Mitten in Absurdistan:In der Pfütze zum perfekten Selbst

In München verhindert nichts, wirklich gar nichts die geplanten Press-ups, Sit-ups, Star Jumps. Und in Venedig gibt es erstaunliche Rabatte.

29 Bilder

Aerial view of the Grand Canal in Venice lagoon

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Venedig

In der Nähe der Rialto-Brücke gibt es ein Kaufhaus. Es heißt "Coin" und verfügt über eine Einrichtung, die im historischen Zentrum Venedigs selten ist, nämlich über eine Rolltreppe, wenn auch eine sehr kurze. Im vergangenen Herbst wurde das Kaufhaus umgestaltet. Früher konnte man dort ein Sieb kaufen, mit dem sich Spaghetti-Wasser abschütten ließ. Oder ein Paar Socken. Dann verwandelte sich das Geschäft in "Coin Excelsior". Seitdem befindet sich im Parterre eine Parfümerie, oben gibt es Markenkleidung. Das neue Warenhaus scheint den demografischen Wandel in Venedig zu spiegeln: Auf 30 Millionen Besucher kommen gegenwärtig nur noch 57 000 Einheimische. Aber warum nur verspricht "Coin Excelsior" jetzt einen Rabatt von zehn Prozent, nur für Touristen, bei Vorlage des Reisepasses? Es sind offenbar noch nicht genug.

Thomas Steinfeld

SZ vom 26. Februar 2016

Women's Run in München, 2012

Quelle: Florian Peljak

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Mitten in ... München

Ich mache montags Sport. Nichts Großes. Wirklich. Eher, damit mir der Schmerz am Folgetag anzeigt, welche Muskeln im Körper eines Mittvierzigers sich noch zurückmelden. Nach Hause geht's danach zu Fuß. Manche würden sagen: um runterzukommen. Ich sage: weil die Busverbindung ins Westend so mies ist. Immer gegen 21 Uhr schleppe ich mich über die Theresienwiese. Dort treffe ich dann jedes Mal: ihn, um die 30, athletisch. Bei jedem Wetter. Im Februar. Im Dunkeln. Die Trainingsmatte im fahlen Licht einer Straßenlaterne auf dem Asphalt ausgerollt, einmal sogar in einer Pfütze, ich schwöre. Und dann: Press-ups, Sit-ups, Star Jumps, name it. Diszipliniert? Ja, ja. Münchens härtester Winter-Freeleth? Schon gut. Vielleicht bin ich ja neidisch. Oder ist es eher so, dass unser Hang zur Selbstoptimierung hier und da ein bisschen verzweifelt wirkt?

Marten Rolff

SZ vom 26. Februar 2016

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Quelle: Claus Schunk

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Mitten in ... Köln

Fast 30 Jahre lang folgte auf die Frage der Doktoren nach Allergien automatisiert die Antwort: "Nur gegen Sulfonamide", einer Form von Antiobiotika also. Darauf die gelangweilte Entgegnung: "Die sind da ohnehin nicht drin." Diesmal bleibt der Dialog aus, bevor es Medizin gibt. Erst nach der ersten Pille fällt der Blick auf den bibeldicken Beipackzettel und dort unter tausend Geboten und Warnungen zufällig auf das Wort "Sulfonamide". Eilig wird ein Ersatzmedikament bestellt. Ohne solche Zutaten, dafür mit einem zweibibeldicken Beipackzettel. Der verspricht nicht zu viel: In der Nacht gibt es Schüttelfrost und Herzflattern, eine Matschbirne, taube Hände und unkontrollierte Muskelzuckungen. Sowie, quasi als Bonus, irre Träume, für die andere Menschen viel Geld in LSD investieren. Wo war noch mal die Packung mit den Sulfonamiden?

Milan Pavlovic

SZ vom 26. Februar 2016

Behinderungen nach starken Schneefällen in Schweden

Quelle: dpa

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Mitten in ... Nyköping

Der Zug bleibt stehen, irgendwo zwischen Nyköping und Norrköping, draußen Felder, Birken, schlechtes Wetter. Dann die Durchsage: Probleme mit der Stromversorgung. Vor dem Zugfenster läuft ein Mann vorbei, gelber Overall, weißer Helm. Sieht ernst aus. Drinnen geht das Licht aus, eine Zugbegleiterin betritt das Abteil. Sie lächelt, obwohl sie in jedem Wagen dasselbe erzählen muss. Logisch, die Durchsage funktioniert auch nicht mehr. Schuld sei ein anderer Zug, gleich vor unserem, es tue ihr sehr leid. Unwillkürlich denkt man an die Deutsche Bahn, an Signalstörungen, Weichenstörungen, Fahrzeugstörungen, und stellt sich darauf ein, den Rest des Tages im Zug zu verbringen. Doch nach zehn Minuten geht das Licht wieder an, der Zug rollt, die Lautsprecher knacken. "Willkommen zurück", schallt es durchs Abteil. Willkommen in Schweden.

