Österreich:Am Grab des Sauriers

Lesezeit: 6 min

Wie begeistert man Kinder für die Schätze der Natur? Indem man Edelsteine mit ihnen sucht zum Beispiel. An der Steinplatte gibt es dafür einen Freizeitpark, im Ötztal kundige Experten. Beides hat jeweils seinen Reiz.

Von Sebastian Herrmann

Schweiß rinnt über die Leiber der Arbeiter, die sich in der Hitze der Nachmittagssonne in die Tiefe wühlen. Unter dem Sand, so wissen die drei Männer, befindet sich das Skelett eines Ichthyosauriers, der vor etwa 250 bis 100 Millionen Jahren gelebt hat. Die Tiere waren perfekt an das Leben in den Urmeeren angepasst, und nun liegen hier auf der 1869 Meter hohen Steinplatte in den Tiroler Alpen die Überreste einer dieser imposanten Echsen.

Das heißt, eigentlich liegt hier eine Nachbildung aus Plastik. Sie wurde im Triassic Park im Sand verbuddelt, damit Familien die Teile wieder ausbuddeln können. Neben der Gipfelstation, wo im Winter Skifahrer aus den Gondeln steigen, laufen im Sommer Kinder mit ihren Eltern zwischen lebensgroßen Dinosaurier-Figuren herum, vorbei an künstlichen Teichen. Sie zerklopfen Felsen auf der Suche nach Fossilien oder durchkämmen Sandflächen nach darin versteckten Glitzersteinen. Der Triassic Park auf der Steinplatte ist so etwas wie ein Spielplatz für Schatzsucher - samt Fund-Garantie.

Den größten Stein hat der Vater gekauft und so versteckt, dass sein Sohn ihn sicher findet

"Wir graben bestimmt schon zwei, drei Stunden", sagt eine Mutter und fotografiert die Männer, die bis zur Hüfte im Sand stehen und den Ichthyosaurier freilegen. Einer der Väter wischt sich den Schweiß von der Stirn, trinkt einen Schluck und wird sofort von einem der vielleicht vier- oder fünfjährigen Aufseher ermahnt, gefälligst weiterzugraben. So ein Schatz hebt sich nicht von allein, selbst wenn er aus Plastik ist und in einem Freizeitpark quasi fest im Sand installiert ist, um täglich neu ausgegraben zu werden. Die Kinder springen in die Grube, Sand rieselt nach, sie fegen die Plastikknochen mit der Hand frei und grinsen kurz in die Kamera, wenn sie denn endlich das Drängen ihrer Eltern wahrgenommen haben, sich doch bitte jetzt gefälligst mal fotografieren zu lassen.

Gleich neben dem künstlichen Sauriergrab buddeln zwei Jungs im Sand. Sie schütten Haufen auf, legen ihre Schaufeln zur Seite und durchkämmen den Aushub mit den Händen. "Das macht ganz schön Arbeit", stöhnt Jonathan, sechs Jahre alt. "Da ist einer", ruft Jonas, acht Jahre alt, und fischt einen bunten Stein aus dem Sand. Die Mitarbeiter des Parks verstecken hier jeden Tag glitzernden Pyrit, fossile Fischzähne und bunte, rund geschliffene Halbedelsteine, damit die Kinder im Sand nach ihnen suchen können. Penetrante Eltern können zwar versuchen, ihre Kinder darauf hinzuweisen, dass die Felsen der Steinplatte einst ein Korallenriff in einem Urmeer waren - und sie auffordern, doch auch mal den Ausstellungsbereich in der Nähe der Gondelstation zu besuchen, die Aussichtsplattform mit Blick auf den Alpenhauptkamm oder den See, aus dessen Mitte ein Meeressaurier ragt. Aber keine Chance, die Kinder sind im Goldrausch. Sie buddeln, sie sind glücklich, sie sind auf einem großen Spielplatz.

1 / 6
(Foto: Bergbahnen Steinplatte Waidring)

Lebensgroße Dinofiguren stehen auf der Steinplatte im Triassic Park.

2 / 6
(Foto: Bergbahnen Steinplatte Waidring)

Der Berg ist einst aus einem Korallenriff entstanden, das vor Millionen Jahren in einem Meer lag.

3 / 6
(Foto: Bergbahnen Steinplatte Waidring)

Spuren dieser Zeit lassen sich aus rötlichen Steinen klopfen - ...

