Mitten in Absurdistan:Skurriles aus aller Welt

Ein missverstandener Flirtversuch in der U-Bahn, das wilde Comeback einer Gesangslegende und der Kampf eines Radfahrers mit den Elementen: SZ-Autoren berichten kuriose Erlebnisse.

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Quelle: AP

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Mitten in ... Altomünster

Diese alten Klostermauern stecken doch voller Geheimnisse! Ob sie schon der irische Wandermönch Alto hochgezogen hat, im Jahr 750? Dieser Ort atmet den Geist wirklich asketischen Lebens. Was für eine friedliche Umgebung, was für ein besinnlicher Platz für Exerzitien.

Links hinter der Kirche steht eine Tür offen, sie führt zu einem dunklen Gang. Erst stolpert man, dann stößt man sich den Kopf, so niedrig ist das Gewölbe. Ob uns der Durchgang denn erlaubt ist? Aber weiter. Da. Eine kleine Vertiefung im meterdicken Mauerwerk.

Im Dunkel des Lochs ist ein eingerolltes Bündel Papier zu erkennen. Handelt es sich um die Original-Handschrift Altos? Um das Gelübde eines Ordensmannes? Um ein Zeichen? Nein. Es ist der Playboy, aktuelle Ausgabe. Aus der Finsternis dringt Kindergekicher. Na wartet, ihr Saufratzen.

Martin Zips, SZ vom 16./17.7.2011

Rauchverbot in der Türkei ist in Kraft

Quelle: dpa

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Mitten in .... Istanbul

Ob wir uns nicht zum ihm setzen möchten, fragt der Mann im Restaurant. Natürlich, sagen wir, und sind sofort in Alarmbereitschaft - jetzt nur nicht den distanzierten Touri geben, dessen Zurückhaltung als Respektlosigkeit ausgelegt werden könnte.

Wo wir herkämen? Was, aus Deutschland, so hätte er uns gar nicht eingeschätzt, die Deutschen, die er kenne, seien eher kühl. Ob wir seinen Fisch kosten möchten? Logo. Ob wir seinen Raki probieren möchten? Gerne. Ein Wettrüsten der Freundlichkeit beginnt, er bestellt heimlich eine weitere Flasche Raki, wir auch.

Nach ein paar Stunden und einigen Küssen, die er uns begeistert auf die Stirn drückt, naht mit dem Abschied die große Prüfung: Der schwankende Mann fragt, wohin er uns fahren dürfe. Wir lehnen dankend ab, der Mann ist enttäuscht. Aber man ist halt lieber kühl als tot.

Martin Wittmann, SZ vom 16./17.7.2011

Hearse Tranporting Casket of former Venezuelan President Carlos Andres Perez

Quelle: AP

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Mitten in ... Garda

Man möge doch bitte kurz zur Seite fahren, bedeutet eine freundliche Frau. Logisch, die Hotelzufahrt ist von einem sperrigen Gefährt zugestellt. Von vorn sieht es aus, als würde es auch in Saudi-Arabien Abnehmer finden. Na, da will wohl wieder jemand protzen.

Aber als es langsam die Hoteleinfahrt hinabrollt, offenbart sich: Das ist ein Leichenwagen, ein eben erst beladener Leichenwagen sogar. Willkommen am Gardasee!

Das mulmige Gefühl wird jedoch bald verdrängt: Die Zimmer des Hauses sind sauber, ruhig und günstig. Der Blick von der Terrasse ist wunderbar, der See, die Berge, die Sonne. Gern hätte man am nächsten Tag dem Chef des Hauses gedankt. Doch dazu kommt es nicht mehr. Denn, so erzählt der Rezeptionist gefasst, der Mann hinten im Wagen war Carlo, Gründer und Namensgeber des Hotels, verstorben in gesegnetem Alter.

Sebastian Krass, SZ vom 16./17.7.2011

Lärm um das stille Örtchen

Quelle: Armin Weigel/dpa

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Mitten in ... Jönköping

Schweden sind progressiv, sind Technik-Freaks - aber es gibt Grenzen. Zum Beispiel bei den Toiletten am Bahnhof von Jönköping. An den Klotüren steht: Wer rein will, muss eine SMS mit Ziffern und Buchstaben an eine Nummer schicken. Man erhält dann - auch per SMS - eine vierstellige Zahl, die man in einen Kasten an der Klotür eingeben muss. Das Ganze kostet zehn Kronen (einen Euro) plus SMS-Gebühr.

Alle lesen das Schild, aber keiner schickt die SMS. Ist doch zu blöd.

Außerdem hängt noch ein Zettel an den Türen: "Toilette für 5 Kronen am Bus-Terminal." Die Leute gehen also zum Bus-Terminal. Eine Frau wirft dort fünf Kronen in einen Apparat, reißt die Klotür auf - drinnen springt ein kleiner Mann ohne Hose in die Höhe. "Bist du verrückt?", ruft er. Die Öffnungstechnik funktioniert also. Nur mit dem Abschließen, da hakt es noch.

Gerhard Fischer, SZ vom 16./17.7.2011

Pflaster

Quelle: iStock

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Mitten in ... Hamburg

Seine Mama ist jetzt nicht mehr interessant. Zwei Pubertierende sind in die U-Bahn gestiegen, sie erzählen von Mädchen: denen mit den großen Brüsten und den tollen Hintern, nur nennen sie das etwas anders, viel derber nämlich. Der kleine Junge mit der blonden Wuschelfrisur, er dürfte etwa vier Jahre alt sein, hört genau hin. Seine Mutter - sie kommt aus gutem Hause oder will zumindest so wirken - erklärt ihrem Sohn gleich mal, dass man "so was" nicht sagt. Der Junge jedoch ist mit seinen Ohren woanders: beim Sex, gelinde gesagt.

Am Jungfernstieg hat die Mutter genug, sie packt den Kleinen am Arm, zerrt ihn Richtung Tür. Der sträubt sich, versucht, sich loszureißen, schafft es aber nicht. Kurz bevor sich die U-Bahn-Tür hinter ihm schließt, brüllt er den Halbstarken aber noch seinen Beitrag entgegen, so wüst er kann: "Kackapupsi!"

Frederik Obermaier, SZ vom 9./10.7.2011

Glatze, ddp

Quelle: ddp

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Mitten in ... München

Es war in einem jener Lokale, die gerne von Bundesligaspielern und Sportwagenfahrern aus Golf- und GUS-Staaten besucht werden. Plötzliche saß ein junger Herr in der Runde, von dem ein kundiger Freund wusste, dass er als Schönheitschirurg schon mancher Gespielin eines Prominenten zu neuen Formen verhalf. Der Chirurg blickte auf den kahlen Kopf.