Silke Bigalke

SZ vom 26. Februar 2016

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Madrid

Der spanische Kollege hatte auf der Mailbox den Treffpunkt unweit seiner Redaktion angegeben: ein Café auf der - auch nach dem x-ten Abhören kam nur heraus: Arzewutsch-Straße. Wie schreibt sich das nur? Im Verzeichnis gibt es unter "A" keine Straße, die annähernd so heißt. Jetzt geht der Kollege nicht ans Handy, und die Zeit drängt. Kopfloses Herumgesuche. Schließlich halte ich einem Passanten mein Handy mit der Nachricht ans Ohr. Der nickt. "Wir sind genau hier", sagt er und zeigt auf das Straßenschild: Hartzenbusch-Straße. Klar, die Spanier können kein "H", das "B" ist eher ein "W", und das "Sch" ist ihnen ein Rätsel. Hartzenbusch? Hier? Schnelle Netzrecherche: Juan Eugenio Hartzenbusch, spanischer Poet, Sohn eines Tischlers aus dem Rheinland. "Komische Namen habt ihr Deutschen", sagt der Kollege später: "Arzewutsch!"

Thomas Urban

SZ vom 19. Februar 2016

Demonstration gegen Homophobie, Madrid, Spanien

Quelle: AFP

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Mitten in ... Moskau

Der Film "The Danish Girl" erzählt die wahre Geschichte der Malerin Lili Elbe, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Körper eines Mannes geboren wird, ihre weibliche Natur entdeckt, sich als erster Mensch in der Geschichte ihr Geschlecht operativ anpassen lässt und am Ende an Folgen des Eingriffs stirbt. Ein ernster Film über die Suche nach sich selbst. Und kein Thema, das in der homophoben Atmosphäre Russlands auf Verständnis stößt. Ins Kino "Pionier" kommen weltoffenere Moskauer, andächtig sitzen sie im Saal. Bis eine Frau halblaut zur Nachbarin sagt: "Das ist doch Putin!" Tatsächlich: Matthias Schoenaerts sieht in der Rolle von Lilis Jugendfreund Hans Axgil dem jungen Präsidenten frappierend ähnlich. Dass er nun seinen transsexuellen Freund liebevoll unterstützt, wirkt zu komisch. Bei jedem Auftritt von Axgil prustet der Saal los.

Julian Hans

SZ vom 19. Februar 2016

Kriminalgericht Moabit

Quelle: Paul Zinken/dpa

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Mitten in ... Berlin

Das Berliner Kriminalgericht stammt noch aus einer Zeit, als Justizgebäude die Leute einschüchtern sollten. Die Eingangshalle ist so riesig, dass angeblich sogar der Kaiser sagte: Dit is mir zu ville. Der Richter, der in einem viel zu großen Saal sitzt, verwendet daher viel Zeit, den Prozessbeteiligten die Berührungsängste zu nehmen. Jedem, der hereinkommt, erklärt er, dass das hier alles ganz normal sei, reine Routine. Auch der Studentin, die als Zeugin aussagen soll. Sie beginnt gerade zu erzählen, als draußen ein lautes Klingeln ertönt. Der Richter unterbricht und setzt wieder zu einer seiner Erklärungen an. Das sei alles ganz normal, sagt er, reine Routine. Wahrscheinlich hätten Gefangene versucht, sich loszureißen, und das sei jetzt der Alarm. Alle Leute im Gerichtssaal, die bislang nicht eingeschüchtert waren, sind es spätestens jetzt.

