Interview:Wie gefährlich ist Vulkantourismus?

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(SZ vom 26.10.1999) - Das Rumoren des Ätna im vergangenen Frühjahr wurde zum Medienspektakel und zur Touristenattraktion. Italienische Experten haben wieder vier kleine Lavaströme am aktivsten Vulkan Europas entdeckt. Rolf Schick ist Vulkanologe. Der emeritierte Professor der Universität Stuttgart hat den Feuer spuckenden Bergen verschrieben.

Saskia Engelhardt

SZ: Was passiert genau bei einer Eruption?Schick: Es gibt verschiedene Arten von Eruptionen - Explosionen und Effusionen. Bei einer Explosion wird das Material aus dem Erdinneren herausgeschleudert, bei einer Effusion läuft es einigermaßen ruhig aus einem Krater heraus. Die Übergänge sind fließend.

SZ: Wie weit dürfen sich Touristen dem Krater nähern?Schick: Der Gipfelbereich des Ätna, oberhalb 3000 Metern, ist für Touristen theoretisch gesperrt. Aber, wenn etwas verboten ist, hält sich kein Mensch daran. Wenn an der Autobahn ein Schild steht, 110 Kilometer Höchstgeschwindigkeit, fahren die Leute trotzdem 160. Es hat keinen Sinn, den Berg total zu sperren. Es gibt am Ätna zwei Aufgänge, von der Nord- und von der Südseite. Obwohl die Gipfelregion gesperrt ist, bringen die offiziellen Bergführer der Nordseite die Besucher bis ganz nach oben. Der Ätna hat vier große Krater, einer davon ist die Bocca Nuova, die heute einen Durchmesser von 400 Metern hat. Wenn man sich dort auf den Bauch legt, sieht man in 100 Meter Tiefe das Magma schön brodeln. Die Führer von der Südseite hingegen gehen nicht an die Krater. Sie dürfen Touristen nur bis auf 3000 Meter Höhe bringen. Allerdings habe ich im September gesehen, dass sie mit Besuchern die Lavaströme besichtigt haben.

SZ: Lässt sich der Weg eines Lavastroms berechnen und wie nah darf man an ihm heran?Schick: Die Topographie des Ätna ist im Computer gespeichert, und man kann einigermaßen berechnen, wohin die Lava fließt. Manchmal nimmt sie allerdings einen anderen Weg. Am Ätna haben die Führer Touristen gerade in letzter Zeit bis auf zweieinhalb Meter herangebracht. Es ist schön warm und vor allem ist es bei Nacht fantastisch, wenn rotglühendes Material und Feuer aus der Erde kommen. Aber, es gibt auch Lavaströme, die schlecht entgast sind, und diesen kann man sich ohne Gasmaske und auf Grund der Hitzeentwicklung nicht nähern.

SZ: Empfehlen sie für eine Vulkantour eine spezielle Ausrüstung?Schick: Über die Hitze brauchen sich Touristen keine Gedanken zu machen. Sie müssen bedenken, dass sie im Hochgebirge sind. Daher empfehle ich Wanderschuhe, Anorak, Pullover, einen Rucksack mit einer Vesper - zu Wein möchte ich nicht raten, aber der ist doch meistens mit dabei. Was gerade am Ätna gefährlich ist, sind die Wetterumschwünge. Wenn man die Wege verlässt, ist die Gefahr groß, dass man sich im Nebel verläuft. Und dann kann es einem im wahrsten Sinne des Wortes heiß werden, auch ohne vulkanische Tätigkeit.

SZ: Warum beruhigt sich der Ätna nicht? Schick: Es ist schwer zu verstehen, wieso gerade der Ätna kontinuierlich aktiv ist. Es handelt sich eher um eine zufällige Erscheinung. Die magmaführenden Gänge werden bei anderen Vulkanen oft vom Erddruck zusammengepresst. Der Ätna aber liegt im Spannungsystem Europa-Afrika. Und im Bereich des Ätna wirken sich die Spannungen so aus, dass dieser Riss in der Erde, aus dem das Magma entweichen kann, über einige hunderttausend Jahre offen gehalten wird.

SZ: Kann vom Ätna eine Katastrophe ausgehen?Schick: Es wäre durchaus denkbar, dass Lavaströme in niederer Höhe herausfließen. Man kann sie natürlich umleiten, aber wenn der Strom in 1000 Meter Höhe herauskommt, wo alles bebaut ist, ist nicht mehr viel zu retten. Ob so etwas allerdings zu unseren Lebzeiten passiert, ist die Frage. Es kann in 100 Jahren sein oder auch schon nächste Woche.

SZ: Lassen sich diese Ausbrüche voraussagen?Schick: Ein größerer Ausbruch kündigt sich meist ein Jahr vorher schon an. Aber es gibt einige Fälle, in denen ein Vulkan nach längerer Ruhezeit innerhalb weniger Minuten plötzlich sehr aktiv wurde - ohne, dass vorher irgendwelche signifikanten Veränderungen gemessen werden konnten. Die Vorhersagen eines Vulkanausbruchs sind äußerst problematisch.

SZ: Werden Touristen vor einem gefährlichen Ausbruch des Ätna gewarnt?Schick: Natürlich, wenn es möglich ist. Aber selbst wenn ich dort wäre, könnte ich nicht sagen, ob es vielleicht zu einer großen Explosion kommt. Es ist wie beim Wetter: Man sieht dunkle Wolken aufziehen und vermutet ein Gewitter. Aber so, wie sich auch Gewitterwolken wieder verziehen können, ohne dass ein Tropfen Regen fällt, ist es auch mit den Vorzeichen zu Vulkanausbrüchen.

SZ: Sind solche Vulkantouren gefährlich?Schick: Ich kann nicht sagen, dass sie ungefährlich sind. Natürlich verschwindet das Zeug, das aus dem Erdinneren herausfliegt, nicht im Weltall. Es kommt eben wieder zurück. Und wenn jemand seinen Kopf an der Stelle hat, wo diese vulkanischen Bomben herunterfallen, ist er schon gefährdet.

SZ: Ist Ihnen ein schlimmer Unfall bekannt?Schick: In den 20er Jahren wurde eine Schulklasse von einem Lavastrom eingekreist und konnte nicht mehr gerettet werden. 1979 kam es an der Bocca Nuova zu einer Dampfexplosion, bei der auch Steine aus dem Krater geflogen sind. Dabei sind neun Touristen erschlagen worden. 1981 sind nochmal zwei Leute umgekommen. Aber ansonsten hat es erstaunlich wenig Unfälle gegeben. Und das wundert mich ehrlich gesagt.

SZ: Wo gibt es in Europa noch aktive Vulkane, die man besichtigen kann?Schick: An keinem anderen Vulkan auf der Erde kann man mit so hoher Wahrscheinlichkeit vulkanische Tätigkeit beobachten, wie am Stromboli. Man muss also nicht bis nach Chile oder zum russischen Kamtschatka. Aber auch Santorin ist interessant, die äolischen Inseln und Lipari. Süditalien ist für den Touristen, der an Vulkanismus Interesse hat, ein Paradies. Man kann natürlich auch nach Island reisen, aber die Vulkane dort sind meist schwer zugänglich. Außerdem findet die vulkanische Tätigkeit oft unter Gletschern statt.

SZ: Was fasziniert sie an Vulkanen?Schick: Es ist einmal der unbekannte Vorgang, der mich als Physiker fasziniert. In der unbelebten Natur gibt es nichts Unbekannteres und schwieriger zu Verstehendes als eine große Vulkaneruption. Man kennt die Antriebskraft nicht, die plötzlich mit riesiger Geschwindigkeit Gesteinsblöcke und Magma aus der Erde herausschleudert. Daneben fasziniert mich auch das visuelle Geschehen, wenn sich nachts ein großer Lavastrom ausbildet. Es entstehen unglaubliche Strömungsmuster. Das ist einfach schön. Es ist, als ob man einen Regenbogen sieht, da denkt man auch nicht an die Spektrallinien.

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