Schweiz:Schmulitzen mit Dame

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In der Schweiz vermarkten Bäuerinnen ihre Erzeugnisse jetzt direkt: Sie organisieren ein Festessen an ihrem Tisch.

Von Evelyn Pschak

Es ist ein gemütliches, ach, gemütvolles Wort: Mit "Schmulitz!" bekräftigt der Schweizer seinem Gegenüber die Verbrüderung, kreuzt dabei mit ihm die zum Anstoßen erhobenen Weingläser in einer Armbrezelschlaufe, woraufhin beide, in untergehakter Zugeneigtheit, ein Schlückchen nehmen und so ein "Du" entsteht, wo eben noch das "Sie" die familiäre Nähe hemmte. Oder eben, trinkt man in der frankofonen Romandie, ein "tu". Und wo ließe es sich besser schmulitzen als im Salon von Coraline de Wurstemberger, im Weinbauerndorf Mont-sur-Rolle, am Südhang der Waadtländer Côte, etwa 100 Meter oberhalb des spätwinterlich glitzernden Genfer Sees.

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(Foto: Alamy/mauritius images)

Mit Blick auf den Genfer See: In Mont-sur-Rolle kocht Coraline de Wurstemberger für Gäste.

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(Foto: Jean-Pierre Ritler/PR)

Der Anspruch ist beste regionale Küche, so müssen mindestens 75 Prozent der Menü-Zutaten vom eigenen Hof oder anderen lokalen Anbietern sein.

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(Foto: Jean-Pierre Ritler/PR)

Gespeist wird dann am eigenen Esstisch. Coraline de Wurstemberger wünscht sich, dass noch mehr Gäste kommen - und neue Gastgeberinnen mit einsteigen.

Die 2600-Einwohner-Gemeinde ist relativ schnell erklärt. Man steigt an der Bushaltestelle aus, die "Église" - Kirche - heißt und eine kleine Kapelle benennt. Mittig hineingesetzt in Spalierreihen von abgeernteten Reben, schlägt sie dem Dorf die volle Stunde. Direkt daneben, am Rond-Point, dem allgegenwärtigen Kreisverkehr in der Dorfmitte, treffen sich die Bewohner in einem freundlichen Zwischending aus Postfiliale und Bäckerei auf einen Milchkaffee mit selbstgebackenen Zitronengusssternen. Oder auf ein Gläschen Chasselas - das ist der lokale Gutedel, gekeltert von einem der 30 Winzer des Ortes. Aus der Glastür blickt man auf den die Landschaft bestimmenden See hinunter, am Horizont muss Frankreich liegen, doch vom anderen Ufer ist an diesem Tag nichts zu erkennen, nur flockig weißer Wolkendunst.

Durch die Terrassentür von Coraline de Wurstemberger ist die Sicht die gleiche, bis sich endlich die Wolken lichten und weit hinter dem Wasser die vergletscherten Gipfel des Mont-Blanc-Massivs erscheinen. Vom runden Esstisch aus geht der Blick hingegen auf abgeerntete Spätburgunderreben im Garten und zur kleinen Kirche, umgeben von weiteren Chasselas- und Grauburgunder-Parzellen der Franko-Schweizerin.

Im Salon kommen das silberne Besteck und das Porzellan der Großmutter auf den Tisch

Die 58-Jährige ist eine von inzwischen knapp 50 Schweizerinnen, die sich als Gastgeberinnen über die Plattform Swiss Tavolata vermarkten. (Foto: Jean-Pierre Ritler/PR)

Die 58-Jährige ist eine von bislang knapp 50 Schweizer Landfrauen, Bäuerinnen und Winzerinnen, die auf der Webplattform Swiss Tavolata als Gastgeberinnen vorgestellt werden. Nach einer Online-Buchung empfangen sie Besucher mittags oder abends auf ihren Höfen und Landsitzen zu einer Tavolata - einer festlichen Tafel. Mitgründer des digital-ruralen Geschäftsmodells ist der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauenverband, der den Anbieterinnen auch einige kulinarische Vorgaben auferlegt. So müssen mindestens 75 Prozent der Menü-Zutaten vom eigenen Hof oder anderen lokalen Anbietern sein. Die Seite orientiert sich an einer Sendung des Schweizer Fernsehens: In der "Landfrauenküche" wetteifern Schweizerinnen mit allem, was ihre Ställe und Gärten hergeben, um die beste regionale Küche.