4 / 6
(Foto: Bergbahnen Steinplatte Waidring)

...allerdings sind die Fossilien sicher nicht so groß und rosa wie die eigens vergrabenen Nachbildungen.

5 / 6
(Foto: Bergbahnen Steinplatte Waidring)

Der Triassic Park auf der Steinplatte ist so etwas wie ein Spielplatz für Schatzsucher - samt Fund-Garantie.

6 / 6
(Foto: Bergbahnen Steinplatte Waidring)

Es gibt auch einen Ausstellungsbereich, eine Aussichtsplattform und einen See - aber am glücklichsten sind die Kinder beim Buddeln.

"Zu Hause habe ich einen echten versteinerten Haifischzahn", gibt Jonathan an. "Und ich habe einen vom Megalodon", gibt Jonas zurück an, "weißt du, wie groß die sind!" Die zwei Schatzsucher graben weiter. Nach einer halben Stunde haben beide eine ordentliche Hand voll bunter Steine gefunden. Den größten hat Jonas entdeckt, sein Vater hat ihn heimlich vorne im Laden neben der Ausstellung gekauft und so im Sand versteckt, dass sein Sohn auch sicher darauf stößt.

Diese Art der Schatzsuche garantiert schnelle Erfolge, doch sie befördert auch die Ungeduld der Kinder. Neben den Sandplätzen haben die Betreiber des Triassic Parks rote Kalksteine aufgeschüttet, die von einer Felswand im Gelände stammen. Hammer, Meißel und Schutzbrille können die Besucher ausleihen. Doch das Geklopfe ist zäh, es kostet Mühe, die Steine zu zerschlagen und es braucht einen Kennerblick, um die winzigen Fossilien darin zu erkennen, wenn es denn überhaupt welche sind. Das fesselt die Aufmerksamkeit der jungen Schatzsucher nur kurz, lieber schnell zurück in den Sandkasten und bunte Halbedelsteine sammeln - hier kommt der Schatzsucher-Express!

SZ-Karte (Foto: SZ-Karte)

Aber braucht ein Schatz nicht ein Geheimnis, um zu funkeln? Werden sich die Kinder zu Hause noch über die bunten Steine freuen, oder war die Beute so leicht, dass sie rasch das Interesse verlieren?

Ortswechsel und eine vollkommen andere Art der Schatzsuche. "Jeder Stein ist ein Naturwunder", sagt Werner Schwarz. Der pensionierte Naturkundelehrer kniet im Ufersand, wo nahe Sautens die Ötztaler Ache in den Inn mündet, und betrachtet einen faustgroßen Stein. Darin schlängelt sich eine weiße Struktur, wie eine Lage Teig, die ein Bäcker in den Brocken geknetet hat. "Die könnte man alle mitnehmen", sagt Schwarz, der als Naturschutzbeauftragter des Bezirks Imst arbeitet und sich im Verein Geozentrum Tiroler Oberland engagiert. Die weißen Haare fallen in die Stirn des 75-Jährigen, als er einen weiteren Stein aufhebt und mit der Lupe betrachtet.

"Da schau mal", sagt er zu Jonathan, "das ist ein Riffkalk, da siehst du noch die Korallenstöcke und den Schlamm, der sich darum abgelagert hat." Seit mehr als 50 Jahren durchstreift Werner Schwarz das Ötztal, zu jedem Stein weiß er etwas zu erzählen. Seine Leidenschaft hat er als Internatsschüler in Mittersill in den 1950er-Jahren entdeckt, zusammen mit Freunden suchte er damals Mineralien - vor allem Titanit - und verkaufte sie für ein paar Schilling an Bauern. Wer heute mit ihm durch die Berge streift oder an Flussufern Kiesel aufhebt, der merkt: Ja, es stimmt, jeder Stein ist ein Schatz, er muss gar nicht funkeln und bunt sein. Es braucht nur den Blick und das Wissen. Die roten Schlieren im Ufersand? "Das ist Granatsand", sagt Werner Schwarz. Granat oder Almandin, wie das rötliche Mineral auch genannt wird, können Schatzsucher am andere Ende des Ötztals finden, bei Obergurgl am Granatenkogel etwa. Am unteren Ende des Tals spült die Ache die zerriebenen Reste dieses Schmucksteins an, es sind die roten Schlieren im Sand. Ohne das Wissen, das Werner Schwarz bei den Exkursionen mit Kindern oder Erwachsenen weitergibt, ließe sich dieser Schatz nicht erkennen.

