Kenia:K wie Kinoland wie Kenia

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Ob Jenseits von oder Nirgendwo in Afrika: Große Filme haben große Illusionen von Kenia hinterlassen - eine Reise in die Wirklichkeit.

Tobias Kniebe

Der Tipp stammt von Karen Blixen selbst. "Man sollte Afrika aus der Luft sehen, das ist sicher", schrieb sie in ihren Aufzeichnungen. "Dort erst entdeckt man die ungeheuren Weiten." Die dänische Baroness, später weltberühmt, überflog Afrika in der Propellermaschine des Großwildjägers Denys Finch Hatton. Er war die Liebe ihres Lebens - bis zu dem Tag im Jahre 1931, an dem er abstürzte. Als Blixens Leben in "Jenseits von Afrika" verfilmt wurde, durften Meryl Streep und Robert Redford über Kenia schweben: Über Gnuherden und Flamingoseen, über Hügelketten und Nebeltäler, getragen von elegischer Filmmusik.

Kenianische Illusionen. Klicken Sie auf das Bild, um zur Fotostrecke zu gelangen. (Foto: Fotos: Kenia Tourist Board)

Und heute? Heute sind ein paar ganz normale Touristen dran. Ein Linienflug zwar nur, auf der Strecke Nairobi - Masai Mara, Landung im größten Wildreservat des Landes. Aber die kleine Propellermaschine der Air Kenya, in der die Passagiere die Nasen ans Fenster pressen, kommt dem Traum schon sehr nahe. Unter ihnen: Savanne, vereinzelte Akazien, das dunkle Band des Mara River. Die grauen Punkte am Flussufer - Elefanten! Und ja, mancher kann es nicht lassen: Setzt die Kopfhörer auf, startet den "Jenseits von Afrika"-Soundtrack, lässt die Streicher erklingen und über die Steppe wogen - und sagt nur leise "Wow", bevor er ins Reich des Kinos abdriftet. So sollte Reisen sein: Ein Trip wie ein Film.

Am Ende liegt das natürlich an Kenia. Schon wahr, in anderen Teilen Afrikas kann man ähnliche Tiere beobachten, ähnliche Landschaften sehen, vielleicht ist die Infrastruktur sogar besser. Aber etwas würde fehlen: Geschichte, Magie - Sätze aus großen Romanen, von Blixen bis Hemingway, Bilder aus großen Filmen. Hier - und eben nicht in Südafrika - hat Robert Redford den Pavianen Mozart vorgespielt. Hat William Holden Büffel gejagt. Hat ein großer Liebhaber Ava Gardner erobert. Haben die menschenfressenden Löwen des Tsavo gewütet und die coolsten Frauen des British Empire ihre Leidenschaften ausgelebt. Am Ende musste es Kenia sein - auch für die Regisseurin Caroline Link und ihren Produzenten Peter Herrmann. Letztes Frühjahr haben sie "Nirgendwo in Afrika" hier gefilmt, die Kindheitserinnerungen der deutsch-jüdischen Emigrantin Stefanie Zweig - auch das, von Anfang bis Ende, eine wehmutsvolle Kenia-Geschichte. Einfach waren die Dreharbeiten nicht, aber wenn man Bilder will, die Vergangenheit und Größe atmen, die das Format einer Pocketkamera sprengen - dann gilt für Urlauber und Filmemacher das gleiche: Dann gibt es für Kenia keinen Ersatz.

Der Film im Kopf geht einfach weiter

Die Landrover warten schon an der Landebahn. Offene, tarnfarbene Armeefahrzeuge, die altmodisch und unzerstörbar aussehen - kaum anders als der Pritschenwagen, mit dem auch Redford und Streep durch den Busch fuhren. Und der Film im Kopf geht einfach weiter: Plötzlich steht ein Löwe neben der Straße, keine fünf Meter vom Auto entfernt, die Fotografen schalten auf Dauerfeuer. Der Löwe wirkt unbeeindruckt, er hat die erste Regel längst begriffen, die jeder Filmstar lernen muss: Bloß nicht in die Kamera schauen. Er wandert weiter, auf einen Erdhügel zu, wo mehrere Löwinnen ruhen und Ausschau halten - und dann legt er sich, perfekt platziert, genau davor: der Boss und sein Rudel.

Wo sogar die Tiere einen Sinn für Bildgestaltung haben, dürfen die Menschen nicht nachstehen: Das Zeltcamp liegt an der Flussbiegung, malerisch unter alten Bäumen. Als die Engländer in Kenia noch das Sagen hatten, hieß es "Governor's Camp" und war für Ausflüge der Royals reserviert - zum Beispiel für den damaligen Prince of Wales. Heute heißt es immer noch so, aber inzwischen darf hier jeder wohnen, der es sich leisten kann, wenigstens für eine Nacht ein königliches Taschengeld auszugeben.

37 Zelte hat dieses Camp - und es wird sorgfältig darauf geachtet, ein Gefühl für die Frühzeit des Safarilebens zu konservieren: Alles steht fest, die Duschen sind gemauert - aber theoretisch könnte man diese Zelte auch mitten in der Steppe aufbauen; nachts rauscht die Gaslampe, die Geräusche der Savanne kommen verdächtig nahe - es gibt keinen Zaun, der die Wildtiere abhalten könnte, nur einen Wächter mit Gewehr.

Festmahl im Busch ínklusive Chateau d'Yquem

Im Quartier der Bediensteten steht eine Telefonzelle, für die Gäste gibt es solche Ablenkung nicht - die sollen auch gar nicht telefonieren. Dass es trotzdem um Luxus geht, ist keine Frage: Auch Denys Finch Hatton, im Hauptberuf ein früher Safari-Unternehmer, hielt mitten im Busch so manches Festmahl ab - inklusive Chateau d'Yquem, seinem Lieblings-Bordeaux. Den könnte man, wenn man es darauf anlegt, im "Governer's Camp" sicher auch bekommen. Und an der Bar trifft man dann vielleicht Greg Russel, einen Heißluftballon-Piloten, der schon 1984 dabei war, als die Luftaufnahmen für "Jenseits von Afrika" gedreht wurden - drei Monate lang, nur ein paar Meilen von "Governor's" entfernt, am Hügelzug von Oloololo.

37 Zelte sind aber noch wenig, wenn man bedenkt, was Filmleute hier auf die Beine stellen: Bei "Nirgendwo in Afrika" gab es 80 Zelte am Drehort Lolldaiga, nordwestlich des Mount Kenia. Bei John Fords "Mogambo", 1952 im Südwesten gedreht, waren es sogar 300: Die größte Safari-Operation in der Geschichte des Landes. Chef dieses Zeltlagers war Bunny Alien, in seiner Jugend Assistent von Finch Hatton, später selbst ein legendärer "White Hunter". Unglaublich soll der Charme dieses Draufgängers gewesen sein, mit all den romantischen Verstrickungen, die sich schon nach einer Nacht in der Wildnis ergeben können - auch Hemingway wusste davon zu berichten.

Szenen wie aus den großen Zeiten

Jedenfalls gelang es Bunny Alien bei "Mogambo" offensichtlich, Ava Gardner zu verführen, obwohl Clark Gable ihr Filmpartner war, und sie außerdem von Frank Sinatra bewacht wurde, ihrem Ehemann. Der große Jäger hat zu diesen Gerüchten immer geschwiegen - eine wahrer Gentleman. Im Februar 2002 nahm er sein Geheimnis mit ins Grab.