SZ-Karte (Foto: SZ-Karte)

Coraline de Wurstemberger passt bestens in diese Szenerie: Sie kocht gut und empfängt gerne Gäste. Ein weiterer Vorteil liegt für sie auf der Hand. "Das ist auch Werbung für meinen Wein." Dass dafür Unbekannte in ihren Salon kommen, stört sie kein bisschen: "Ich habe schon davor immer wieder Mittagsmenüs angeboten, dachte aber, das wäre verboten." Deshalb hatte sie damit aufgehört. "Bis ich dann über Swiss Tavolata erfahren habe, dass man privat bis zu neun Personen am Tisch bewirten darf. Und mehr als neun Gäste wären mir eh zu viel, ich koche ja alleine." Auch heute hat sie den runden Tisch im roten Salon mit patiniertem Tafelsilber und dem Porzellan ihrer Großmutter gedeckt. Auf kleinen Tellern liegen geröstete Brote mit einer Mousse aus gegrilltem Speck. Und beim unermüdlich nachgegossenen Chasselas erzählt die Winzerin die Geschichte ihres Guts.

Seit 1649 ist das Weingut Les Dames de Hautecour in Frauenbesitz. Mit einer kurzen Unterbrechung, als die Großmutter von Coraline de Wurstemberger, Théodora de Salis, keine Tochter gebar und daraufhin ihr Sohn, Coralines Vater, das Keltern übernahm. 1993 verstarb er, genau zu einer Zeit, in der de Wurstemberger nach intensiven Jahren bei einem Hilfskorps im südlichen Afrika ihr Leben neu ordnen wollte. Sie hat dann den Weinberg übernommen. Und gleich begonnen, sich dem damals wenig geschätzten Gutedel zuzuwenden: "Der Chasselas, das ist unsere Identität in der Waadt. Aber viele Bauern haben die Reben rausgerissen. Der Schweizerische Weinbauernverband hat das sogar subventioniert. Der Chasselas galt als altbacken." Wer hätte damals schon gedacht, dass sich das in wenigen Jahren ändern würde: "Heute ist er das Flaggschiff unserer Weinberge", sagt Coraline de Wurstemberger stolz.

Inzwischen kümmere sie sich allerdings nur noch um die Vermarktung der 10 000 Flaschen, des Jahresertrags ihres drei Hektar großen Weinguts, auf dem Grauburgunder, Spätburgunder, Chasselas violet und der würzige Gamaret wachsen. Seit Januar empfängt sie Gäste über Swiss Tavolata, mittags oder auch abends, so erzählt sie, während sie Teller mit Hühnchengeschnetzeltem in Blätterteig verteilt. Und gleich danach einen Spätburgunder von 2014 in die Kristallgläser füllt, gekeltert aus eben jenen Trauben, die fast bis in ihren Salon hineinwachsen. "Schon meine Großmutter hat Pinot Noir gepflanzt, sie wollte unbedingt einen Rotwein im Sortiment haben." Familienbande der Frauen, über Generationen geknüpft. In die ehemalige Waschküche ihres Hauses hat die Winzerin einen Verkostungsraum hineingebaut. Die Schwarz-Weiß-Fotos aus den 1940er-Jahren an den Wänden zeigen die elegante Großmutter bei der Lese.

Diese Lebensqualität und Geschichte zu teilen war der eigentliche Antrieb Coraline de Wurstembergers, sich ins System von Swiss Tavolata einzuschreiben. Der wirtschaftliche Aspekt sei im Moment eher zu vernachlässigen, sagt sie: "Noch geht es sich recht langsam an." Sieben Tische hat sie in einem Jahr mit Gästen gefüllt, "das ist nicht viel". Aber sie ist zuversichtlich, dass es mehr werden. "Die Leute kennen uns noch nicht gut. Aber in der deutschen Schweiz und im Tessin funktioniert das System schon sehr gut." Ein paar mehr Gastgeber müssten sie sein, glaubt Coraline de Wurstemberger. Sie ist gerade dabei, weitere in ihrer Nähe zu akquirieren. Ein paar hat sie schon für das Projekt gewinnen können. Vermutlich keine schlechte Idee. Denn wenn die Welt gerade etwas gut gebrauchen kann, dann ist es sehr viel Schmulitz.

© SZ vom 16.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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