"Was ist das?", fragt Jonathan. Mit Hammer und Meißel hat der Sechsjährige einen Stein bearbeitet. "Das ist ein wunderschöner Gneis", schwärmt Werner Schwarz. "Ist das ein Edelstein?", fragt der junge Schatzsucher nach. "Da schauen wir mal", erwidert der Expeditionsleiter. Der ehemalige Naturkundelehrer holt ein kleines Fläschchen mit Salzsäure aus der Tasche und pipettiert einige Tropfen auf den Stein. Nichts passiert. "Siehst du, da braust nichts", sagt Schwarz, "das ist ein Mineral." Auf dem Korallenstein aus Kalk schäumt die Säure hingegen kräftig auf - wer Steine bestimmen will, der führt ein wenig Salzsäure mit sich und ein Glas, um mit den Funden daran zu ritzen. Hinterlässt ein Stein Kratzer im Glas, dann ist er erstens recht hart und zweitens schon etwas Besonderes. Der junge Schatzsucher springt auf, um den nächsten Stein zu suchen - weiter, weiter, die größte Anziehungskraft üben schließlich die Schätze aus, die noch verborgen sind.

Die Schätze in den Sandkisten werden jeden Tag nachgefüllt. In der Natur ist das anders

Im Sand glitzert und funkelt es. "Das ist Glimmer", sagt Werner Schwarz. Dieses Mineral ist Bestandteil vieler Gesteinsarten wie Gneis oder Granit. An manchen Stellen im Ötztal, hoch in den Bergen oberhalb von Umhausen etwa, finden Schatzsucher Steine, in denen münzgroße Glimmerplättchen stecken. Hier am Fluss glitzert die zerriebene Form, Glimmerpulver sozusagen.

Zu jedem Stein, zu jedem Funkeln kennt Werner Schwarz eine Geschichte. Was für ein Stein das ist, welche Reise er genommen hat, aus dem Engadin in der Schweiz zum Beispiel oder aus dem hinteren Ötztal. Oder ob er einst mit dem Bergsturz von Köfels aus dem Gebirge gerissen wurde. Vor etwa 9000 Jahren kollabierte dort ein ganzer Berg und brandete in Trümmern bis an die Hänge der anderen Talseite. Über diese Geröllberge nahe Niederthai stürzt heute das Wasser des Stuibenfalls. In dessen Nähe befindet sich die Fundstelle einer geheimen Kostbarkeit - auf welche die Schatzsucher ungeduldig warten. Irgendwo hier an den Hängen legte einst ein Gletscher riesige Findlinge ab, die das Eis von weit hinten aus dem Ötztal mitgebracht hatte. Die tonnenschweren Brocken ragen heute aus einer saftigen Wiese. An der Flanke eines dieser Felsen, so erzählt Werner Schwarz, befinde sich ein schöner Bergkristall, etwa so lang wie eine Hand.

Die kleine Expedition steigt über ein Gatter, klettert bis zu dem Findling und muss eine Enttäuschung verdauen: Jemand hat den Bergkristall abgeschlagen und mitgenommen. "Gut möglich, dass der Kristall dabei zerbröselt ist", sagt Schwarz. Die Steine in den Sandkisten des Triassic Park werden jeden Abend nachgefüllt, sodass die Schatzsucher am nächsten Tag wieder Beute machen können. In den Bergen, wo nur die Natur Kostbarkeiten deponiert, füllt niemand die Schatzkammer auf, wenn sie ausgebeutet ist.

Der Bergkristall ist weg, "jetzt kann sich niemand mehr darüber freuen", sagt Werner Schwarz. Sehr schade, doch die Schätze aus dem Ötztal funkeln vor allem im Kopf, sie bestehen aus neuem Wissen und einem neuen Blick auf so alltägliche Dinge wie Steine. Die jungen Schatzsucher sind zwar am glücklichsten, wenn sie mit Hammer und Meißel Felsen bearbeiten dürfen. Aber auch für sie ist jedes Bruchstück am Ende ein Edelstein, egal ob die Bestimmungsbücher das auch so sehen oder nicht. Die Funde glimmern, sie glitzern, sie sind weiß, sie sind grün, grau, schwarz, geschichtet, gebändert oder gesprenkelt. Zusammen mit den Steinen und Fischzähnen von der Steinplatte ergeben die Steine aus dem Ötztal eine feine Beute. Es sind echte Schätze.

© SZ vom 22.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: