Jemen:Dolch und Handy in der Hose

Lesezeit: 4 min

Je schmaler die Gassen, desto größer die Verwirrung: Wer sich ins Innere eines Marktes im Jemen vorwagt, taucht ein in eine Welt, in der Waffen zur Alltagskleidung gehören.

Christian Schreiber

Der alte Mann schiebt sich durch das Gewühl vor dem Bab al Jemen. Hier, vor dem Haupttor Sanaas, rechnet er sich die besten Chancen aus. Sein Gesicht ist von tiefen Falten zerfurcht und auch die dunklen, müden Augen zeugen von einem beschwerlichen Leben. Wie die anderen Männern trägt er einen kunstvoll geschlungenen Turban. Der alte Mann unterscheidet sich von ihnen lediglich durch sein Warenangebot.

Er bietet keine Schmalzkringel oder Kaktusfrüchte feil. Was er unter seiner dunklen Jacke hervorzieht und wie einen wertvollen Goldschatz auf die flache Hand legt, dabei die Finger ganz weit spreizt, gilt als das jemenitische Nationalsymbol: die Djambia.

Plötzlich zaubert er einen zweiten Krummdolch hervor. Dann einen dritten. Alles folgt seiner Choreographie. Der letzte Krummdolch fasziniert nicht nur die Touristen, sogar Einheimische sammeln sich jetzt um den alten Mann. Zwei Goldmünzen zieren den Griff und die Scheide ist mit silbrigen Ornamenten geschmückt.

Dabei macht den Dolch erst eine andere Besonderheit so wertvoll: Der speckige Griff, der von Tausenden Händen weich geschliffen wurde, stammt von dem Horn eines Nashorns. In gebrochenem Englisch macht der Verkäufer den Touristen darauf aufmerksam.

Worauf er nicht hinweist: Schmuggler müssen das wertvolle Material ins Land bringen. Der Import ist seit 25 Jahren verboten. Die Antikenbehörde achtet nun zumindest darauf, dass solche Ware den Jemen nicht mehr verlässt. Touristen sollten nur politisch und ökologisch korrekte Djambias kaufen.

Davon findet man genug, wenn man das Bab al Jemen durchschreitet und in der Altstadt Teil eines noch größeren Getümmels wird. Der erste Gang führt zum Geldwechsler, einem Mann mit dickem Gesicht und herabwürdigendem Blick, der in seiner Holzbude liegt und einen Bündel Scheine in seinen großen Pranken hält. Selbst Dieter Bohlen würde in einer Benimm-Show mehr Seriosität ausstrahlen als dieser windige Geselle. Aber der Reiseführer hat versichert, dass die wahren Abzocker mit Schlips und Anzug hinter einem verglasten Schalter in den offiziellen Banken sitzen.

Nach der Wechselbude wird klar, warum es schon seit Hunderten Metern so süßlich duftet: Ein halbes Dutzend Händler hat Datteln zu Pyramiden geformt. Hier weht plötzlich ein strenger Wind, es riecht nach Dung. Es ist die erste wichtige Erkenntnis im Suk, wie der Markt im Jemen genannt wird: Die Nase ist dem Auge immer ein Stück voraus. Nach ein paar Schritten taucht ein dunkler Schuppen auf, den alle Touristen freudig bestaunen. Ein Kamel trabt im Kreis und dreht einen Mühlenstein, aus dem feiner Sesam rieselt.

Waffen sind ein Teil der Kultur

Immer schmaler werden die Gassen, immer größer wird die Verwirrung. Aber nur, wer sich tief vorwagt, wandelt auf den Spuren der Djambias. Natürlich gibt es die Händler, die gleich ein Komplettangebot mit Krummdolch, Scheide und Gürtel bereithalten. Für Touristen. Kein Einheimischer würde hier sein neues Statussymbol erwerben.

Seit mindestens 1400 Jahren tragen die Jemeniten im Norden des Landes eine Djambia, was übersetzt "an der Seite" bedeutet. Heute ist der Krummdolch aber grundsätzlich mittig angebracht und kann als unmittelbare Verlängerung der Männlichkeit gedeutet werden. Mit Rang und Alter steigen Qualität und Wert des Dolches, der heute nicht mehr als Waffe verwendet wird.