Verena Mayer

SZ vom 19. Februar 2016

Arabische Frauen in München

Quelle: Peter Kneffel/dpa

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Mitten in ... München

Die Stimme eines Muezzins schallt über den Marienplatz. Anhänger der AfD haben vor dem Rathaus Lautsprecher aufgebaut. Ein Passant brüllt: "Stellt den Scheiß aus!" Manche suchen das Gespräch. Ein jüngerer Mann fragt: "Was singt der Muezzin denn da eigentlich?" Die AfD-Frau zuckt mit den Schultern. "Weiß ich jetzt auch grad nicht so genau." Eine Familie aus Saudi-Arabien, die gerade Großeinkauf gemacht hat im Kaufhaus Ludwig Beck, eilt auf ein Taxi zu, das gegenüber den AfD-Lautsprechern parkt. Als die verschleierten Frauen den Muezzin hören, schauen sie irritiert. Eine holt ihr iPhone 6 hervor und macht ein Foto. Der Taxifahrer sagt, die Frauen freuten sich über den Muezzin. Doch er klärt sie auf, dass der Betgesang den Deutschen Angst machen soll. Plötzlich haben es die fünf Frauen sehr eilig, ins Taxi zu steigen.

Thorsten Schmitz

SZ vom 19. Februar 2016

Shaving brush with shaver and hair close up PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY DIKF000021

Quelle: imago/Westend61

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Mitten in ... Rom

Beim Barbier im Rione Parione, 7.30 Uhr. Man kommt besser früh, wenn Antonio schneidet. Da sitzen schon vier Herren, in sich gekehrt, keiner von ihnen liest den Corriere dello Sport, die römische Sportzeitung liegt noch fein gefaltet auf der Wartebank. Die Herren tragen alle Kollar, das Halsband der Geistlichen. Dann ist der fülligste von ihnen dran, vielleicht ein Bischof? Er steckt die Kreuze, die ihm schwer am Hals hängen, in die Gewandtasche, löst den Kragen, fällt wortlos in den Ledersessel und schläft bald ein. Auf Radio Deejay, das den alten Salon füllt, reden sie unterdessen über Sex mit der Ex und über die Homo-Ehe, laut und schrill. Der Bischof schläft tief, den Kopf auf der Brust. Dann ist Antonio fertig, tippt ihn an die Schulter. Im Radio läuft jetzt ein Lied von Eros Ramazzotti - "Un cuore con le ali", ein Herz mit Flügeln.

Oliver Meiler

SZ vom 12. Februar 2016

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Quelle: Arne Perras

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Mitten in ... Malakka

Am Stand mit den Blutspende-Plakaten in der Jonker Street drängeln sich die Leute. Alle recken die Hälse, kein Durchkommen mehr. Seltsam ist das, wer rechnet schon damit, dass Blutspenden in Malaysia eine so populäre Sache ist. Und das gerade hier, in der quirligen historischen Altstadt von Malakka. Unser Sohn ist neugierig und will das auch mal sehen, also stürzen wir uns ins Gedränge, bis wir vor einer lächelnden Malaysierin stehen. Sie hat vier Styroporboxen vor sich aufgebaut, daneben baumeln Blutspende-Beutel an einem Haken. A, B, 0 und AB steht auf dem Aufdruck, zum Ankreuzen. "Gemischte Früchte oder Johannisbeere?" fragt sie. "Sie können auch erst probieren!" Mein Sohn, der den Grusel liebt, kann es kaum erwarten, er kauft Johannisbeere, dreht den Hahn auf und saugt genüsslich. Blut ist eben ein ganz besonderer Saft.

Arne Perras

SZ vom 12. Februar 2016

Flüchtlinge suchen Glück in Europa

Quelle: Nicolas Armer/dpa

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Mitten in ... Kufstein

Gleis eins, Bahnhof Kufstein: Links Wintersportler mit schwerem Gepäck, die Skier in Tragesäcken. Rechts Reisende mit kleinen Rucksäcken, es sind junge Burschen und viele Familien mit Kindern. Gerade ist ein Zug aus dem Süden angekommen, voll besetzt mit Flüchtlingen. Vor den feindlichen Temperaturen vermummen sie sich mit Schals. In Kufstein prallen Welten aufeinander. Das Große geschieht im Kleinen, der Ort kommt an seine Grenzen. Auf den Straßen Dauerstau. Die vielen Autofahrer aus den Tiroler Skigebieten weichen auf die Bundesstraße aus. So sparen sie sich a) die Vignette und b) den Stau auf der Autobahn. Der kommt durch die Grenzkontrollen, die nötig sind wegen der Flüchtlinge. Die Gruppe vom Kufsteiner Bahnhof steht jetzt auch im Stau. Im Bus zum "Camp", einem riesigen Auffanglager. Die Reise geht weiter.