Ob man wüsste, dass man Haare verpflanzen könne. Die Leute würden einem danach ganz anders begegnen. Vor allem Frauen. Auf den Einwand, man habe schon eine Frau, weist er auf die Falte von Nase zu Mundwinkel. Die würde verbittert wirken, sei aber leicht zu entfernen. Dann wendet er sich doch lieber drei Damen zu, von denen der kundige Freund weiß, dass sie im Tabledance-Club arbeiten. Denen zeichnet er mit sanften Fingerstrichen Möglichkeiten auf Gesicht und Körper.

Andrian Kreye, SZ vom 9./10.7.2011

Die Schweiz bröckelt - Jagd auf Steuersünder

Quelle: dpa

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Mitten in ... Zürich

Die Schweizer wirkten zwar stachelig, so hatte man mich vor meiner Ankunft gewarnt. Aber dahinter verstecke sich meist ein zart besaitetes, verwundbares Wesen. Gerade tollpatschige Deutsche verletzten häufig eidgenössische Sensibilitäten, weil sie durch ihr nassforsches Auftreten Minderwertigkeitskomplexe bei den alpinen Nachbarn aktivierten. Also langsam sprechen, leise auftreten, immer hübsch piano, piano - da kann eigentlich nichts schief gehen. Erste praktische Anwendung beim neuen Nachbarn.

Er hat einen schweizerisch klingenden Namen, aber keinen Akzent. Daher die verhaltene Nachfrage: "Sie sind Schweizer?" Der Nachbar zaudert nur kurz, aber in diesem Augenblick kostet er augenfunkelnd seine ganze Überlegenheit aus. Mitleidig mustert er den armen Deutschen: "Schweizer? Ja. Ich schon."

Wolfgang Koydl, SZ vom 9./10.7.2011

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Quelle: dpa

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Mitten in ... Tel Aviv

Auf der Straße liegt wieder mal eines dieser Flugblätter, das für eine Party wirbt. Es gibt viele solcher Flugblätter, weil es viele Partys gibt in Tel Aviv: die "Pool Party", die "Trance Party", die "Goa Party". Die Stadt ist stolz darauf, immerzu zu feiern, und natürlich lappt die Partylust auch in den Eskapismus. Der Alltag wird vergessen, der nahöstliche Konflikt wird weggetanzt.

Am nächsten Wochenende nun, so steht es auf dem Flugblatt, wird eingeladen zum "Ghetto Dance". Es ist "Showtime" und der Werbespruch lautet: "Wer es fühlt, der kennt es." Neben der Gegenwart wird da wohl auch noch die ganze Geschichte feierlich vergessen. Geht das? Darf das sein? Schwingt in Israel bei Ghetto nichts anderes mehr mit als dumpfe Beats? Na ja, man muss ja nicht überall hingehen. Aber die Stimmung wird sicher toll.

Peter Münch, SZ vom 9./10.7.2011

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Venedig

Mit kleinen Kindern auf der Biennale. "Und was ist das da vorne?" - "Sein Krankenbett." "Nein, das da! Das wie eine Uhr tickt. Was ist das?" - "Das ist ein Metronom." - "Ein Metronom?" - "Ja. Es tickt. Die Lebenszeit tickt ja auch und irgendwann ist es halt vorbei." - "Und die schwarzen Bilder?" "Röntgenaufnahmen. Von seiner Lunge. Der Künstler ist an Lungenkrebs gestorben." - "Tut das sehr weh?" - "Ich weiß es nicht. Angenehm ist es sicher nicht."

Parzivalmusik. Das Rattern von Filmprojektoren über den Köpfen der Besucher des deutschen Pavillons. "Und wie hieß der?" - "Christoph Schlingensief." - "Papa? Der koreanische Pavillon war irgendwie lustiger. Da lief ein Zeichentrickfilm." - "Stimmt." - "Und im britischen Pavillon lag ganz viel altes Zeug rum. Und hinter einer Ecke war ein Stehklo. Das konnte man sogar benutzen."

Benutzen?

Martin Zips, SZ vom 2./3.7.2011

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Quelle: AP

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Mitten in ... Buenos Aires

Man darf da keine Witze machen, die Sache ist zu ernst. River ist abgestiegen. Der Fußballverein River Plate aus Buenos Aires zählt zu den argentinischen Heiligtümern, früher war die Mannschaft wertvoller als die des FC Bayern oder FC Barcelona. Am Sonntag verschwand River im WM-Stadion von 1978 in der zweiten Liga. In "la B".

Das Drama trieb 60.000 Zuschauer auf den Rängen und Millionen vor den Fernsehern zu Tränen. Hooligans zertrümmerten die Umgebung, prügelten sich mit Polizisten und bedrohten Spieler. Seitdem gibt es am Rio de la Plata nur noch ein Thema, den Absturz des Heimatklubs von Alfredo di Stefano.

Selbst die Fans von Erzfeind Boca Juniors machen sich kaum darüber lustig, es ist einfach zu ernst. Seit Freitag wird in Argentinien zum Glück wieder Fußball gespielt, Männerfußball: Copa América.

Peter Burghardt, SZ vom 2./3.7.2011

Wissenswert: Warum schlafen Fledermaeuse mit dem Kopf nach unten?

Quelle: ddp

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Mitten in ... Frixing

Die Sonne geht unter, der Mond pfeift aus dem letzten Loch. Allein der Mühlbach plätschert lebendig. Mein Gott, wie schön hier. Doch aufgepasst, die Spitze der Angelrute bewegt sich: Zupp. Das geht ja schnell. Zupp. Jedoch: Kein Fisch dran.

Hier fängst du sicher was, Karpfen oder Waller, hat der Mittermaier Gust gesagt. Der Gust ist Postbote und einer der größten Angler im Landkreis Altötting. Also. Schon wieder: zuppzupp. Nichts dran. Zupp - kein Fisch. Zupp - wieder nichts.

Beim zehnten Mal ist in der Luft ein flinker Schatten zu erkennen. Das sind doch - Fledermäuse! Ach, wie schön von euch, dass ihr einem glücklosen Angler Gesellschaft leistet. Aber könnt ihr nicht etwas anderes spielen, liebe Fledermäuse? Mit dem Baum dort vielleicht? Oder hier, der Autoschlüssel. Nein? Und ihr wollt Säugetiere sein! Pah, Spaßvögel seid ihr.

Rudolf Neumaier, SZ vom 2./3.7.2011

Geplanter neuer Konzertsaal in Muenchen sorgt fuer Streit in Bayern

Quelle: dapd

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Mitten in ... München

Vor dem Marstall plaudern vier alte Damen. Sagt die eine: Jetzt kommt ja der Kušej. Die Zweite: Der macht Tabula rasa, im Marstall ist schon alles leer. Die Dritte: Aber uns kriegt er nicht weg. Die Vierte: Wir sind zu schwer, ha, ha!