Waffen sind ein Teil der jemenitischen Kultur. Es gibt sogar Gebiete, da ist die Kalaschnikow Bestandteil der Alltagskleidung. Sie gehört zum guten Ton. Selbst Richter tragen die Djambia - obwohl sie abgelegt werden muss, wenn jemand als Angeklagter vor den Kadi tritt. Heutzutage erfüllt sie eher praktische Zwecke: Unsere Fahrer haben zwischen Bauch und Gürtel stets den Auto-Schlüssel geklemmt. Andere benutzen es als Handy-Halterung, Safar zum Beispiel.

Wenn das Mobilteil tatsächlich mal ein paar Minuten schweigt, findet der junge Händler Zeit für ein paar Erklärungen. Er habe hauptsächlich Griffe im Angebot, geformt aus allerlei tierischem Material: Hörner von der Kuh und vom eigentlich verbotenen Nashorn.

Von Scheich zu Scheich

Silber sei etwas aus der Mode gekommen, dafür könne er Glas anbieten. Plastik nehme er aus Prinzip nicht ins Programm. Und wenn der Tourist gewählt habe, nehme er ihn flugs bei der Hand und führe ihn zu einem Freund, der in "extrem aufwendiger Arbeit extrem gute Klingen macht".

Das könnte ein weiter Weg werden. Was in vielen Führern steht, gibt auch die Tourismusbehörde unumwunden zu: Die Zeiten der von jemenitischer Hand geschmiedeten Vollstahl-Klinge ist vorbei. In der Regel sind es zwei Stahlblech-Hälften, die in einem chinesischen Hinterhof zusammengesetzt werden.

Die kitschig bestickten Gürtel, mit Gold- und Silberfäden überzogen, werden dafür meist noch in Handarbeit gemacht. Nur zuschauen darf Mann da nicht. Reine Frauenarbeit, sagt Safat al Azar, der in seiner kleinen Bude sitzt. Touristen sollten am besten gleich eine Sonnenbrille aufsetzen, wenn sie sich seinem Reich nähern, in dem Dutzende Lämpchen Hunderte goldene Gürtel anstrahlen und das Licht tausendfach reflektieren. Er hat auch eine Ecke mit wertvollen Scheiden aus echtem Silber und scheinbar als Gegenpool billige Djambias aus Holz - "für Kinder."

Tatsächlich sieht man auf dem Weg zurück zum Bab al Jemen zahlreiche Jung-Jemeniten mit der Variante "Djambia light". Erst mit 14 Jahren dürfen sie die Erwachsenen-Version tragen, dann erst sind sie Manns genug. Aber neugierig sind sie natürlich, die Kleinen. Eine ganze Kinderschar umringt jetzt den alten Händler vor dem Bab al Jemen.

Er preist immer noch die drei Krummdolche an. 300 Euro will er für das wertvollste Stück. Da ließe sich bestimmt noch ein bisschen handeln. Der Dolch ist immer noch günstig, verglichen mit jenem Krummdolch, der im Jahre 2003 von einem Scheich zum nächsten wechselte und mit ihm eine Million Dollar. Es soll ein besonders altes Exemplar gewesen sein, das schon ein Herrscher vor Hunderten Jahren getragen hat. Und so ein Scheich hat es ja auch nicht nötig zu handeln.

Reiseinfos:

Anreise: Lufthansa und Yemenia fliegen dreimal wöchentlich Sanaa an. Einreise: Ein Visum ist erforderlich (ca. 40 Euro). Botschaft der Republik Jemen: Budapester Str. 37, 10787 Berlin. Telefon: 030/8973050. Rundreise: Diverse Anbieter haben den Jemen im Programm. Beispiel: Die 19-tägige Jemen-Reise des DAV Summit Club (Telefon: 089/642400; www.dav-summit-club.de) mit Inlands-Flügen und Vollverpflegung für 2490 Euro.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: