Die Katastrophe der Air France 447:Die Angst nach dem Absturz

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Flugzeugkatastrophen wie der Absturz der Air France 447 über dem Atlantik lassen tiefliegende Ängste wach werden: Warum die Furcht vorm Fliegen nie vergeht.

Christian Mayer

Das Fliegen zählt zu den zwiespältigsten Erfahrungen, die Menschen machen können. Das Gefühl, binnen weniger Sekunden die Perspektive komplett zu wechseln, wenn die Maschine in den Himmel steigt, führt bei manchen zu Glücksgefühlen.

In Seminaren können Passagiere versuchen, ihre Flugangst zu überwinden. (Foto: Foto: ddp)

Wenn man nicht gerade Bonusmeilen-Sammler ist und im Wochenrhythmus über den Dingen schwebt, wird man das Fliegen als eine besondere Art der Fortbewegung empfinden.

Und doch kann sich, von einer Sekunde auf die nächste, der Zustand der kontrollierten Entgrenzung ins Gegenteil wenden: Man muss nicht mal eine Notlandung mitgemacht haben; es reichen ein paar heftige Turbulenzen, und der Fluggast, der gerade entspannt die Aussicht genossen hat, krallt sich in seinen Sitz.

Der Puls rast, das Gefühl der Ohnmacht wächst, die Gedanken driften ab: Was wäre, wenn - ja, wenn das Unmögliche eintritt und die Maschine ein Problem hat? Wenn der Kontrollverlust nicht nur ein subjektives Empfinden ist?

Die Angst vor dem Absturz ist so alt wie das Fliegen selbst, auch wenn es ein relativ neues Phänomen ist, dass inzwischen auch weitgereiste Manager Seminare besuchen, um mit dem Dauerstress fertigzuwerden.

In der Frühphase der Luftfahrt war das anders. Als der Vorstandschef von American Airlines, Cyrus R. Smith, im Jahr 1934 erstmals das Thema Flugangst in einer Anzeigenkampagne publik machte, hätte er beinahe seinen Job verloren: Nicht nur sein Konzern, die gesamte Branche witterte Verrat.

Dabei wollte Smith mit seiner provokanten Frage "Afraid to Fly?" die Kunden nur von der technischen Überlegenheit der eigenen Fluggesellschaft überzeugen, vor allem die damals noch bodenständigen Amerikaner, die Interkontinentalflüge für eine verrückte Beschäftigung kalifornischer Filmstars hielten.

Die Luftfahrt ist längst demokratisiert

Vorbei die Zeiten, als Fliegen elitär und exzeptionell war, ein Fest, für das man sich so feierlich kleidete wie für die Oper. Die Luftfahrt ist längst demokratisiert, es ist nichts Besonderes mehr, mehrfach im Jahr nach Mallorca zu fliegen.

Gleichzeitig steht der Flugverkehr unter verschärfter Beobachtung: Jeder heikle Zwischenfall in der Luft, jeder Beinahe-Crash löst eine Nachrichtenwelle aus, die Ängste nährt, weil Routen und Flugzeuge so vertraut sind wie der Spazierweg im Nachbarort.

Ein Desaster wie der Absturz der Air-France-Maschine über dem Atlantik, die Nachrichten über einen möglichen Blitzschlag, verstärken die Unsicherheit bei jenen, die ohnehin mit dumpfer Beklommenheit einsteigen.

Marc-Roman Trautmann kennt diese Reaktionen. Der Psychologe leitet das Deutsche Flugangst-Zentrum in Düsseldorf. Die Angst, sagt Trautmann, rührt nur selten daher, dass die Menschen irgendwann negative Erfahrungen mit dem Fliegen gemacht haben.

Die Hälfte der Betroffenen hat noch andere Lebensängste und ist empfänglich für Katastrophenmeldungen; Berichte von dramatischen Ereignissen verstärken eine tieferliegende Furcht. "Je mehr Informationen auf uns niederprasseln, desto stärker wächst der Vertrauensverlust", sagt der 41-Jährige.

In Trautmanns Seminare kommen auch Leute, die schon lange fliegen, aber sich erst spät trauen, etwas gegen die Angst zu unternehmen. Bei weniger problematischen Fällen reicht es manchmal, auf die Statistik zu verweisen: Die Wahrscheinlichkeit, mit dem Flugzeug abzustürzen, liege bei 0,0000004 Prozent.

Anders gesagt: Tausend Personen müssten 30 Jahre lang ununterbrochen fliegen, bis einer dabei ums Leben kommt.

Angesichts der viel höheren Unfallzahlen im Straßenverkehr müsste das eine beeindruckende Zahl sein. "Das hilft aber auch nicht immer weiter", sagt Trautmann. "Gerade die Vielflieger haben oft ein Problem damit, dass sie selbst keinen Einfluss mehr haben, wenn sie angegurtet in ihrer Reihe verharren müssen."

Die Methode Schweizer Käse

Der Psychologie führt gerne ein Beispiel an, um den Sicherheitsstandard heutiger Flugzeuge zu demonstrieren - die Methode Schweizer Käse. "Wenn Sie fünf Scheiben übereinander legen, sehen Sie keine Löcher mehr, dann ist alles abgedeckt", sagt Trautmann seinen Seminarteilnehmern.

Bei großen Boeing- und Airbus-Maschinen lägen mindestens 40 Scheiben übereinander, um im Bild zu bleiben. "Es gibt nicht das eine Loch im System, bei einem Unfall müssen viele Faktoren zusammenkommen."

Trotzdem hat Trautmann "großen Respekt", wenn er ins Flugzeug steigt. Es ist der Respekt vor einer ungeheuer anspruchsvollen, nach Perfektion strebenden Sicherheitsleistung, bei der dennoch niemand absolute Sicherheit bieten kann.

© SZ vom 3.6.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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