Wenn man als Reisender Szenen erlebt, die von diesen großen Zeiten noch etwas spüren lassen - dann hat man eigentlich schon gewonnen. Im "Mount Kenya Safari Club" zum Beispiel, den der Schauspieler William Holden 1959 übernahm und anschließend beim Jet Set der Welt berühmt machte. Hier kann man einen Bungalow buchen - Cottage Nummer zwölf - in dem Holden seine drehfreien Tage verbrachte: Mit Blick auf eine wunderbare englische Parklandschaft, durch die exakt der Äquator verläuft, mit zahmen Pfauen und Heiligen Ibissen - und, an guten Tagen, einer Aussicht auf den schneebedeckten Mount Kenia. Aber kann man soviel Dekadenz überhaupt genießen? Dass da ein Problem liegt, scheint den Managern wohl bewusst zu sein: Keiner vergisst zu erwähnen, wieviel sein Unternehmen für die Angestellten tut, wie Schulen und Hospitäler unterstützt werden in den Dörfern der Nachbarschaft. Beruhigung für Touristenseelen? Wahr ist jedenfalls, dass den Kenianern nicht geholfen ist, wenn die Reisenden, die ein waches Bewusstsein für die Probleme des Landes haben, aus Schamgefühl überhaupt nicht mehr kommen.

Aus der einsamen Farm wurde ein nobler Vorort

Das Ende der Reise wird, wie auch der Ausgangspunkt, Nairobi sein. Dort kann man noch einmal das Haus besuchen, das Karen Blixen bewohnt hat: Damals eine einsame Farm am Fuße der Ngong-Hügel, heute inmitten eines noblen Vororts gelegen und als Museum hergerichtet. Hier wurden seinerzeit nur Außenaufnahmen gedreht - die Innenräume wirken ein bisschen enger, als man sie vom Film in Erinnerung hat. Ein paar Requisiten erkennt man sofort - das transportable Grammophon, die Kuckucksuhr, Redfords Hosen hängen überm Stuhl.

Die Wahrheit aber ist, dass das Kenia der Filmillusionen in Nairobi kaum noch zu spüren ist - zumindest nicht an öffentlichen Orten. Das berühmte "Norfolk Hotel" zum Beispiel, das in "Nirgendwo in Afrika" eine große Rollen spielt als Internierungslager für deutsche Frauen und Kinder während des Zweiten Weltkrieges, hat nichts mehr von der ländlichen Atmosphäre auf alten Fotos: Caroline Link musste diese Szenen im "Outspan Hotel" in Nyeri drehen, einer nördlichen Provinzstadt. Dort wohnte immerhin auch schon die englische Prinzissin Elisabeth - just bevor sie zur Königin gekrönt wurde.

Nur den exklusiven "Muthaiga Country Club", der nicht nur in "Jenseits von Afrika" ein zentraler Treffpunkt ist - auch die wunderbare Greta Scacchi verführt hier die Männer in "Die letzten Tage von Kenia" - den gibt es noch immer: Jetzt vor allem als Golfclub. Man kommt nur nicht so einfach hinein: Man muss von einem Mitglied eingeladen werden, alles läuft über die monatliche Abrechung, Bargeld ist unbekannt. Und die zweifelhafte Bar, in der nur Männer zugelassen sind, die Meryl Streep verbotenerweise betritt auf der Suche nach ihrem untreuen Gatten, die gibt es offensichtlich noch immer. Hier sitzen sie also, die "Kenian Cowboys" von heute: So weiß und so dekadent wie eh und je, so weit entfernt von der Realität ihres Landes, wie man überhaupt nur sein kann - und die wenigen schwarzen Club-Mitglider, die natürlich inzwischen zugelassen sind, dürften sich dabei ziemlich seltsam fühlen. Keine Frage, auch das ist eine Szene, die man man gesehen haben sollte - vielleicht beim nächsten Mal. Denn das ist typisch für Kenia: Sobald man sich für den Nachtflug nach Europa anschnallt, verspürt man schon Lust auf eine weitere Folge.

(SZ vom 5.11.02)

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