Bush und Crawford:Die Lage des Landes

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In Crawford steht die Ranch von George W. Bush. Seit er Präsident ist, strömen Touristen in die Kleinstadt. Kehrt nach Ende seiner Amtszeit endlich wieder Ruhe ein?

Tom Noga

Valerie Duty lässt ihren Wagen an, eines dieser spritfressenden Monstren, die Amerikaner vom Land so lieben. "Tschuldigung für das Chaos", sagt sie. Aber ihr Auto ist auch Büro und Wohnung. Sie räumt einen Taschenkalender und einen Stapel frischer Wäsche vom Beifahrersitz und wuchtet alles auf die Rückbank, auf der sich schon etliche Kisten und Koffer türmen.

Valerie Duty lächelt viel und ansteckend, eine Frau in den Vierzigern mit brünetten, schulterlangen Haaren. Sie fädelt auf einer vierspurigen, schnurgeraden Straße ein, dem George W. Bush Parkway.

Die Straße heißt nicht ohne Grund so, denn hier ist Bush Country, wie ein Schild verkündet, von dem George und Laura ein bisschen überbelichtet hinabblicken. Hier, zwei Autostunden südlich von Dallas, hat der 43. Präsident der Vereinigten Staaten seinen Privatwohnsitz, auf einer Ranch in einem Nest namens Crawford. Der Ort ist durch Bush berühmt geworden und hat Freunde wie Gegner angelockt. So eng ist die Symbiose gewesen, dass man sich fragt, was aus Crawford wird, wenn Bush am 20. Januar 2009 aus dem Amt scheidet.

Auch Valerie Duty stellt sich diese Frage, denn für sie ist GeorgeW. der Fixpunkt ihres Lebens, seit sie ihm bei einem Ostergottesdienst vor sieben Jahren begegnet ist. Sie saß eine Reihe hinter Bush, der First Lady, seiner Mutter und Bush 41, wie sein Vater hier genannt wird, der 41. Präsident der USA: "An diesem Tag beschloss ich, dem Präsidenten zu folgen. Er sang alle Lieder mit, ohne das Gesangbuch zu öffnen, er kannte alle Gebete. Ein gläubiger Mensch."

Dass Gott in Bush Country zu Hause ist, davon zeugen ein Dutzend Kirchen entlang der Straße, die durch die staubige Prärie führt, vorbei an einer weißen Kitschvilla. Dort ist Teenie-Star Jessica Simpson aufgewachsen, ein paar Kilometer weiter hat der waffenvernarrte Alt-Rocker Ted Nugent gelebt - Jessy und Teddy, wie Valerie sie nennt. Valerie Duty ist Fotografin.

2004 hat sie Wahlkampf für Bush gemacht, in Waukesha County in Wisconsin, auf eigene Kosten. Die Gemeinde ging mit mehr als 90 Prozent an Bush - sein bestes Ergebnis im ganzen Land, wie sie stolz bemerkt. Und damit das Erbe bewahrt wird, hatte sie die Kampagne "Condi 08" ins Leben gerufen, um Außenministerin Condoleezza Rice zur Kandidatur zu bewegen. Vergeblich, wie man weiß.

Downtown Crawford. Auf den ersten Blick sieht es hier aus wie auf einem politischen Schlachtfeld. Überall Schilder, auf denen zur bedingungslosen Unterstützung für Präsident und Truppen aufgefordert wird. An der einzigen Kreuzung liest man Auszüge aus der Rede, mit der Bush nach dem Anschlag auf das World Trade Center den "Krieg gegen den Terror" eingeleitet hat: "Wir werden nicht schwanken, wir werden nicht aufgeben, wir werden nicht scheitern."

Langeweile im Blick

Crawford ist überschaubar. Zwei Silos der Landkooperative, an die Farmer ihre Erzeugnisse verkaufen, eine Tankstelle mit angeschlossenem Restaurant, der Coffee Station. Laut Leuchtreklame ist sie weltberühmt - Bush und sein Vater haben hier mal gegessen.

Jenseits der Kreuzung gibt es unter anderem zwei Souvenirläden. Den dritten hat Valerie Duty ein Haus weiter betrieben und mangels Kunden vor einem Jahr geschlossen. Auch den anderen beiden geht es nicht gut. Der eine hat nur manchmal geöffnet - doch heute ist nicht manchmal. Im anderen sitzt Joey, eine kleine Frau mit schlohweißen Haaren und Langeweile im Blick. Um sie herum George W.Bush. Auf Tassen, Stiften, Mützen. Kunden hat sie heute noch nicht gehabt. Aber gestern. Und vor allem vorgestern: aus Bolivien, China, Australien. Ist das nicht der Beleg, dass George W. Bush überall auf der Welt beliebt ist?

Marilyn Judy hat blonde, lange Haare, trägt einen blassblauen Jogginganzug und blickt aus wachen Augen in die Welt. In Crawford ist sie das Mädchen für alles. Sie sitzt im Schulrat, in der Notrufzentrale und ist Vorsitzende der Handelskammer. Was die Frage aufwirft, wofür ein Dorf mit 705 Einwohnern, in dem es nicht einmal einen Lebensmittelladen gibt, ein solches Instrument lokaler Wirtschaftsförderung braucht.

"Bevor Bush hierher zog, gab's auch keine", erklärt Marilyn. "Doch dann kamen die Touristen." Und mit ihnen begannen die Träume von der Ansiedlung eines Motels und eines Restaurants und vielleicht eines Golfplatzes. Längst ist die Begeisterung vorbei, doch Marilyn Judy beharrt: "Es wird immer Leute geben, die herkommen, um zu sehen, wo der Präsident seine Ranch hatte."

Ein Versprecher: wo Bush seine Ranch hatte. Manche sagen ja, dass dieser Präsident ohnehin nur eine Inszenierung sei. Die Ranch? Ein Jahr vor seiner Wahl gekauft - ein Millionärssohn braucht eine gewisse Erdung, um bei den Wählern in der Mitte Amerikas anzukommen.

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Marilyn Judy packt ein Fotoalbum aus. Die Bilder zeigen sie mit Putin, ihren Mann mit Tony Blair und schließlich ihr Lieblingsbild: sie, ihr Mann und die beiden Töchter Arm in Arm mit dem Präsidenten. Aufgenommen bei einem Grillfest für die Bürger von Crawford, auf Einladung von Bush. Im August 2001 war das, ein paar Wochen vor dem 11. September. Seitdem hat sich der Präsident im Ort nicht mehr blicken lassen.

Der Weg zur Ranch führt vorbei an schachbrettartig angelegten Wohnsiedlungen mit eingeschossigen Fertighäusern raus aus Crawford und im scheinbar sinnlosen Zickzack vorbei an Ranches mit Namen wie Broken Spoke oder Shiloh. Der Horizont ist weit, hier kann man schon mal das Gefühl für die eigenen Grenzen verlieren. Rechts zweigt ein Schotterweg ab, nach hundert Metern ein Schlagbaum mit Wachhaus. Valerie deutet auf die Baumlinie in einer Senke: Dahinter soll Bushs Haus sein. Zu erkennen ist nichts.

Genauer hinsehen kann man nicht, denn auf der Prairie Chapel Road herrscht absolutes Halteverbot. Es wurde vor drei Jahren wegen Cindy Sheehan erlassen. Ihr Sohn Casey war im Irak gefallen - für eine "edle Sache", wie Bush beim Kondolenzbesuch sagte. Mit dieser Floskel gab sich Sheehan nicht zufrieden: Sie bezog ein Camp an der Einfahrt zur Ranch des Präsidenten und verlangte Erklärungen.

Als Kriegsgegner aus dem ganzen Land die verzweifelte Mutter unterstützten, schritt Valerie Duty zur Tat. Mit anderen Bürgern Crawfords errichtete sie ihr eigenes Camp - gegenüber von Cindy Sheehan. Sie nannte es Camp Reality. "Weil unsere Jungs in Wirklichkeit viel Gutes im Irak tun." Mal raste ein Geländewagen auf die Kriegsgegner zu, mal feuerte ein Waldaufseher ein paar Schüsse ab - in die Luft, beschwichtigt Valerie Duty, "er hat für die Taubensaison geübt".

"Ein trauriger Anblick"

Schließlich erließ die Gemeinde das Halteverbot. Cindy Sheehan kaufte ein Stück Land am Ortseingang und baute dort ihr Camp Casey auf. Wann immer Bush auf der Ranch war, kampierten dort bis zu tausend Demonstranten. Viel ist nicht geblieben von Camp Casey. Ein paar Hütten und ein paar Kreuze stehen noch - ursprünglich wurde für jeden gefallenen Soldaten eins errichtet. "Ein trauriger Anblick", seufzt Valerie. Und es wird nicht recht klar, was sie mehr vermisst, die politische Auseinandersetzung oder dass die Welt auf Crawford, Texas schaut.

Mittagessen in der Coffee Station. Auch Leon Smith hat früher oft hier gegessen. Seine Haare und sein Bart sind grau. Er trägt einen schwarzen Anzug und eine weinrote Krawatte zum moosgrünen Hemd. Smith ist Chefredakteur des Clifton Record, des Lokalblatts im Nachbarstädtchen. Nach Bushs Wahl zum Präsidenten hat er auch in Crawford eine Zeitung lanciert, den Lonestar Iconoclast. Teils aus Geschäftssinn, teils, weil er große Hoffnungen in diesen Präsidenten gesetzt hat.

Mit dem Irak-Krieg rückte der Iconoclast von Bush ab. Im Wahlkampf 2004 publizierte Smith eine Empfehlung für den Demokraten John Kerry. Für die Bürger Crawfords war das ein Affront. Abos wurden gekündigt, Läden boykottiert, die den Iconoclast führten. Binnen zwei Wochen sank die Auflage von 900 auf null. "Doch dann bekamen wir Abo-Bestellungen aus dem ganzen Land, und die Auflage stieg auf mehr als 2000." Aus dem biederen Lokalblatt ist eine politische Wochenzeitung geworden. "Schmierenjournalismus", giftet Valerie Duty.

Das wahre Crawford, es lebt für sie in Gemeinden wie der Canaan Baptist Church. Die kleine Kirche steht unweit der Ranch auf einem Hügel. Ein symbolträchtiges Bild, denn in ihrem Selbstverständnis sind die USA genau das: die chapel on the hill, ein Ort, der Zuflucht und Hoffnung verheißt. Zweimal hat George W. Bush hier einen Gottesdienst besucht.

Auch das haben seine Imageberater ausgeschlachtet und den Präsidenten als Freund des aufrechten, hart arbeitenden Mannes vom Land dargestellt. Und die Leute hier haben mitgespielt. So ist es entstanden, das Bild vom Präsidenten und dem Städtchen, in dem er als Gleicher unter Gleichen lebt.

Zwanzig Personen sind zum Gottesdienst gekommen - die Gemeinde mag klein sein, aber sie hält zusammen. Und weil sie alle Patrioten sind, haben auch sie sich für George W. Bush in die Schlacht geworfen. "Trotzdem gut, dass bald alles vorbei ist", sagt Jerry Gauer, ein knorriger Rentner mit Bürstenschnitt.

Sie alle sind erschöpft von einer Präsidentschaft, die ihnen ständig ein klares Bekenntnis abverlangt hat. Und sie sehnen die Zeit herbei, wenn Crawford wieder zu der schläfrigen Kleinstadt von früher wird. Vielleicht mit einem Museum, das die Bibliothek des Präsidenten beherbergt. Damit der Besucherstrom nicht komplett versiegt.

© SZ vom 17.04.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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