Malta:Die Erben des Falken

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Der Malteserorden machte Malta zu einer Großmacht. Heute aber sucht das kleinste EU-Land nach einer neuen Identität.

Bettina Ehrhardt

Malta, der Name hat einen besonderen Klang. Einige hören darin das phönizische "Malat", das Hafen oder Zuflucht bedeutet. Die Römer nannten die Insel "Melita", Insel des Honigs, und beides könnte es treffen: Maltas Bienen saugen Nektar aus Kapernblüten - die Insel ist berühmt für ihre Kapern - und machen daraus würzigen Honig.

Mittelmeer
:Malta und seine kleine Schwester

Europas kleinster Staat ist ein an Geschichte und Geschichten reicher Ort. Viel zu entdecken gibt es auch auf der Schwesterinsel von Malta: Gozo.

Im Lauf der Jahrtausende haben Fischer, Seeräuber, Raubritter und andere Eroberer in den tief eingeschnittenen Naturhäfen der "Honiginsel" Zuflucht gesucht.

90 Kilometer südlich von Sizilien und nur 360 Kilometer von der libyschen Küste entfernt liegt der maltesische Archipel im Meer - die Reste einer Landzunge, die einst Afrika mit Europa verband. Zwergelefanten und Flusspferde sind hier herübergewandert, in einer Höhle fand man ihre Knochen.

Auf Gozo, Maltas kleinerer Nachbarinsel im Norden, soll die Nymphe Kalypso Odysseus verführt haben, und bis heute schwören die Malteser Stein und Bein, dass der schiffbrüchige Apostel Paulus auf seinem Weg nach Rom just auf Malta Rettung fand und zum Dank die Inseln gesegnet hat.

Europas kleinster Staat (seit 2004 gehört Malta zur Europäischen Union, nach knappem Votum) ist ein an Geschichte und Geschichten reicher Ort.

Beim Anflug schon waren sie einem aufgefallen, die trutzigen Festungsmauern rund um das winzige Valletta, Hauptstadt von Malta und Weltkulturerbe. Es sind Zeugnisse einer wilden Zeit, als das christliche Europa mit dem osmanischen Reich um Vorherrschaft im Mittelmeer rang, um Handelswege und Reichtum, und wo Piraterie für alle Parteien ein einträgliches Geschäft war.

Hoch wölbt sich die einst modernste Stadt Europas auf dem Rücken der Halbinsel Monte Sciberras, Grand Harbour auf der einen, Marsamxett Harbour auf der anderen Seite, wehrhaft, uneinnehmbar. Alte Kanonen stehen auf öffentlichen Plätzen und in den Gärten - und sogar vor der Pforte der St. John's Cathedral.

Ein bisschen erinnert Valletta an Manhattan, wenn der Blick an den rechtwinklig angelegten Straßen entlang in die Weite geht und wie dort am Horizont auf den Himmel oder das Meer trifft.

Valletta, Stadt des Malteser Falken: Dass Kaiser Karl V. im Jahr 1530 den von den Osmanen aus Rhodos vertriebenen Johanniter Kreuzrittern Malta als ewiges Lehen übertrug, gegen die alljährliche symbolische Zahlung eines Falken, daran hat sich nicht zuletzt Dashiell Hammetts Phantasie entzündet.

Mitten im Zweiten Weltkrieg verfilmte John Huston den weltberühmten Detektivroman zum Teil auch hier, mit Humphrey Bogart in der Hauptrolle - kurz bevor deutsche Flugzeuge die Insel und die Stadt in Schutt und Asche bombten.

Vieles wurde nach dem Krieg in Valletta wieder aufgebaut aus dem hellen Sand- oder Kalkstein, der das Gesicht der Inseln prägt: die mächtige, über 40 Meter hohe Kuppel der Karmeliterkirche zum Beispiel. Sobald der Besucher eines der Tore passiert hat, fühlt er sich versetzt in die Zeit, als diese Renaissancestadt in nur fünf Jahren erbaut wurde.

Sonnenuntergang am Großen Hafen. (Foto: N/A)

1571 bekamen die Landsmannschaften der adligen Ritterschar eine Stadt, die der Baumeister Francesco Laparelli, ein Schüler Michelangelos, am Reißbrett entworfen hatte. Jede der acht "Zungen" - Böhmen, Bayern und Engländer, Spanier, Portugiesen, Franzosen und Italiener - hatte ihre eigene Auberge, internatsähnliche Quartiere mit gemeinschaftlichen Wohnräumen.

In ihnen sind heute Ministerien untergebracht, in der prunkvollsten, der von Castille, Leon und Portugal, residiert der Premierminister.

Vallettas Pracht zeugt noch heute von der Macht des Ordens. Zugleich erinnert die Stadt an den großen Sieg, als im Jahr 1566 eine kleine Schar von 600 Rittern, unterstützt von der Bevölkerung Maltas (8500 Mann, die fast alle umkamen), das riesige, viermal so starke Heer der Osmanen schlug.

Monatelang leisteten sie während der "Großen Belagerung", dem "l-assediju l-gbir", erbitterten Widerstand, bis die Angreifer, zermürbt von inneren Machtkämpfen, abzogen.

Daraufhin befahl der Großmeister Jean Parisot de la Vallette die Erbauung einer neuen Festungsstadt, die fortan seinen Namen trug. Sie hatte die modernsten Hospitäler ihrer Zeit - schließlich waren die Johanniter ein Hospizorden.

Ritters Musterstadt

Zisternen und unterirdische Abwasserkanäle und nicht zuletzt das urbane Schachbrettmuster, wo der Wind durch die Gassen bläst, bannten die Seuchengefahr. Müll wurde außerhalb der Stadtmauern verbrannt. Eine Musterstadt.

Sogar ein Theater richteten die Ritter 1731 ein. Bis heute wird das entzückende, 600 Plätze fassende Manoel-Theater, es ist das älteste in Europa, bespielt, mit Konzerten, Theater und Oper. Die wunderbare Akustik des Holzbaus verstärken mit Wasser gefüllte Zisternen unter der Bühne.

Überhaupt ist Malta der Fleck mit der vermutlich höchsten Bühnendichte der Welt: 300 Theater soll es geben, jede der Musikkapellen, die bei den Straßenumzügen zu Ehren der vielen christlichen Heiligen auf den Gassen in historischen Kostümen aufspielen, besitzt ein eigenes.

Auf der kleinen Insel Gozo treten alljährlich zwei Operninstitutionen zum Sängerwettstreit an. Die Zahl der Theater wird nur noch von der der Kirchen übertroffen: 364.

Dreimal soviele Touristen wie Einwohner

Nachts geht man fast allein durch Vallettas leere Gassen, denn nur 7000 Menschen leben hier. Tagsüber drängen sich zehnmal so viele in der Stadt, Pendler aus der Umgebung und Touristen. Dreimal so viel wie Malta Einwohner hat, 400.000, kommen alljährlich zu Besuch - und obwohl die Hauptinsel mit einer Länge von nur 27 Kilometern und knapp 1300 Einwohnern pro Quadratkilometer zu den am dichtesten bevölkerten Flecken der Erde zählt, hat man doch nie den Eindruck von Beengtheit.

Malta ist das Mallorca der Engländer: Es gibt hier englische Pubs zuhauf, gelbe englische Oldtimer-Busse, die der Stolz ihrer Fahrer sind, zweisprachige Straßenschilder (in Englisch und Malti), nicht zuletzt Sprachkurse ("Englisch lernen ohne englisches Wetter"). Besonders in der schrillen Ausgehmeile Paceville kann man sich die Nächte very british um die Ohren schlagen.

Trotzdem sprechen beileibe nicht alle Malteser Englisch. Der Fischer zum Beispiel, der einen, als der Bus nicht kommt, sehr freundlich von der entlegenen Paradise Bay, einem der raren Sandstrände im Norden der Insel, wieder mit zurück in die Stadt nimmt, spricht nur Malti, eine semitische Sprache. Sie ist das Erbe der phönizischen Herrschaft in der Antike und der arabischen im Mittelalter: 70 Prozent des Malti-Wortschatzes ist semitischen Ursprungs, vermischt mit Italienisch und Englisch.

