie wachsen bei den Großeltern auf, weil ihre Eltern in der Millionenstadt Durban arbeiten. Eineinhalb Stunden Fußmarsch zur Schule, kein Strom, kein fließend Wasser, aber augenscheinlich tut das ihrer Fröhlichkeit keinen Abbruch.

Das Elend der Großstädte

Christopher weiß, wovon er spricht. Er hat das Elend in den Großstädten gesehen, war Goldminenarbeiter in Johannesburg, Hafenarbeiter und Gemüsehändler in Durban, bevor er hier Fremdenführer und Gemüsebauer wurde. ¸¸Es ist schön, dass wir so mit euch Weißen zusammen sitzen können", sagt er.

Zwar habe das Ende der Apartheid 1994 nicht nur Gutes gebracht und zum Verlust von Arbeitsplätzen, Traditionen und guten Sitten geführt. ¸¸Aber dass schwarze Menschen in ihrer Gegend selbst Geschäfte machen können, von gleich zu gleich, das ist der entscheidende Gewinn für uns."

Alles Gute kommt von Osten

Erstes, orangefarbenes Morgenlicht fällt durch die halb geöffnete Tür in der Lehmhütte. Von Osten kommt alles Gute, davon sind die naturverbundenen Einheimischen überzeugt, deswegen öffnen sich die Rundhütten nach dieser Himmelsrichtung. Christopher zieht es vor, mit seiner Familie im solideren Ziegelhaus zu schlafen, die grasgedeckten Lehmhütten wurden nur für die Touristen gebaut. Das kann nicht lange her sein, denn der Lehm ist noch so feucht, dass man mit dem Finger Dellen hinein drücken kann. Es schlief sich jedoch vorzüglich darin.

Draußen, es ist halb sieben, herrscht Geschäftigkeit. Schwarze Kinderbeine laufen über rötlichen Sand. Eines der Mädchen von gestern Abend, das Kleid nicht mehr ganz so weiß, balanciert auf seinem Kopf eine grüne, mit Wasser gefüllte Gießkanne. Sie trägt sie zu der offenen Feuerstelle in einem Wellblechverschlag.

Dort braten die Frauen in großen schwarzen Pfannen Eier und kochen Tee. An der Hauswand steht ein Käfig, darin ein zebraartig gestreiftes Huhn. Ein Kind öffnet den Draht-Deckel, das Huhn flattert auf den Käfigrand, sieht sich zwei Mal um, springt heraus. Es pickt gierig Maiskerne auf, die das Mädchen aus einem großen, reifen Maiskolben bricht.

Mit der Kraft der Sonne

Der Großvater lässt indes aus seinem Schlafzimmerfenster ein schwarzes Kabel baumeln. Er steckt es in ein tablettgroßes Solarmodul, das an der Hauswand lehnt. Tradition hin oder her - das Mobiltelefon will aufgeladen sein. Und mit der Kraft der südafrikanischen Sonne, sagt er, ¸¸geht das sehr, sehr schnell". Anschließend führt er seine Wasserquelle vor, den Grund, weshalb das Haus dort steht, wo es steht. Durch Felder mit Mais und Ananas geht es hinunter in ein kleines Tal. Dort schießt zwischen grünen Büschen ein starker Wasserstrahl heraus. ¸¸Fresh water, nice water, clean water!", ruft er.

Nach dem Frühstück wird es ernst: Auf den umliegenden Wiesen weiden gesattelte Pferde, von ihren Besitzern aus benachbarten Dörfern her gebracht. Der Ritt nach Süden beginnt. Wale, Delphine und riesige Sardinenschwärme soll es hier geben, Affen, Zebras und Antilopen. Außer einem angeschwemmten toten Hai sehen wir nichts. Aber wer braucht schon wilde Tiere an der wilden Küste?

© SZ vom 10.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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