Ulrike Heidenreich

SZ vom 12. Februar 2016

New York snowstorm

Quelle: dpa

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Mitten in ... New York

Rein modetechnisch gesehen ist der Winter für den New Yorker Haushund eine echte Grenzerfahrung. An den Füßen trägt er bunte Söckchen oder Schuhe mit Klettverschluss, Bauch und Rücken werden von einem Pulli im Schottenkaro gewärmt, den Kopf ziert ein Häkelhäubchen im Stile von Sir Lancelot: Selbst der gutmütigste Mops verliert in diesem Aufzug leicht den letzten Rest an Selbstachtung. Frauchen und Herrchen betonen gerne, dass die Socken vor allem vor dem Streusalz schützen sollen, das großzügig bemessen auf Straßen und Gehwegen liegt. Vor allem aber ist der Winter eine herrliche Modenschau, wie jüngst, am Tag nach dem großen Schneesturm, ein Pudel aus Brooklyn vorführte: himmelblaue Schuhe, rosa Daunenjacke mit aufgedruckten Häschen, Kapuze mit Fellkragen. Da freut man sich gleich auf den nächsten Blizzard.

Claus Hulverscheidt

SZ vom 5. Februar 2016

177. Oktoberfest - Eröffnung

Quelle: dpa

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Mitten in ... München

Spätabends in der Münchner S-Bahn. Zwei betrunkene Bayern in Tracht diskutieren zwischen Marienplatz und Ostbahnhof die politische Großwetterlage, heftig lallend. "Die Russen sind ganz, ganz wichtig für uns! Die Russen sind unsere Freunde!", sagt der eine. "Iwo, die Russen stecken doch mit den Syrern unter einer Decke. Ich trau den Russen nicht, und den Syrern auch nicht", widerspricht der andere. "Na, den Russen kannst schon trauen. Vor den Chinesen muss man sich hüten!", bringt der erste eine weitere Großmacht ins Spiel. In dem Moment steigt am Rosenheimer Platz ein asiatisch aussehender Mann in die S-Bahn ein und bleibt in der Nähe der Tür stehen. "Schau, da ist schon so ein Chines'. Sag, wo kommst du denn her?", ruft der Bayer dem jungen Mann zu. Die Antwort des Mannes kommt schüchtern: "Aus Kiel."

Karoline Meta Beisel

SZ vom 5. Februar 2016

Arzneimittel

Quelle: Matthias Hiekel

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Mitten in ... Stuttgart

Zwei Tage liegen wir nun schon nebeneinander in diesem Krankenhauszimmer. Steve links, ich rechts. Ein wenig fad ist es, ja, aber ansonsten kann man sich eigentlich nicht beklagen: Die Operateure waren fähig, das Essen ist reichlich, der Raum sauber, und die freundlichen Schwestern bringen sogleich ein paar Schluck vom Zaubertrank, wenn es irgendwo zieht. Aber Steve gefällt es trotzdem nicht. In einem fort jammert der junge Hip-Hopper. Über die ganz schmerzhaften Pflasterwechsel, über den fehlenden Fernseher, über die Mama, die ihn besucht, über den nichtvorhandenen Balkon: "Ein Pechvogel bin ich." Immer wieder. Alles zureden hilft nichts. Schließlich schlägt man vor, mit einem Gefühl, als sei man ein Drogendealer: Wie wäre es mit einem Zauberpillchen, da schläft man gut? Steve klingelt, die Schwester kommt. Und bald danach: Ruhe.

Max Hägler

SZ vom 5. Februar 2016

Zahnersatz wird teurer

Quelle: Hans Wiedl/dpa

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Mitten in ... Feldkirch

Wenn Schweizer ins Ausland fahren, wollen sie Schnäppchen machen. Das gilt für Alkohol, Hähnchenschenkel und Markenjeans, es gilt aber auch für Arztbesuche. In Feldkirch, einem österreichischen Städtchen zwischen Liechtenstein und Bregenz, läuft man auf dem Weg vom Bahnhof zum Zahnarzt an einem halben Dutzend anderen Zahnarztpraxen vorbei. Es geht um eine Vorsorgeuntersuchung, der Preis ist vorher am Telefon verhandelt worden. Zehn Minuten, dann schnurrt schon die Rechnung aus dem Drucker. Ob man sofort zahlen könnte, am besten per Online-Banking? Der Arzt schaut, als hätte er Zahnschmerzen. Es gebe viele Schweizer, die nicht zahlen - und die Schuldner über die Grenze zu verfolgen, das sei unmöglich. "Wenn Sie wieder einmal in Österreich sind, rate ich Ihnen: Nehmen Sie genug Bargeld mit."

Charlotte Theile

SZ vom 29. Januar 2016

Burger im Burger House in München, 2013

Quelle: Stephan Rumpf

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Mitten in ... Istanbul

Die türkische Gesellschaft ist eine Abräumer-Gesellschaft. Es gibt keine noch so gemütliche Restaurant-Runde, in der nicht von rechts und links Hände heransausen, um jeden Teller einzusammeln, der für den Bruchteil einer Sekunde nicht benutzt wird. Das Personal meint es natürlich nur gut. In Windeseile stellt es einen neuen Teller bereit. Dabei stört es die Kellner nicht, wenn auf dem alten noch etwas drauf liegt. Muss halt weg, das schmutzige Geschirr. Mit der Zeit entwickelt man schon Verteidigungsstrategien - zum Beispiel, nie das Brot aus der Hand zu legen. An Abräumern fehlt es nirgends. Auch nicht in den weniger edlen Restaurants. Selbst beim Burger King am Flughafen schnappt sich einer das Plastiktablett - und bringt tatsächlich ein sauberes zurück. Leer natürlich. Wer doch noch etwas essen will, muss hier aber selbst aufstehen.

Mike Szymanski

SZ vom 29. Januar 2016

Demonstration of Danish Pegida in Copenhagen

Quelle: Sophia Juliane Lydolph/dpa

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Mitten in ... Kopenhagen

Das Wochenende verspricht eine Blitz-Kur, drei Tage Kopenhagen. Im Gepäck? Nur ein paar Wechselsachen und eine bescheidene Hoffnung - drei Tage ohne Dresden, das sind drei Tage ohne Pegida. Die Aussichten? Heiter bis bombig. Im Internet war eine "stabile Wetterlage" annonciert worden, ein "behagliches Apartment" sowie die "heiße Schokolade" in diesem kleinen Café unweit des Zentrums. Die Realität? Samstagnachmittag, erste Zwischenbilanz: Wetter grau, Wohnung mau, Schokolade lau. Die Laune? Trotzdem bestens, man ist ja immerhin so herrlich weit weg von, Moment, warum ist da auf einmal so viel Polizei? Woher kommen die Fahnenträger? Was soll das Geschrei? Schneller Blick ins Internet, Gewissheit: Man ist jetzt mittendrin, in der europaweit einzig nennenswerten Pegida-Demo des gesamten Wochenendes.

Cornelius Pollmer

SZ vom 29. Januar 2016

Laufrad befristete Verträge

Quelle: dpa

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Mitten in ... Hannover

Eben noch hat der Professor überzeugend dargelegt, wie wichtig es ist, der Schnelllebigkeit unserer Zeit zu widerstehen. Während der Diskussion über "Arbeit im Hamsterrad" im Schloss Herrenhausen mahnte der Soziologe, bekannt für seine Analysen zur Beschleunigung, sich nicht von Handys und Terminen bestimmen zu lassen. Von so einem könnte man noch viel lernen, denkt man sich. Aber jetzt gibt es erst einmal eine Belohnung für alle Diskutanten: ein feines Essen in der Schlossküche. Das steigert bestimmt die geforderte Weltbeziehung. Nur einer kommt nicht mit: der Entschleunigungs-Prophet. Er habe leider keine Zeit, entschuldigt er sich. Morgen früh hat er schon den nächsten Termin, um halb fünf muss er aufstehen. Es war gleich verdächtig gewesen, dass er das größte und modernste Smartphone in der Runde besaß.

