Burgund:Im Vorüberziehen

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In Frankreich kann man den Canal de Bourgogne mit einem Hotelboot abfahren. Die Reise auf "L'Impressioniste", die jeden Tag nur ein paar Stunden fährt, ist so beschaulich wie das Leben auf dem Land mit seinen Schleusenhäuschen nebendran.

Von Stephanie Schmidt

Versonnen blickt die alte Dame einem Graureiher hinterher, der sich mit kräftigen Flügelschlägen aus dem Schilf erhebt. "Diese wird wohl meine letzte große Reise sein", sagt die 90-Jährige. Doris Thorn ist allein von ihrer Heimat Neuseeland nach Frankreich geflogen, um die Region Burgund auf eine ungewöhnliche Art kennenzulernen: per Binnenkreuzfahrt auf dem Canal de Bourgogne, in kleiner Gruppe, das heißt: mit maximal elf Mitreisenden. Auf den Sonnendeck des Schiffs L'Impressioniste lässt die Seniorin Seerosen, Pappeln, verschlafene Dörfer, Burgen, ein paar braune Limousin- und jede Menge weiße Charolais-Rinder in einer hügeligen, waldreichen Landschaft an sich vorüberziehen. Sie kann diese Eindrücke in Ruhe per Tablet fotografieren, denn L'Impressioniste fährt mit einer Geschwindigkeit von maximal sechs Kilometern in der Stunde auf dem südlichen Canal de Bourgogne - von Nest zu Nest - von Escommes nach Fleurey-sur-Ouche, dem Ziel der Reise.

Das Schiff ist jeden Tag nur ein paar Stunden unterwegs, abends ruht es am Kanalufer. Insgesamt braucht es fünf Tage für eine Strecke von circa 60 Kilometern. Parallel zum Kanal verläuft ein Fuß- und Radweg. Passagiere können an einer der Schleusen aussteigen, mühelos neben dem Schiff bis zur nächsten Schleuse hergehen. Das ist eine Besonderheit dieser Art von Schiffsreise. Man kann sich auch eines der Räder an Bord schnappen und ein wenig herumkurven, aber für eine sportlichere Radtour müsste man beim Ausflugsprogramm Abstriche machen.

Im Schritttempo gleitet „L’Impressioniste“ den Canal de Bourgogne entlang. (Foto: Schmidt)

Entschleunigung hat Priorität - die Reisen des britischen Veranstalters European Waterways sind nicht für Aktivurlauber konzipiert. Er bietet seit 1974 Reisen auf einstigen Frachtschiffen an, die in komfortable Hotelschiffe verwandelt wurden. Der Speisesalon von L'Impressioniste ist mit Ledersofas und Bar ausgestattet, in der Nähe des Bugs thront ein Hot Tub. Aber wer will an einem heißen Sommertag im Pool mit 30 Grad warmem Wasser sitzen? Zwei Passagiere aus Florida springen hinein. Ihre Sektgläser schwenkend, lassen sie sich von Spaziergängern bewundern, die sie fotografieren.

Eine Attraktion für Urlauber sind auch die teils bewohnten Schleusenhäuschen des Canal de Bourgogne - jedes ein Unikat. Eines haben die Eigentümer zu einem Café umgebaut. Die Bewohner des Häuschens an der Schleuse Nummer 19, "Ecluse de la Sarrée", halten Gänse, Hühner und Kaninchen. An Land wie auf dem Kanal lebt es sich beschaulich - nur wenige Hausboote und kleine Hotelschiffe sind auf ihm unterwegs.

Einmal bleibt das Boot im Schlamm stecken. Auch kein Problem

Auf dem 38 Meter langen und nur fünf Meter breiten Schiff sitzt man einander manchmal dicht auf der Pelle. Der Vorteil: Man kann das Schleusenmanöver ganz nah erleben. Im hinteren Teil der "Barge", wie Briten diese Art von Schiff nennen, steht im Freien Cedric Dupaquier, 41, am Steuerrad. Er trägt mal Regenzeug, mal John-Wayne-Hut. Steuert der Kapitän auf eine Schleuse zu, wird er einsilbig und zieht die Augenbrauen zusammen. Nur 5,20 Meter breit ist der Kanal im Bereich der Schleusen, das bedeutet nur zehn Zentimeter Abstand zu beiden Seiten. Also kaum Spielraum zum Manövrieren. Dupaquier, der seit 20 Jahren auf französischen Gewässern unterwegs ist, aber zum ersten Mal auf L'Impressioniste, lächelt erleichtert, nachdem er die ersten drei Schleusen reibungslos passiert hat. Die 38 weiteren dieser Reise wird der Franzose ebenso meistern. Welche Herausforderungen gibt es außerdem auf dem Canal de Bourgogne? "Schlamm", sagt der Kapitän. Der Schiffskörper ragt 1,35 Meter ins Wasser. "Der Kanal hat eine Tiefe von zwei Metern. Aber wegen des Schlamms auf dem Grund ist er in Wirklichkeit oft nur 1,50 Meter tief. Man muss aufpassen, dass das Schiff nicht stecken bleibt", sagt er. Einmal passiert das tatsächlich: Ein paar Helfer am Ufer müssen das Schiff mithilfe eines Seils wieder auf Kurs bringen.