Die vier wiegen sich im Sommerwind, und stehen fest in ihren Töpfen.

Könnten Olivenbäume erzählen, würden sie sagen: Wir sind aus Kreta. Ein kretischer Wirt hat uns einst nach München gebracht, als die Stadt noch darüber stritt, ob wir integrationsfähig seien. Der Wirt setzte uns vor sein Lokal und musste sich anhören, der Münchner Baum sei doch die Linde. Da gab er uns ins Asyl, zum Dieter Dorn. Theaterleute haben ja ein großes Herz.

Nun geht der Dorn, und wir zittern. Aber wir haben jetzt noch einmal so richtig geblüht. Das können die vielen jungen Oliven ja nicht, die jetzt vor den Bars und Boutiquen stehen.

Christiane Schlötzer, SZ vom 2./3.7.2011

Elefantenbaby spielt im Matsch

Quelle: dpa

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Mitten in ... München

Als Jamuna Toni vor einem Jahr nach langer Krankheit ins Jenseits hinüberbefördert wurde, konnte das keinen Münchner kalt lassen - schon gar nicht, wenn er die tragische Abwesenheit Jamuna Tonis im Elefantenhaus einem Kind erklären musste. Vielmehr: hätte erklären sollen. Aber jetzt gibt es ja wieder einen kleinen Elefanten in Hellabrunn, er sieht genauso niedlich aus und ist noch dazu für Kinder viel leichter auszusprechen: Er heißt Ludwig.

Jetzt kann man frohen Herzens wieder bei den Elefanten vorbeischauen. Kuck mal, da ist der Ludwig. Langes Gesicht. "Wo ist die Jamuna Toni?" Och, die ist heute nicht da, aber da der Ludwig, ist der nicht süß? "Warum ist die Jamuna Toni nicht da?" Na, weil die eben nicht da ist, aber der Ludwig. "Aber wo ist die?!" An alle Eltern, die vor einem Jahr nicht Klartext geredet haben: Jetzt rächt es sich.

Tanja Rest, SZ vom 25./26.6.2011

Eigentlich auch süß: Im Bild tollt Ludwig durch den Matsch.

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Quelle: Oliver Berg/dpa

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Mitten in ... New York

Das Pärchen war schon immer einen Schritt weiter, und immer war es einer, den man selber nicht mitgehen wollte. Vor vielen Jahren schon reisten die beiden mit Laptops statt mit Notizbüchern; schrieben Blogs statt Emails; trugen 80er-Jahre-Turnschuhe statt Sneakers. Nun leben die beiden im zeitgeistbeschleunigten New York, und so sollte dieses Treffen erst recht einen Blick in die Zukunft gewähren. Man ahnt es: Sie ist grausam.

Keine fünf Minuten, ohne dass die beiden ungeniert zum Iphone greifen, twittern (auch mit am Tisch Sitzenden) oder auf Facebook ihre Liebe grüßen (deren Hand sie gerade mit der Nicht-Iphone-Hand halten). Anwesende stehen in permanenter Konkurrenz mit dem Rest der Welt, der im Iphone haust. Unerträglich. Das dachte man zuletzt über ihre dicken Brillengestelle. Bevor man Jahre später die gleichen kaufte.

Martin Wittmann, SZ vom 25./26.6.2011

Biberbeauftragter schlichtet zwischen Mensch und Biber

Quelle: dpa

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Mitten in ... Winhöring

"Aal? Da würd icke an die Isen jehn. Winhöring!", hat Rainer vom Angelshop gesagt. Rainer ist Berliner, doch in den Altöttinger Gewässern kennt er sich aus wie kaum einer. Über der Isen rumort hier die Autobahn, aber bitte, wenn's Aale gibt. Zwei Stunden später: kein Aal, kein Karpfen. Aber das sind doch Karpfen, die da hinterm Busch Wellen schlagen? Mal einen Teigklumpen hinwerfen. Von wegen Karpfen! Es ist ein Biber, ein wütender.

Er schwimmt direkt vor die Angelstelle und protestiert mit finsterem Blick. Oh, pardon! Er dreht ab, baut weiter. Aber er kommt wieder. Hunger, Herr Biber? Nein danke, bedeutet er, er wolle nur schauen. Aale gesehen? Nö. Beim fünften Mal führt er einen Wasserpurzelbaum vor. Chapeau! Wir werden Freunde in dieser Nacht. Ciao, Biber. Wenn dir ein Aal über den Weg schwimmt: Schöne Grüße!

Rudolf Neumaier, SZ vom 25./26.6.2011

Kinderdienst: Kinder in Deutschland hoeren schlechter

Quelle: ddp

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Mitten in ... Bielefeld

Die Dolmetscherkabine muss der heißeste Ort sein an diesem Tag. Die Konferenz zum Thema Medizin und Menschenwürde wird da gleichzeitig auf Englisch nachgespielt, jedes Wortgefecht und jede Spitze, von Virtuosen. Vorne auf dem Podium streiten Ethiker in rasendem Stakkato, bedanken sich bei Vorrednern sarkastisch für die "Auffrischung der Basics" - und hinten wechseln sich die Dolmetscher alle 20 Minuten zum Luftholen ab. Ihr Takt beschleunigt sich im Lauf des Tages.

Am Ende bleibt nur ein einziger Konferenzbesucher übrig, der die Kopfhörer mit ihrer Tonspur aufhat: ein Professor aus den USA, der die Debatte erstaunlich entspannt verfolgt. Ob sie in der Übersetzung weicher wirkt? Der Amerikaner zwinkert. Er zeigt auf den Tisch vor ihm, das Kabel ist ausgestöpselt. Unterm Kopfhörer kann es auch herrlich ruhig sein.

Ronen Steinke, SZ vom 25./26.6.2011

NEW YORK SUBWAY ALS BEGEHBARES KUNSTWERK

Quelle: SZ

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Mitten in ... Frankfurt

Zwei Frauen, um die 50, unterhalten sich lautstark in der S-Bahn. Ein Mann sitzt ihnen gegenüber, es ist früh morgens, er sieht verschlafen aus. Da sagt die eine Frau: "Haach, jetzt habbe mer den junge Mann total zugebabbelt." Dieser grinst erschöpft: "Nein, gar nicht, ich bin sehr gut dabei eingeschlafen."

"Doch, mir wisse, dass mir alle Leut nervve mit unserem Gebabbel." "Nee, wirklich nicht." "Ach, mir müsse uffbasse, dass mir die Leut net uffresche mit unserm Gerede." Die Frau schaut bei diesen Worten auffordernd zu ihrer ebenfalls gut gelaunten Freundin. "Ja, abber mir könne net anders. Jetzt ham Sie abber ganz schön gelidde, odder?"

"Nein, ehrlich", sagt der Mann. "Aach, mir wisse, dass mir die Leut mit unserm Gebabbel nervve." Die andere Frau nickt. "Nee, nee", sagt der Mann, schon im Gehen.

Markus Zydra, SZ vom 18./19.6.2011

Bin Laden merchandise

Quelle: dpa

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Mitten in ... Washington

Rund ums Weiße Haus stehen in diesen Tagen an allen Straßenecken wieder fliegende Händler mit kleinen Handkarren. Hot Dogs, Eis, Cola. An den Seiten hängen T-Shirts. Die Tourismus-Hochsaison hat begonnen. Wasser geht gerade besonders gut - es ist brüllend heiß in der Metropole. Und noch etwas läuft "sehr, sehr gut", wenn man einer chinesischen Händlerin in der F-Street glauben mag: schwarze T-Shirts für zehn Dollar, mit dem Aufdruck: "Osama got Obama'd" - was man vielleicht auch ohne Übersetzung versteht. Darunter sind martialisch die Silhouetten zweier Navy-Seals zu sehen.

Tatsächlich finden es nach dem Tod des Terrorfürsten fast zwei Drittel aller Amerikaner richtig gut, wie ihr Vormann im Weißen Haus den Kampf gegen al-Qaida führt. Bessere Werte bekommt Obama sonst für nichts. Schon gar nicht für seine Wirtschaftspolitik.

Reymer Klüver, SZ vom 18./19.6.2011

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Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Santa Cruz

Der Mann sitzt in einem Starbucks in Santa Cruz, der Hippie-Stadt an der Westküste der USA. Er trinkt einen großen Café Latte und will reden: "Ah, aus Deutschland!" Er kennt sich gut aus, weiß, dass die Deutsche Börse die New Yorker Wall Street gekauft hat. Sorgt sich, dass die Chinesen so hohe Dollar-Reserven halten und dadurch politischen Einfluss auf seine Regierung haben. Erregt sich über den schwächelnden Dollar und die hohen Benzinpreise. Zwischendurch guckt er auf sein Smartphone. Ein Geschäftsmann, ganz klar.

Nach zwanzig Minuten kommt ein junger Mann ins Café, steuert zielstrebig auf den Gesprächspartner zu. Ob er was habe? Klar, sagt der Gefragte, packt mehrere kleine Plastiktütchen aus und verhandelt über den Preis. Mein Gesprächspartner ist ein Dealer. Auch eine Art Geschäftsmann, ganz klar.

Hannah Wilhelm, SZ vom 18./19.6.2011

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Vent

Das Ötztal ist ein beliebtes Sommerurlaubsziel für Schafe. Bei Vent grasen die wolligen Mäh-Maschinen zu Tausenden, viele von ihnen sind zu Fuß über den Similaungletscher aus Südtirol angereist, wie Ötzi damals. Frisch geborene Lämmer staksen auf zittrigen Beinchen durch die hochalpine Gegend. Als verantwortungsbewusster Wanderer nimmt man seinen großen, stets hungrigen Hund auf der Almwiese pflichtgemäß an die Leine, damit sich die armen Schäfchen nicht bedroht fühlen.

Aus irgendeinem Grund scheinen die Biester aber einen Narren an dem Hund gefressen zu haben, sie dackeln dem braunen Labrador hinterher, als hätten sie ihn zum neuen Leithammel ernannt. Einige besonders neugierige Exemplare stupsen ihn mit der Nase in den Hintern. Der Hund findet das gar nicht witzig. Wer schützt einen eigentlich vor solchen Stalking-Schafen?

Titus Arnu, SZ vom 18./19.6.2011

Woody Allen, TIFF

Quelle: AP

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Mitten in ... Seoul

Wie überall steigen auch in Seoul mit dem warmen Wetter die Rocksäume, oft über das scheinbar Mögliche hinaus. Und das bisschen Stoff, das bleibt, ist fast transparent. Dennoch starren Koreas Männer den Frauen nicht nach, (höchstens heimlich). Das gehört sich nämlich nicht.

Südkorea ist bis heute sozial konservativ. Aber Seoul ist zur Mode-Metropole geworden. Klamotten und koreanische Kosmetik, Cremes in allen Farben, das sind mittlerweile beliebte Souvenirs. Und wenn die Säume steigen, werden auch die Schultern frei.

Auf dem Kopf tragen die jungen Koreanerinnen: Brillen. Dicke dunkle Gestelle. Und - wie rätselhaft - ganz ohne Gläser: nicht als Sehhilfe, sondern als Mode-Accessoire. Eine Hommage an Woody Allen? Ein intellektuelles Statement? Ein Bekenntnis zu mehr Kanten? Man muss ja nicht alles verstehen.

Christoph Neidhart, SZ vom 11./12./13.6.2011

RUSSIA-POWER-CUT

Quelle: AFP

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Mitten in ... Moskau

In Moskau gibt es alles, außer Kaffeepads vielleicht, Lakritz, Schultüten oder CDs von den "Kastelruther Spatzen". Dafür kann man andere Dinge kaufen: eine bessere Abschlussnote, den Führerschein oder einen schnelleren Termin beim TÜV. Die Kontrolle der Autos ist auch in Russland lästige Pflicht, aber sie ist noch sehr viel lästiger geworden, seit die Prüfstellen den Ansturm der Autos nicht mehr bewältigen können.

Das Volk begann zu grummeln. Eine der ersten Fragen, die Präsident Dmitrij Medwedjew kürzlich bei einer Pressekonferenz beantworten musste, war die nach dem TÜV-Problem.

Wladimir Putin hat nun eine Lösung verkündet, die ihn im Wahljahr noch populärer macht. Alle Autos dürfen ohne weitere Überprüfung ein Jahr länger fahren. Da dürfte manche alte Gurke selbst im Straßenverkehr noch ziemlich gefährlich werden.

Frank Nienhuysen, SZ vom 11./12./13.6.2011

Bedienung auf dem Münchner Oktoberfest, 2005

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Brüssel

Ein Restaurant im Brüsseler Europaviertel, nicht weit von den Büropalästen der EU-Institutionen. Ein kleines Hinterzimmer kann man für vertrauliche Gespräche reservieren. Ausnahmsweise treffen sich dort keine Politiker oder Beamten, sondern eine Gruppe Journalisten mit einem Informanten, letzterer wird eingeladen.