Und so kommt es, dass in diesem katholischsten Land Europas, wo laut Eurobarometer jeder zweite Bewohner dem Wort des Priesters mehr vertraut als sich selbst, wo Scheidungen bis heute verboten sind, Gott mit "Grazii il Allah" gedankt wird.

An die Araber erinnern auch die hölzernen Alkoven vieler Fassaden, aus denen man unerkannt auf die Straße blicken kann. Diese Architektur wirkt so typisch, dass Valletta schon öfter als arabische Filmkulisse gedient hat: Das Beirut in Spielbergs Film "Munich" war eigentlich Valletta.

Landschaftlich sind Malta, das stille Gozo und das winzige Comino (die "Kümmelinsel") karge Eilande - schon die Phönizier, später die Römer holzten für den Schiffbau alles ab. Im Sommer verbrennt die Sonne das Land, aber außerhalb der heißesten Zeit findet man schöne und erstaunlich einsame Wanderwege entlang der Küste.

Beste Sicht im sauberen Wasser

Im klaren Wasser haben Taucher und Schnorchler beste Sicht. Es soll das sauberste des gesamten Mittelmeeres sein, wenn die Strömung nicht gerade giftige Feuerquallen, die in manchem Jahr zur Plage werden, an die Strände treibt. Tauchgänge zu Schiffswracks und in Höhlen sind aufregende Erlebnisse; an manchen Stellen fallen Steilwände so abrupt in die Tiefe, dass man das Gefühl hat, in reines Türkis hineinzuschwimmen.

Wie die Inseln wohl aussahen, als 5000 vor Christus die ersten Bewohner hierher kamen? Von Sizilien aus, das man an klaren Tagen am Horizont erahnt, steuerten sie Gozo und Malta an, auf Flößen, mit Saatgut und ein paar Tieren an Bord. Etwa 1000 Jahre später begannen sie Tempel zu bauen, die einzigartig sind auf der Welt: Errichtet aus meterhohen, 1000 Tonnen schweren Steinquadern, mit Rundbögen, Nischen und Altären, die Wände verziert mit kunstvollen Ornamenten und Tierdarstellungen - lange vor Stonehenge und den ägyptischen Pyramiden.

Nichts weiß man über den Alltag dieser rätselhaften Steinzeit-Baumeister und wenig über ihre vollkommen eigenständige Kultur, die so plötzlich, wie sie auftauchte, 2500 vor Christus wieder verschwand. Vielleicht haben diese ersten Malteser nie permanent hier gelebt; vermutlich kamen sie nur, um ihren Göttern zu huldigen und ihre Toten zu begraben.

Sie meißelten Figuren aus dem Gestein, manche einen Daumen groß, andere bis zu drei Meter hoch. Kugelrunde Gestalten mit kleinen Köpfen und zierlichen Füßen und Händen, die ausschauen, als hätten sie dem kolumbianischen Maler Botero Modell gestanden.

Zeit der Fülle

Die meisten stecken in strengen Faltenröcken, unter denen die mächtigen Schenkel hervorragen, einige haben Brüste, andere sind ohne Geschlechtsmerkmale.

Am eindrucksvollsten ist die unterirdische Kultstätte Hal Saflieni in der Ortschaft Tarxien. Hier fand man Tausende von Figuren. Drei Stockwerke tief gruben die Baumeister ellipsenförmige Räume in den weichen Muschelkalkstein, mit Fenstern und Türstöcken und sogar einem Dach.

In einer der Kammern, die Grabbeigaben enthielt, lag die anmutigste Figur von allen, die nur zwölf Zentimeter große "sleeping lady": Sie ruht auf einem Bett, auf der Seite. Einen Arm hat sie unter den Kopf geschoben, unter dem anderen angewinkelten Arm ahnt man ihre Brüste, in der Taille bilden sich kleine Speckringe.

Wie ein Ballon wölbt sich der Rock über dem Körper, unten lugen winzige Füße hervor. Es muss eine Zeit der Fülle gewesen sein, als diese Schönheit entstand.

© SZ vom 31.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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