Christina Berndt

SZ vom 29. Januar 2016

Landeskriminalamt: Mehr falsche Fünfziger im Umlauf

Quelle: picture alliance / dpa

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Mitten in ... Rom

Ein kalter Samstagmorgen in Rom, Piazza Pio XI. Hinten im Saal einer Pasticceria mit schwarzen Ledersesseln aus den Siebzigern sitzen zwei Herren, Mitte 50, Pomade im Haar, bei Cappuccino und Gebäck. Sie reden so leise, dass man die Heizung gluckern hört, die Köpfe nahe beieinander. Es geht um ein verunglücktes Geschäft, wohl auch um Vertragsbruch. Böse Blicke, böse Gesten. Wie im Film. Dann greift einer der beiden in die Manteltasche, zieht ein Bündel Banknoten heraus, legt einen Fünfziger nach dem anderen auf den Tisch und zählt so laut mit, dass man die Heizung nicht mehr hört. "Da, 2500!" - "Brauchst du eine Rechnung?" - "Vergiss die Rechnung!" Dann erheben sie sich, herzen sich, küssen sich. "Nimmst du noch was?" Kaffeeschwaden ziehen herüber, eine römische Idylle. Dabei wähnte man gerade noch die Fäuste fliegen.

Oliver Meiler

SZ vom 22. Januar 2016

SWITZERLAND.GET NATURAL.

Quelle: Switzerland Tourism

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Mitten in ... Wengen

Schon die Anreise nach Wengen ist ein Abenteuer: Rauf kommt man nur mit der Zahnradbahn, die sich an den kalten, steilen Felsen schmiegt und Richtung Lauberhorn kriecht. Oben, auf 1274 Metern, ruht ein kleiner Ort im Berner Oberland, der ein wenig aus der Zeit gefallen ist: Alte, mit dunklem Holz vertäfelte Häuser, rote Fensterläden, die Straßen liegen unter einer Eisdecke, Wengen ist autofrei. Das bringt einige Erleichterungen mit sich. Zum Beispiel im Hotel. Den Reisepass? Brauchen wir nicht, sagt der freundliche Mann am Empfang. "Der Pass ist ja nur für die Polizei. Hier gibt es aber keine Autos. Also auch keine Polizei." Keine Polizei? Nein, in Wengen, sagen sie, wird nicht eingebrochen, niemals. Diebe, die schnell fliehen wollen, stoßen ja auf ein kleines logistisches Problem. Auch runter kommt man nur per Zahnradbahn.

Johannes Knuth

SZ vom 22. Januar 2016

'Mein Kampf' Critical Edition Book Presentation

Quelle: Getty Images

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Mitten in ... Augsburg

Der Mann will jetzt nicht nervös wirken, aber er meint es ernst. Mit extrafester Stimme fragt er in sorgfältigem Honoratiorenschwäbisch nach dem Buch und sagt, damit auch kein Missverständnis aufkommt, noch den Autorennamen dazu. "Haben Sie 'Mein Kampf' von Adolf Hitler?" Der Buchhändler verzieht keine Miene. Nein, vorrätig habe man es nicht, man könne es aber bestellen, und er nennt den Preis. Der Mann zögert. So viel? Und ob es auch wirklich die echte Ausgabe sei? Er habe gehört, da gebe es so viele unterschiedliche. Doch, es sei die richtige, versichert der Buchhändler, nur bestellen müsse er sie eben; wie denn der Name des Kunden sei? Der zögert mehr und mehr. Er überlege sich das noch, sagt er und geht dann wieder. Der Buchhändler zur Kollegin: "Der soll einfach ins Kino gehen und 'Er ist wieder da' anschauen."

Claudia Tieschky

SZ vom 22. Januar 2016

A Starbucks Corp. Location Ahead Of Earnings Figures

Quelle: Bloomberg

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Mitten in ... Erfurt

Halb sechs Uhr morgens in einem Coffeeshop am Erfurter Hauptbahnhof. Völlige Ruhe noch, nur zwei Menschen im Laden: Verkäuferin und Kunde. Gegenüber liegt der Erfurter Hof, das frühere Hotel, das der Wind der Geschichte streifte, als Kanzler Willy Brandt dort am 19. März 1970 den Erfurtern zuwinkte. "Willy Brandt ans Fenster", schrien sie damals. Die Verkäuferin sagt ziemlich laut: "Ein Cappuccino zum Mitnehmen, gern. Welchen Namen darf ich auf den Becher schreiben?" Der Kunde fragt, ob es das mit dem Namen echt brauche, so ganz allein. Die Verkäuferin schaut traurig. "Roman", sagt der Kunde schuldbewusst. Kurz darauf ist der Kaffee fertig. Verkäuferin und Kunde sind nur von der Theke getrennt, Luftlinie 50 Zentimeter. "Ein Cappuccino für Roman", ruft die Verkäuferin, als warte der Kunde drüben bei Willy Brandt im Hotel.

Roman Deininger

SZ vom 15. Januar 2016

27 09 2014 Graditz Sachsen GER Reitstiefel und Helm Gestuet Graditz Helm Kappe Kopfschutz

Quelle: imago/Frank Sorge

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Mitten in ... München

Nach dem Reiten noch schnell in den Supermarkt. Milch, Käse, Salat, damit der Kühlschrank für den Sonntag gerüstet ist. Die paar Sachen lassen sich locker tragen, da braucht es keinen Wagen. Aber warum folgt mir diese Frau? Ich werde meinen Einkauf doch bezahlen. An der Käsetheke ist sie schon fast auf Tuchfühlung mit mir gegangen, und jetzt, an der Kasse, reiht sie sich in dieselbe Schlange ein. So, nun haben die ihr Geld, jetzt ist ja wohl alles gut. Aber da geht die Frau schon wieder hinter mir her. Will sie mich vor dem Auto stellen? Hilft also nichts, ich muss wohl stehen bleiben und fragen, was das soll. Entsetzter Blick der Angesprochenen: "Oh Gott, Entschuldigung, ich wollte Sie nicht bedrängen. Ich wollte nur wissen, ob Sie noch nach Stall duften!" Das muss einst eine große Liebe gewesen sein. Von ihr, zum Pferd.

Monika Maier-Albang

SZ vom 15. Januar 2016

Moskau Schnee

Quelle: AP

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Mitten in ... Moskau

Schneesturm in Moskau. Autos kriechen durch das Gestöber. An den Ampeln kurbeln Fahrer die Fenster herunter und gießen aus Plastikflaschen giftgrüne Flüssigkeit auf die Frontscheiben, die Wischwasserdüsen sind verstopft. Da kommt endlich das Taxi! Ist es auch das richtige? Die Zentrale schickt immer eine SMS mit dem Kennzeichen, damit es keine Verwechslungen gibt. Aber das Nummernschild ist halb mit Schnee bedeckt. Wir sind gerade dabei, das Schild frei zu wischen, als die Fahrertüre aufspringt und ein Mann mit rotem Kopf auf uns zustürzt: "Hören Sie sofort auf!" Nicht der Schneesturm hat sein Nummernschild verdeckt, er hat selbst nachgeholfen: "Hier ist überall Halteverbot, wenn mich eine Kamera erwischt, muss ich zahlen!" "Entschuldigung", murmeln wir, pappen den Schnee wieder dran und steigen ein.

Julian Hans

SZ vom 15. Januar 2016

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Quelle: Pastefka/Gemeinfrei

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Mitten in ... Leipzig

Wenn man in einer Stadt seine gewohnten Wege hat, dann hat man auch seine gewohnten Stopps. In dem Fall ist es eine Bäckerei auf der Karl-Liebknecht-Straße ("Karli"), die sich "Brotagonist" nennt. Hier kauft man stets für wenig Geld eine flache, trocken-bröselige Streuselspezialität aus Sachsen: den Prasselkuchen. Er ist kachelgroß, unter hauchdünnem Zuckerguss tadellos verkrümelt, doch nicht zu süß und überhaupt sehr knusprig. Genau das, was man auf gewohnten Wegen zur Stärkung braucht. Nun hat es ja wieder diese Feiertage gegeben, an denen man nicht auf die Karli kommt. Ist jedes Jahr so. Dann aber geht man wieder seines gewohnten Weges. Stoppt beim Brotagonisten - doch kein Prasselkuchen nirgends! "Gibt's erst ab Mitte Januar wieder", sagt bedauernd die Fachverkäuferin. "Prasselkuchen ist so lange auf Urlaub."

Bernd Graff

SZ vom 15. Januar 2016

mitten in - Istanbul

Quelle: SZ

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Mitten in ... Istanbul

Die Türkei hat ein seltsames Verständnis von Barrierefreiheit. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan interpretiert sie im Sinne, alle Hindernisse auf dem Weg zu noch mehr Macht wegzuräumen. Wenn man aber einen Kinderwagen schiebt oder im Rollstuhl sitzt, verzweifelt man schnell an diesem Land. Wenn in Istanbul Straßen und Fußwege aufgerissen werden, dann oft nicht, um Hindernisse zu beseitigen, sondern um neue, schönere, größere zu setzen. Neue Poller. Neue Zäune. Neue Stufen. Die Bürgersteige sind ein Hindernis-Parcours. Für Rollstuhlfahrer heißt das: eher daheimbleiben. Neulich im Spielwarengeschäft in einer dieser Super-Malls: Ein Puppenhaus aus Holz für umgerechnet 60 Euro. Ein Mädchentraum. Und siehe da, wer wohnt hier? Ein Mädchen im Rollstuhl. In der Spielzeug-Türkei ist die größte Barriere schon weggeräumt.

Mike Szymanski

SZ vom 8. Januar 2016

Hand holding a green apple outdoors PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY GIOF000498

Quelle: imago/Westend61

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Mitten in ... München

Hauptbahnhof München. Aus dem Zug aus Zagreb steigt ein altes Paar, mit Taschen, Tüten, Rucksäcken. Die beiden haben Mühe mit dem schweren Gepäck. "Oldenburg", sagt die Frau. Ich verstehe, da müssen sie hin. Aus einer Innentasche ihres Anoraks zupft sie das Ticket. Ihr Mann raucht schon, mit Zigarettenspitze. Dass man das auf einem deutschen Bahnsteig nicht darf, wie soll ich's erklären, sie verstehen nur ihre eigene Sprache. Egal, wir suchen jetzt den Zug. Der ist schnell gefunden und auf einen Zettel notiert. Ich will weg, der Mann hält mich am Ärmel fest, ohne Geschenk käme ich nicht davon, soll das heißen. Seine Frau öffnet den Rucksack, reißt eine Plastiktüte auf. Darin: sehr schwarze Kartoffeln. Aus der nächsten nimmt sie einen Apfel und reicht ihn mir, wie einen Pokal. Der Mann strahlt. Der Apfel duftet.

Christiane Schlötzer

SZ vom 8. Januar 2016

Bruno - mitten in M.hofen

Quelle: Arnu

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Mitten in ... Mayrhofen

Das "Hideaway-Hotel" ist zwischen einer Tankstelle, der Bundesstraße und einer Großbaustelle versteckt. Zwei wilde weiße Hündchen eines Gastes stürmen kläffend aus dem Haupteingang und wollen zur Begrüßung unseren Hund beißen. Bruno ist zwar zehnmal größer als die Kampf-Meerschweinchen und sonst auch nicht gerade zimperlich, aber er lässt sich nicht provozieren. Zitternd erholt er sich von dem Schreck auf der Kuscheldecke im Zimmer, ich wärme mich derweil in der "Erlebnisdusche" auf. Vor dem Abendessen muss der Hund noch mal raus, aber im Foyer bellen schon wieder die Mini-Monster. Bruno ist so nervös, dass er auf dem Weg zum Ausgang am festlich geschmückten Indoor-Weihnachtsbaum das Bein hebt - und diesem eine kleine Erlebnisdusche verpasst. Peinlich. Jetzt bräuchte man dringend ein richtig gutes Hideaway.

Titus Arnu

SZ vom 8. Januar 2016

Urteil zu Cannabis-Volksbegehren

Quelle: dpa

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Mitten in ... Frankfurt

Wer viel Bahn fährt, ist an überraschende Durchsagen gewöhnt. Mal heißt es, dass der Zugführer nicht weiterfahren kann, "weil er seinen Fahrplan verlegt hat" oder dass sich, wer Nähzeug habe, bitte in Wagen 5 melden solle. Anfang Januar, im ICE von Frankfurt nach München wurden die Fahrgäste ermahnt: "Aus gegebenem Anlass weisen wir Sie darauf hin, dass Kiffen in den Zügen der Deutschen Bahn nicht gestattet ist." Nach dem Halt in Ulm war klar, was der seltsame Hinweis sollte. Im Gang roch es immer stärker nach Gras, mit einem Grinsen näherte sich der gegebene Anlass, ein Mann mittleren Alters. Er setzte sich auf den Platz gegenüber und präsentierte seinen halbgerauchten Joint. "Man kann nicht mal mehr in Ruhe rauchen", klagte er. Totaler Stress! Er hielt sich jetzt an die Ansage - und rauchte bei jedem Halt vor der Tür.

Sophie Burfeind

SZ vom 8. Januar 2016

© Süddeutsche Zeitung/ihe
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