Beim Bezahlen fragt einer der Kollegen schüchtern, ob man möglicherweise Einzelquittungen bekommen könnte, über je ein Fünftel des Betrags, für die Spesenabrechnung? "Aber natürlich, das ist doch gar kein Problem", sagt die Kellnerin, und lächelt strahlend. Mit Spesen und Abrechnungen scheint sie sich auszukennen.

Sie wühlt in einem Umschlag mit den Kassenbons des Abends. Schließlich fischt sie ein Exemplar heraus: "Hier hab ich was, Entrecote, Wein, Dessert, 57 Euro 60. Kommt hin, oder?"

Marlene Weiss, SZ vom 11./12./13.6.2011

Sprossen mit hoher Wahrscheinlichkeit Ursache für EHEC-Epidemie

Quelle: dpa

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Mitten in ... Tel Aviv

Als er von den Reiseplänen hört, runzelt der Bekannte sorgenvoll die Stirn. "Da musst du aber vorsichtig sein", sagt er. Gewiss, das hört man oft in Israel - bei Urlauben auf dem Sinai wegen der Terrorgefahr, bei Fahrten nach Jerusalem wegen der tief fliegenden Steine und neuerdings auch bei Ausflügen auf den Golan wegen allfälliger Schießereien.

Doch diesmal hat die Sorge nichts mit Bomben und Raketen zu tun, sondern mit Gurken und Sprossen, schließlich hatte es von höchster Stelle geheißen: "Vorsicht bei Reisen nach Deutschland." Offiziell ließ das israelische Gesundheitsministerium kürzlich verlauten, dass Deutschland-Besucher frisches Gemüse und Milchprodukte meiden sowie strengste Hygieneregeln befolgen sollten - wegen der tödlichen Ehec-Bakterien. Da bleibt mancher wohl lieber zu Hause in Israel, sicher ist sicher.

Peter Münch, SZ vom 11./12./13.6.2011

Ursache fuer die Verbreitung des EHEC-Erregers weiterhin unklar

Quelle: dapd

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Mitten in ... Cala Gonone

Der Ziegenhirte Mariano ist an diesem Tag um 6 Uhr aufgestanden, er hat die Ziegen auf die Weide getrieben, die Kühe versorgt, auf dem Gelände des Agriturismo diverse Bauarbeiten ausgeführt, die Hühner gefüttert, die Ziegen zurückgetrieben, nun ist es 20 Uhr, und alles war wie immer. Bis auf eines.

Unten im Golfo Orosei an der Ostküste Sardiniens liegt seit dem frühen Morgen ein Schiff. Eine Privatyacht. Die fünftgrößte der Welt. "Wir", sagen sie in Cala Gonone, "wir haben heute Bill Gates hier."

Kann sein, er ist wirklich an Bord. Die Octopus gehört aber Paul Allen, Mitgründer von Microsoft. 127 Meter Länge, zwei Helikopter, zwei U-Boote, sechs Beiboote, 60 Mann Besatzung, Baukosten: 200 Millionen Dollar.

Unten haben sie jetzt die Festbeleuchtung angeknipst, oben am Berg geht Mariano Kühe melken. Von Bill Gates hat er noch nie gehört.

Tanja Rest, SZ vom 4./5.6.2011

Hundeführerschein

Quelle: dpa

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Mitten in ... München

Die Blicke im Biergarten zieht an diesem Abend ein riesenhafter Hund auf sich, dessen Herrchen (mit einer Art Seemannsbart) soeben "Tartar mit Sülze" bestellt hat. "Viel Fleisch", sagt er zu seinem schweigsamen Begleiter und zieht dabei das Tier aus der Kellner-Schneise. Die Bedienung, die erleichtert ist, fragt nach der Rasse und hört wohl zum ersten Mal das Wort "Doglador".

Doglador? Ja, das sei eine Mischung aus Labrador und Dogge mit einem "Teflonfell" als Markenzeichen, und seiner - das sagt er sichtlich mit Behagen, denn schon steht die Sülze da - habe das "Idealgewicht von 51 Kilo".

Ob denn dieser dogladorische Riese nicht eine große Wohnung erfordere? Eiwo! 90 Minuten Auslauf täglich und ein bisschen "schwimmen" dabei, das reiche - den Rest des Tages "chille" die Kreatur. Chille: Nur in München ist das Unsteigerbare noch steigerbar.

Marc Hoch, SZ vom 4./5.6.2011

Salzstreuer

Quelle: iStockphoto / Grafik: sueddeutsche.de

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Mitten in ... Buenos Aires

Salzstreuer sind in Argentinien von jeher tückisch. Nationaler Aberglaube empfiehlt, das Ding nie einem Mitessenden in die Hand zu drücken, sondern auf den Tisch zu stellen. Das kommt daher, so die Legende, dass Salz einst Zahlungsmittel war und bei der Übergabe oft wertvolle Körner zu Boden rieselten. Deshalb bringt ausgeschüttetes Salz Pech.

Jetzt hat die Regierung der Provinz Buenos Aires ein revolutionäres Verbot erlassen: Salzstreuer müssen von den Tischen der Restaurants verschwinden und beim Kellner bestellt werden. Damit will das Gesundheitsamt die Gewohnheiten und den Blutdruck senken, geschätzt 3,6 Millionen Bewohner im Dunstkreis der Metropole leiden darunter. Drei Gramm weniger pro Tag könnten 2000 Tode im Jahr ersparen, heißt es.

Aber ein dringender Rat an die Ober: Den Salzstreuer nie dem Gast reichen!

Peter Burghardt, SZ vom 4./5.6.2011

Genfer Autosalon - Erster Publikumstag

Quelle: dpa

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Mitten in ... Berlin

Himmelfahrt: Müde schiebt sich der Verkehr durch die Friedrichstraße. Vor einer Ampel rollen die Autos in den Rückstau, viel Kundschaft für die Scheibenputzer.

Drei Frauen tanzen durch die Schlange und gehen ungefragt in Vorleistung. Es dauert nur ein paar Sekunden, dann klackern die Finger klagend am Fahrerfenster. Die meisten zahlen nicht, sie versuchen, mit wildem Winken das Wischen zu verhindern. Andere fahren die Frauen an - mal verbal, mal im Wortsinn. Egal, die Frauen tanzen.

Bis ein mächtiger Sportwagen heranschwebt, silbern, ein Cabrio: Mercedes SLR Stirling Moss, ohne Frontscheibe und Seitenfenster. Die Frauen tanzen nicht mehr, sie schauen ratlos auf das Auto ohne Fenster. Der Fahrer guckt zurück, er grinst, entspannt und auch ein bisschen gehässig. Die Ampel schaltet auf grün, der Wagen schwebt davon.

Cornelius Pollmer, SZ vom 4./5.6.2011

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Quelle: AP

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Mitten in ... Berlin

Die U-Bahn ist proppenvoll. Sie fährt unterm Ku'damm hindurch, der gerade 125. Geburtstag feiert. Ein paar rotzfreche Jungs flirten mit den spanischen Touristinnen, die spanischen Touristinnen checken auf ihren Smartphones Facebookseiten und tun so, als gäbe es die deutschen Jungs gar nicht. Eine Mutter steigt ein, im Kinderwagen ihr zweijähriger Sohn.

Der Sohn hat keine Augen für die Jungs oder die Touristinnen, fasziniert ist er von einer älteren Frau. Er schneidet Grimassen, er lacht die Dame an. Verwechselt er sie mit seiner Oma? Die alte Frau lächelt jetzt auch, reißt die Augen auf, gibt Gurr-Laute von sich. Als die Mutter aufsteht, weil sie aussteigen muss, sagt die alte Dame: "Wissen Sie, Ihr Sohn hat mir heute die schönste Überraschung gemacht. Als alter Mensch ist man ja nur noch Luft für den Rest der Welt."

Thorsten Schmitz, SZ vom 28./29.5.2011

Mann mit Bierdosen

Quelle: Symbolfoto: dpa

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Mitten in ... Belgrad

Die Stadt, die niemals schläft, so wird für Belgrad geworben. Aber diese Zeiten sind wohl vorbei. Kurz vor Mitternacht schließen die Kneipen. Die Kioskbesitzer verkaufen kein Bier mehr. Und dann auch noch das Geschrei, das durch die Innenstadt brandet, alle paar Minuten. Wütend klingt es, vielleicht antieuropäische Revolten? Nein, so wirkt die Menge nicht, die sich im nahen Park vor der Universität versammelt hat. Keine Lederjacken, keine Fahnenträger. Stattdessen viele junge Leute; schreiend, singend, viele mit Bierdosen.

"Wir protestieren gegen ein neues Gesetz, das den Alkoholverkauf nach zehn Uhr abends verbietet", erklärt eine von ihnen, eine Kunststudentin. Wie in Iran sei solch eine Regel und gegen die serbische Lebensart. "Aber Du hast ja auch nichts zu trinken, komm feiere mit uns", sagt sie und drückt einem eine Dose in die Hand.

Max Hägler, SZ vom 28./29.5.2011

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Lima

Wer Geld verlieren will, muss nicht nach Las Vegas fahren. Lima ist eine Alternative. Die Hauptstadt Perus ist vollgestopft mit Glitzercasinos. Sie heißen Cristal Palace, Alhambra, Palacio Real Inca und so weiter - und man fragt sich, was diese Massen von Spielhöllen im alten Vizekönigreich der Spanier verloren haben. Allein im Viertel Miraflores gibt es vermutlich mehr einarmige Banditen (hier "tragamonedas" genannt, Münzenschlucker) als in ganz Deutschland.

Und manchmal auch zweiarmige Banditen, weshalb nun erstens manche dieser Lokale besser geschützt werden sollen und zweitens Steuerfahnder einfielen. Mehrere Etablissements schulden dem Fiskus Millionen Nuevos Soles, Neue Sonnen, so heißt Perus Währung. Zweifler glauben, dass in diesen Waschmaschinen die Neuen Sonnen der Drogenhändler gereinigt werden.

Peter Burghardt, SZ vom 28./29.5.2011

FRANCE-WINE-VINEXPO-PACKAGING

Quelle: AFP

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Mitten in ... Stockholm

Die Schweden lieben es bekanntermaßen eckig. Darum haben sie einst den Tetrapak erfunden. Und auch im staatlichen Alkoholgeschäft Systembolaget greifen sie immer öfter zu quaderförmigen Produkten: Weinkartons sind ein Renner. Auch deshalb, weil der Wein dann etwas billiger ist als in Flaschen. Das steigert den Umsatz. Und bekümmert die Systembolaget-Vorstände.

Als Staatsmonopolist ist die Handelskette nur der Volksgesundheit verpflichtet, und hohe Verkaufszahlen gelten als beschämende Niederlage. Aus Verzweiflung über die viel zu guten Geschäfte hat das Unternehmen nun den Finanzminister um Hilfe gebeten: Der solle doch bitte eine Sondersteuer auf Weinkartons erlassen. Im Parlament aber gibt es für diese Forderung bislang keine Mehrheit. Auch die Abgeordneten lieben offenbar eckige Verpackungen.

Gunnar Herrmann, SZ vom 28./29.5.2011

Burkhard Reinberg laeuft nur barfuss

Quelle: ddp

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Mitten in ... München

Der Mann sieht aus wie ein Finanzbeamter, der beim Ironman auf Hawaii das Abenteuer sucht: Kahler Kopf, gestählte Waden, Fahrradrucksack, Magnum-Shorts. Nur, dass er am Bahnsteig am Stachus steht. Sein Rennrad scheint ihm abhanden gekommen zu sein - ebenso seine Schuhe.

Andere S-Bahn-Linie, anderer Passagier. Ein Mann, vielleicht auf dem Weg ins Büro, mit Schultertasche, Hemd, Jeans - und ohne Schuhe. Auf dem Heimweg vom Theater. Eine mittelalte Dame, akkurat frisiert und mit Brosche am Revers, tapst durch den Zug - auf nackten Zehen. Woher nur diese plötzliche Fußbefreiungsbewegung? Manche Orthopäden mahnen ja, der menschliche Fuß sei nicht für den Schuh gemacht.

Der Dame in Grau folgt ein Herr im Anzug, er trägt ein Paar Schuhe an den Füßen - und eines in der Hand. Wohl doch nur Blasen statt Barfuß-Aktivismus.

Lena Jakat, SZ vom 21./22.5.2011

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Quelle: AP

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Mitten in ... Rom

Zärtlich streicht der alte Herr mit einem Staubwedel über den dunklen Lack. Sein Automobil ist zu besonders, um nur daran vorbeizugehen. Ein Lancia von 1931, erklärt er, seit 1936 in der Familie. Acht Jahre habe er ihn restauriert, "eine Wahnsinnsarbeit. Aber es hängen so viele Erinnerungen dran." Ich erwarte eine nette Anekdote.

"Meine Eltern sind mit dem Lancia nach Buchenwald gefahren", erzählt er dann. Sie haben meinen Bruder aus dem KZ abgeholt. Im Krieg sind wir damit aus unserem Viertel geflohen, sogar auf den Trittbrettern standen Leute. Alle dachten, die Deutschen bombardieren Rom."

Ich sage, dass ich gerne schreiben würde über ihn und den Lancia, und dass ich Deutsche sei. "Deutsche?", erschrickt der Herr. "Ich bin Jude. Es tut mir leid. Wir haben viel durchgemacht." Sachte schließt er die Tür des Lancia, winkt, und fährt ab.

Andrea Bachstein, SZ vom 21./22.5.2011

Lancia Astura Aerodinamica aus dem Jahre 1935

VIRU HOTELL, KGB TUBA

Quelle: PM/SCANPIX

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Mitten in ... Tallinn

Vom Dach des "Viru" hat man den besten Blick über Tallinn und die Ostsee. In der estnischen Hauptstadt gibt es mittlerweile viele Hotels. Das "Viru" aber ist das älteste. Von finnischen Baufirmen für finnische Wodkatouristen - so nannten die Esten ihre trinkfreudigen Nachbarn - in den siebziger Jahren gebaut, war es zu sowjetischer Zeit das erste Hochhaus in Tallinn. Die oberste Etage hatte der KGB reserviert - um Finnen und andere verdächtige Devisenbringer zu belauschen.

Jetzt ist hier ein kleines Museum. Es riecht sowjetisch, die Abhörgeräte, die Möbel, das Linoleum - alles scheint diesen scharfen Sowjetdunst auszuatmen. Der blonde Mann am Fenster allerdings riecht nach Schnaps. Sehr sogar.

Er wankt zur Treppe, schüttelt sich, stiert über die Schulter zurück und lallt mit schwerer finnischer Zunge: "Fuck the KGB."

Cord Aschenbrenner, SZ vom 21./22.5.2011

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Quelle: SDNI

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Mitten in ... Mariazell

Wer mit seiner frommen Kinderschar bei der Madonna mitten in Mariazell angekommen ist, der hat die größte Hürde hinter sich. Ein erboster Bürger der Nordsteiermark, wo der Gnadenort liegt, hat seinen Wald, durch den ein jahrhundertealter Wallfahrtsweg führt, für Kinderpilgergruppen mit geistlicher Begleitung gesperrt: Priestern, Ordensleuten und Kirchenpersonal ist das Betreten seines Geländes mit sonst "unbeaufsichtigten" Kindergruppen verboten.

Er habe herausgefunden, dass gerade auf solchen Wallfahrten die Neigung zu Kindsmissbrauch besonders eklatant sei, ließ der Besitzer wissen. Deshalb sollen potentielle Unholde in der Sutane sein Territorium nicht mehr mit jungen Menschen betreten dürfen. Schilder verbieten das in aller Deutlichkeit.

Die Kirchenleitung des betroffenen Bistums Graz-Seckau reagierte indigniert.

Michael Frank, SZ vom 21./22.5.2011

Süß oder herzhaft: Pfannkuchen und Crêpes sind leicht gemacht

Quelle: Jens Schierenbeck/dpa/tmn

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Mitten in ... Paris

Am Straßenverkauf einer Brasserie nahe dem Pont Neuf. Die stämmige, rotblonde Verkäuferin hadert mit ihrem Schicksal zwischen Feuer und Eis. Hier die glühende Crêpes-Pfanne, da die kältedampfenden Behälter mit den glaces au citron, à la fraise, au chocolat. "Eine Zumutung ist das", schimpft die Frau. "Diese Hitze und diese Kälte! Da schmilzt doch gleich das Eis, und die Crêpes geraten zu kühl." Während die Rotblonde meckert, wird die Schlange vor ihrem Stand länger. Nichts geht voran.

Das Pärchen vor uns, das eigentlich schon an der Reihe ist, gibt entnervt auf. "Eine typische Pariserin", raunt uns der Mann im Weggehen zu. "Die Pariser haben ständig etwas zu meckern." Die Verkäuferin schaut dem Paar verdutzt nach, zwei Pappteller mit Crêpes in der Hand. "Typisch Pariser", zischt sie uns zu. "Die sind doch nie mit etwas zufrieden!"

Stefan Ulrich, SZ vom 14./15.5.2011

Police spray Ugandan opposition party leaders with coloured water during demonstrations in the capital Kampala

Quelle: Reuters

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Mitten in ... Kampala

Was für poppige Farben das doch sind! Leuchtendes Blau und grelles Pink. Ist das nicht eine wunderbare Bereicherung in dieser staubigen afrikanischen Stadt? Einige Fotos der rosa eingesprühten Menschen in Kampala sehen so aus, als hätte hier ein großes Künstler-Happening stattgefunden. Street Art auf afrikanisch. Von den blauen Menschen, die durch die Straßen sprangen, könnten manche vielleicht der Blue-Man-Group Konkurrenz machen - oder doch nicht?

Sehr glücklich sehen diese farbigen Gestalten wirklich nicht aus, was wohl auch daran liegt, dass sie keine Künstler, sondern Demonstranten sind. Sie marschieren gegen hohe Benzinpreise und ihren Präsidenten. Dafür deckt sie die ugandische Staatsgewalt mit viel bunter Flüssigkeit ein. Weil Farbe allein aber manchen nicht schreckt, ist auch noch eine Portion Tränengas dabei. Kampala im Mai. Zum Heulen.

Arne Perras, SZ vom 14./15.5.2011

JAPAN-SHRINE-PUPIL

Quelle: Archivfoto: AFP

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Mitten in ... Tokio

Japans Schulkinder erhalten bei der Einschulung eine Alarmsirene. Die sieht aus wie ein Diktiergerät und muss am (Norm-)Schulranzen hängen. Der heißt "Landser", genauer "landoseru": unklar ist, ob das Wort vom Tornister des deutschen Landsers kommt oder ob es, da das Japanische nicht zwischen R und L unterscheidet, eine unglückliche Nipponisierung unseres "Ranzens" ist. Laut Wörterbuch stammt es vom holländischen "Ransel", der wird mit "Tornister" übersetzt. Wenn der böse Mann kommt, soll das Kind das Schlüsselchen aus der Sirene ziehen, dann heult sie los.

Sie heult auch los, wenn der Ranzen mit Schwung über den Zaun fliegt und hängen bleibt, oder wenn der Vater das Kind ungeschickt in den Fahrradsitz hebt. Dann fällt man auf und fingert das Schlüsselchen nervös wieder ins Schlüsselloch. Auffallen gehört sich in Japan nicht.

Christoph Neidhart, SZ vom 14./15.5.2011

'Tower of Babel' by artist Marta Minujin is seen in Buenos Aires

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Buenos Aires

Buenos Aires ist gerade die Unesco-Welthauptstadt des Buches. Wer das nicht weiß, der braucht bloß die hübschen Buchhandlungen abklappern. Oder Jorge Luis Borges lesen, der hat in seiner Erzählung "El Aleph" schon 1949 das Internet entdeckt, in einem Keller der argentinischen Hauptstadt. Außerdem war kürzlich Buchmesse, mit Hallen voller Menschen und Bücher. Und jetzt steht im stets selbstbewussten Buenos Aires der Turm von Babel.

Das Werk einer Künstlerin schraubt sich an dem Platz in die Höhe, der dem Befreier San Martín gewidmet ist und den toten Soldaten des Malvinas-Krieges (nicht Falkland!). 25 Meter hoch, bestückt mit 30.000 Büchern aus 54 Ländern, darunter in so exotischen Sprachen wie Deutsch. Besucher kriegen zum Abschluss ein Exemplar von Borges' "Bibliothek von Babel", mitten in einem intellektuellen Paradies.

Peter Burghardt, SZ vom 14./15.5.2011

Faust Prügel Schule Direktor

Quelle: Karl-Josef Hildenbrand / dpa

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Mitten in ... Berlin

Premiere im Maxim Gorki Theater. Der Regisseur Antu Romero Nunes, 28, hat sich - größenwahnsinnig - Viscontis Filmklassiker "Rocco und seine Brüder" vorgenommen, ein Nachkriegsstück aus Mailands Arbeitermilieu.

Plötzlich herrscht Entsetzen. Rocco ist gerade mit voller Wucht von seinem Bruder Simone geschubst worden, mit dem Kopf knallt er auf eine Glasperlenlampe, fällt zu Boden. Benommen steht er auf, aus der Kopfwunde strömt Blut. Es ist kein Theaterblut.

Rocco tritt ab. Simone unterbricht die Premiere: "Wir wollen schauen, wie es unserem Kollegen geht." In diesem Moment kommt Rocco, der Boxer, zurück, mit großem Pflaster und getrocknetem Blut auf Kopf, Gesicht und Schultern. Das geschockte Publikum lacht befreit, als Rocco Simone anblafft: "Du fasst mich heute nicht mehr an, hörst du!"

Thorsten Schmitz, SZ vom 7./8.5.2011

Osama Bin Laden killed in an operation in Pakistan

Quelle: dpa

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Mitten in ... Abbottabad

Die Schule ist aus. In ihren Uniformen und mit akkurat gebundenen Krawatten gehen fröhlich lachende Jungs durch die Gassen eines Basars. Ein Sohn will von seinem Vater die geschicktesten Methoden wissen, wie er beim Cricket die meisten Punkte ergattern kann. Die Händler bieten lebende Hühner an und Fladenbrot. Einige Mädchen kommen aus ihrer Schule, wenige tragen ein Kopftuch.

Abbottabad mag den meist gesuchten Terroristen der Welt beherbergt haben - aber das Leben nimmt in der für pakistanische Verhältnisse liberalen Stadt seinen gewohnten Gang.

Im Haus des Terroristen durften die Kinder keine Cola trinken, erzählt ein Händler. Die Schulkinder hier kennen solche Verbote nicht. Sie drängeln sich um den Stand des Eis-Verkäufers. Auf seiner Truhe prangt ein Aufkleber: Mickey Mouse strahlt die Kunden an.

Tobias Matern, SZ vom 7./8.5.2011

FC BARCELONA VS REAL MADRID

Quelle: dpa

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Mitten in ... Gaza

Es ist zu spät, die Grenze ist dicht, und ungeplant muss ich eine Nacht im Gaza-Streifen verbringen, obwohl ich doch abends unbedingt in Tel Aviv sein wollte. In Gaza gibt es zum Beispiel kein Bier, was nicht so schlimm ist. Aber es gibt auch keine Sportsbar, was schlimm ist, wenn der FC Barcelona in der Champions League gegen Real Madrid spielt.

Im Hotel-TV sind hauptsächlich arabische Nachrichten und Prediger zu sehen, doch schließlich finde ich doch noch eine Art Kneipe - mit Fernseher und Fußball. Der Raum ist gefüllt mit jungen und mit alten Männern, die mich eher skeptisch mustern.

"Für wen bist du?", fragt schließlich einer. "Barcelona", sage ich etwas unsicher. Glück gehabt. Die Männer johlen, als wäre gerade das 1:0 gefallen. Es wird ein schöner Fußballabend mit meinen hundert besten palästinensischen Freunden.

Peter Münch, SZ vom 7./8.5.2011

Fußballer des FC Barelona feiern ihren Sieg.

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Quelle: AP

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Mitten in ... Moskau

Anfang Mai kennt Russland keine Gnade, da gibt es Siegesrauschen selbst im Linienbus. An der Station "Haus des Buches" beginnt die Beschallung mit Marschmusik und schneidigem Soldatenchor, die Moskauer Verkehrsbetriebe gratulieren den Veteranen zum Sieg über den Faschismus.

Nur ist gerade keiner da. Lediglich drei jüngere Fahrgäste, die das Geschmetter offenbar kalt lässt. Ein Mann löst Sudoku, eine Frau bevorzugt die britische Hochzeitsromanze, das Bild mit dem küssenden Prinzen, der Dritte schaut aus dem Fenster.

Dann steigt doch noch ein Kriegsveteran zu, das schlackernde Sakko so grau wie sein Haar, aber verziert mit bunten Orden. Die Musik donnert weiter, aber was kümmert das den alten Herrn? Er zieht ein Klatschblatt und vertieft sich in eine Seite, auf der eine schöne Schauspielerin ihr Pferd streichelt.

Frank Nienhuysen, SZ vom 7./8.5.2011

Brazilian model Gisele Buendchen takes part of a fashion event

Quelle: dpa

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Mitten in ... São Paolo

Interessante Schaufensterpuppe, dachten sich die Passanten vor dem Einkaufszentrum Iguatemi in Sao Paulo. Blond, schlank - und obendrein beweglich. Sie trug erst eine blaue Bluse, schwarze Jacke und schwarze Bermuda, dazu hohe Schuhe. Dann eine schwarze Hose und schwarzes Top. Ihre Ähnlichkeit mit Brasiliens berühmtestem Model war verblüffend.

Und siehe da, es handelte sich um Gisele Bündchen, 31, geboren in Horozontina, wohnhaft in Los Angeles, Mutter, Footballspielerfrau und bestbezahlter Kleiderständer der Welt. Es stand sogar an der Kulisse: "Kollektion Gisele Bündchen für C&A." Direktmarketing, könnte man sagen. Falls jemand an dem Ort interessiert ist: Das Shopping Iguatemi an der Avenida Brigadeiro Faría Lima öffnet von zehn bis 22 Uhr, sonntags bis 20 Uhr. Gisele musste allerdings nachher wieder weg.

Peter Burghardt, SZ vom 30.4./1.5.2011

© Süddeutsche Zeitung/dd/kaeb
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