Österreich:Tür zu!

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Während die Gletscher schmelzen, trotzt die größte Eishöhle der Welt im Salzburger Land der Klimaerwärmung. Aber ewig hält auch dieses Eis nicht.

Von Georg Etscheit

Vorne am Eingang wird dem einen oder anderen doch ein wenig mulmig. "Ganz schön kalt", sagt eine Frau. Ihr Gatte, Familienvater, rät zum Durchhalten: "Jetzt sind wir schon mal hier, vorwärts!" Die beiden Töchter, kurze Hosen, dünnes Oberteil, Turnschuhe, schauen mal nicht auf ihre Handys, sondern auf die schwere Tür, die sich scheppernd öffnet und wieder schließt, wenn eine Gruppe hinein- oder hinausgeschleust wird. Dann bläst ein kräftiger, verflucht kalter Wind, ein Eishauch aus der Unterwelt. Die, die rauskommen, wirken so, als hätten sie gerade die Fahrt in einer tiefgekühlten Geisterbahn überstanden.

Willkommen in der Eisriesenwelt, der laut Eigenwerbung größten Eishöhle der Welt! Ausweislich einer elektronischen Anzeigetafel an der Bergstation der Seilbahn, die die Gäste aus dem Tal der Salzach hinauf ins Tennengebirge bis nahe zum Höhleneingang schaufelt, hat es gerade 24 Grad. Drinnen herrschen an diesem Augusttag "plus ein Grad und irgendwas", wie Alois Rettenbacher, unser Führer durch die unterirdische Kühltruhe, erläutert. "Das Eis schmilzt, zwei bis drei Zentimeter im Sommer. Im Winter wächst es dann wieder, hoffentlich." Auch im Inneren des Berges ist das Eis offenbar nicht ewig, genau wie das der Gletscher, denen der Klimawandel zu schaffen macht. Muss man sich beeilen, um die Eisriesenwelt noch erleben zu können?

Es riecht hier am Höhleneingang - links Wartezonen für die englischen, rechts für die deutschsprachigen Führungen -, ein wenig süßlich, das kommt von den altertümlichen Karbidlampen, die einem Teil der Besucher ausgehändigt werden. Künstliches Licht gibt es drinnen nicht. Doch auch die flackernden Lämpchen dienen nur der Atmosphäre. Richtig viel Licht macht Rettenbacher mit gleißend hell brennendem Magnesiumdraht, den er in der Hand hält. "Das gibt so ein geheimnisvolles Flackern, da wirken die Eisskulpturen fast lebendig."

Dann geht es los, im Gänsemarsch, wie die sieben Zwerge mit ihren Laternchen. Allerdings nicht fröhlich singend, sondern stumm und etwas angestrengt, denn zuerst ist eine steile, glitschige, endlos zu sein scheinende Treppe zu überwinden. Sie führt durch einen gewaltigen Schlund bis zum Posselt-Eisturm, einem beeindruckenden Eisstalagmiten, der durch herabtropfendes Wasser ganz langsam wächst.

Ein Hauch von Ewigkeit: Der beständige Luftzug kühlt die Höhle verlässlich ab

Anton von Posselt gilt als Entdecker dieser Höhle. Er schaffte es allerdings nur bis an diese Stelle, dann wurde es ihm zu steil und zu gefährlich. Erst dem Maler und Höhlenforscher Alexander von Mörk gelang es 1914, den gesamten, vereisten Bereich der Höhle zu erkunden. Er fiel im Ersten Weltkrieg und wurde auf eigenen Wunsch in der Eishöhle bestattet. Seine Urne mit einem Kranz darunter ist im Mörk-Dom zu besichtigen. Im Jahre 1920 gab es die ersten Führungen - aus dieser Zeit, das Germanische stand damals hoch im Kurs, stammen die Namen für viele der Eisgebilde: Hymirhalle, Friggas Schleier, Odinsaal oder Utgardsburg.

Wer das Naturschauspiel sehen möchte, sollte gut zu Fuß sein. Schon der Weg zum Eingang ist relativ steil. (Foto: imago)

Das Eis in der Höhle fließt zwar nicht wie in einem Gletscher, ändert dennoch ständig seine Gestalt. Es schmilzt im Sommer und wächst vor allem im Frühjahr, wenn Schmelzwasser einsickert und in der gespeicherten Winterkälte gefriert. Auch der beständige Luftzug spielt eine Rolle. Er lässt die Eisskulpturen erodieren, durch einen Prozess, der sich Sublimation nennt. Dabei verflüchtigt sich das Eis direkt von der festen in die gasförmige Phase, es wird gewissermaßen weggeweht. So entstehen Formationen wie der Mörk-Gletscher mit Schichtungen, die an Jahresringe von Bäumen erinnern.

Dass es hier drinnen überhaupt ganzjährig Eis gibt, liegt an einem Kamineffekt. Den gibt es nur, wenn die Höhle zwei oder mehrere Eingänge auf verschiedenen Höhenstufen besitzt. Dann strömt im Winter, wenn die Außenluft kälter ist als die Höhlenluft, die wärmere und leichtere Luft oben aus und saugt unten kalte Außenluft an. Im Sommer wiederum strömt die kältere und schwerere Höhlenluft am unteren Ende aus und saugt wärmere Luft von oben an, die sich auf ihrem Weg durch die Eishöhle jedoch stark abkühlt. Neues Eis entsteht, wenn im Frühjahr Tauwasser in die Höhle sickert und an den unterkühlten Felswänden gefriert.

Ein Ausflug zur Eisriesenwelt ist kein Spaziergang. Vom Besucherzentrum braucht man zu Fuß etwa eine Viertelstunde bis zur Seilbahn. Von der Bergstation sind es dann noch einmal zwanzig Minuten zum unscheinbaren Höhleneingang auf 1641 Metern Seehöhe. In der Grotte selbst müssen die Besucher nicht weniger als 1400 Stufen überwinden. Wegen des großen Andrangs, an Spitzentagen stürmen bis zu 3000 Schaulustige die Höhle, gibt es mehrere Führungen zur gleichen Zeit. Die Stimmen der Höhlenführer und die Schritte der Gäste hallen geheimnisvoll durch die spärlich beleuchteten, weiß und bläulich schimmernden Gänge und Säle. "Ein bisschen gruseln soll es die Leute schon", sagt Rettenbacher.

Der hinterste Punkt der Tour, an dem Rettenbacher zur Erleichterung mancher Expeditionsteilnehmer den Rückweg ankündigt, ist der "Eispalast" mit einem Eissee, der neun Meter tief bis auf den Grund der Höhle hinabreicht. Hier wurde jüngst von Wissenschaftlern eine Bohrung niedergebracht, um, neben anderen Untersuchungen, das Alter des Eises zu bestimmen. Erste Ergebnisse aus 4,70 Metern Tiefe deuten darauf hin, dass es wesentlich älter sein könnte als bislang angenommen: 5000 Jahre nämlich. Bislang war man von nur 1000 Jahren ausgegangen. "Wir sind gespannt, wie die Ergebnisse für den tiefsten Teil des Eissees ausfallen", sagt Rettenbacher.

Eine nicht weniger spannende Frage lautet: Wie wirkt sich die Erderwärmung auf die Eisgrotte aus? Die gute Nachricht: In den vergangenen dreißig, vierzig Jahren habe die Eismasse in der Höhle insgesamt deutlich zugenommen, sagt Rettenbacher, trotz oder sogar wegen der Erderwärmung. Warum das so ist, und in manchen Teilen der Höhle ein Schwund, in anderen ein Zuwachs zu messen ist, weiß man nicht genau. Die weniger gute Nachricht ist: Es muss nicht immer so bleiben.

Nachfrage bei dem Geologen Christoph Spötl von der Universität Innsbruck, der mit Kollegen den Eissee angebohrt hat. "Aktuell besteht keine Gefahr, dass das Eis verschwinden könnte", sagt Spötl. Und da es sich um eine große Höhle handele, sei ihr Mikroklima weitgehend von der Außenwelt abgekoppelt. Außerdem werde sie aktiv "gemanagt". Durch die Tür, die im Winter geöffnet, im Sommer geschlossen werden kann, um Kälte hinein-, aber nicht wieder herauszulassen. "Das ist vertretbar, wenn man dieses Naturwunder erhalten will."

Es gibt laut Spötl übrigens viel mehr Höhlen, die ganzjährig Eis oder Firn führen, als landläufig bekannt. Bis zu 1200 allein in Österreich "Allerdings bin ich mir bei etwa der Hälfte nicht sicher, ob sie noch existieren. Der diesjährige Sommer, sagt Spötl noch, sei Gift für diese meist kleinen Eishöhlen, denen vor allem warme Gewitterregen zusetzten. Und trockene Winter wie 2016 seien tendenziell problematischer als zu milde, weil dann nicht genug Schnee falle, der im Frühjahr tauen, in die Höhle sickern und dort gefrieren könne.

Auch von Besuchern der Höhle gibt es regelmäßig Fragen zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Eisriesenwelt. Rettenbacher hat dann immer ein paar lockere Sprüche parat. "Das schlimmste, was passieren könnte, ist, wenn eine neue Eiszeit anbricht und die Hohlräume zufrieren, durch die das Tauwasser eindringt. Kein Wasser, kein Eis. Ihr braucht also kein schlechtes Gewissen haben beim Autofahren."

Doch Sorgen macht sich Alois Rettenbacher insgeheim schon. "Wenn es im Winter hier oben gar nicht mehr frieren sollte, ist es um die Höhle geschehen", sagt er bei einem Glas Apfelschorle. Was nicht nur eine ökonomische Katastrophe für die Region wäre. Zum Glück haben Höhlenforscher jüngst einen weiteren, versteckten Zugang zur Eisriesenwelt entdeckt. Hier könne man, sagt Rettenbacher, eine zweite Tür installieren, die genauso funktionieren würde wie die Schleuse am Hauptzugang. Tür auf im Winter, Tür zu im Sommer. So ließe sich dem mittleren Teil der insgesamt vierzig Kilometer langen Höhle mehr Kälte zuführen, die dann als Puffer für die im Sommer von weiter oben einströmende Warmluft dienen könnte. Einen kleinen Haken hätte der Notfallplan allerdings doch: "Wenn wir da ein Kältemassaker anrichten, friert alles zu und wir haben den gleichen Effekt, als wenn eine neue Eiszeit anbräche. Die Spalten frieren zu - wieder kein Eis, egal wie kalt es ist."

© SZ vom 24.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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