Auf dem Canal de Bourgogne werden manche Schleusen noch von Hand betrieben. Kräftig muss die Schleusenwärterin Florence Minotte an einem Rad kurbeln, damit sich das Tor öffnet. "Ich komme aus einer Schleusenwärterfamilie", erzählt die stämmige Frau, "auch meine Eltern und Großeltern waren Schleusenwärter. Eigentlich bin ich von Beruf Friseuse, aber das hier macht mir mehr Spaß." Bei sieben weiteren manuell zu betreibenden Schleusen wird Minotte zupacken müssen, deshalb bekommt die 53-Jährige von der Crew eine Tasse mit Pampelmusensaft zur Stärkung. Dann springt sie auf ihr Moped und düst schon mal zur nächsten Schleuse.

Flussfahrt mit Wohnzimmer-Atmosphäre. (Foto: Marie-George Stavelot)

Indessen überlegt eine Passagierin hin und her, ob sie ein Bad im Kanal nehmen soll. Aber das trübe, bräunliche Wasser sieht nicht einladend aus. Dabei täte eine Erfrischung vor dem Mittagessen gut. Der Schiffskoch Bryan Savage rotiert von morgens bis abends um seine Töpfe. Bevor der Brite vor vier Jahren nach Frankreich auswanderte, kochte er für Queen Elizabeth II. "Das hier ist die kleinste Küche, in der ich je gearbeitet habe", sagt der 68-Jährige halb seufzend, halb schmunzelnd - "und das bei meinem dicken Bauch".

Vier Gäste aus Florida gestalten den Aufenthalt an Bord indes auch zu einer dionysischen Feier und lassen sich von früh bis spät teure Weine servieren. Das Besichtigungsprogramm absolvieren sie trotzdem komplett und aufrechten Gangs. Täglich werden Ausflüge angeboten, einige führen zu Weingütern. Pinot Noir und Chardonnay sind die wichtigsten Rebsorten des Burgund, das insgesamt über eine Anbaufläche von circa 29 000 Hektar verfügt. Neun Prozent der Weine stammen aus Premier-Cru-Lagen, ein Prozent stammt aus bester Lage, Grand Cru. Das erfahren die Passagiere beim Besuch des größten Weinproduzenten der Bourgogne, der jedes Jahr mithilfe von Zukäufen drei Millionen Flaschen Wein erzeugt: Bouchard Père & Fils in Beaune. Der Önologe Adrien Paresys zelebriert mit ihnen die Verkostung verschiedener Jahrgänge.

Ein Winzer im Dorf keltert den Wein in Terrakotta-Fässern. Wie die alten Römer

Vom Wein-Palast geht es in eine Art von Verkostungs-Rumpelkammer ins Dorf Thorey-sous-Charny - dieser Kontrast hat Charme. Die Bio-Weine von Pascal und Aurélien Febvre, Vater und Sohn, probieren die Schiffsreisenden in einem Raum, der mit Schachteln und bunt zusammengewürfelten Stühlen vollgestellt ist. In der Bourgogne sind die beiden Winzer die einzigen, die ihren Pinot Noir in Terrakotta-Fässern reifen lassen, wie es einst die Römer handhabten. Ganz ohne Chemie.

Andere Ausflugsziele sollen den Passagieren die Geschichte der Bourgogne näherbringen, die Philippe le Bon, Herzog von Burgund, im 15. Jahrhundert in ein blühendes Kultur- und Wirtschaftszentrum verwandelt hatte. Per Kleinbus geht es, vorbei an Getreide- und Sonnenblumenfeldern, in das mittelalterliche Fachwerk-Städtchen Semur-en-Auxois oder zum Hôtel-Dieu nach Beaune. Das im 15. Jahrhundert als Hospital errichtete Bauwerk ist eines der prächtigsten Beispiele für kunstvoll gemusterte, farbige Ziegeldächer der Bourgogne.

Ihren Schiffskoch begleiten die Passagiere am letzten Reisetag auf seiner Einkaufstour in die Markthalle von Dijon, der Hauptstadt des Burgund. Doris Thorn kauft spontan ein großes Stück Käse. Auch als Erinnerung an die liebevoll mit Früchten dekorierte Auswahl französischer Käse, die täglich an Bord serviert worden ist. "Ich muss verrückt sein", sagt die 90-Jährige, "ich fahre ja morgen weiter, in die Schweiz." Dort wird sie viele Stunden lang im Zug reisen. In einem, der langsam fährt, versteht sich.

© SZ vom 31.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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