Bombay und Bollywood:Die sind Helden

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Um die Stars aus den Bollywood-Filme zu sehen, reisen viele Europäer nach Bombay. Ein Happy-End ist hier allerdings nicht garantiert.

Michael Zirnstein

In einem Bollywood-Film bräuchte man keine Hunde, die unter der Motorhaube nach Sprengstoff schnüffeln, denn im Film verrät sich der Bösewicht stets von alleine. Der Zuschauer erkennt ihn an der finsteren Gestalt, den weißen Schuhen, dem lüsternen Blick, dem sinistren Schnauzbart und den buschigen Augenbrauen. Natürlich würde die Polizei trotzdem im Dunkeln tappen.

Das Leben als Musical: "Bollywood - The Show" tourt gerade durch Europa. (Foto: Foto: dpa)

Doch immer ist da ein schöner Held, der den Schurken am Schlafittchen packt und ihm Dolch, Bombe oder vergiftete Pralinen aus dem Karo-Sakko zieht. In so einer Schwarz-Weiß-Welt fühlt sich der Zuschauer sicher. Im realen Bombay oder Mumbai, wie die Inder es nennen, ist die Angst vor Attentaten dagegen so groß, dass sich reiche Gäste in den Hotels wie in Tresoren wegsperren.

Ein goldener Käfig wie das JW Marriott Bombay ist nicht die Traumunterkunft für Reiseromantiker, die in den Trubel Indiens eintauchen wollen. Für Bollywood-Fans aber gibt es kein besseres Revier für die Jagd nach ihren Stars. Niemand kann genau sagen wann, aber einmal die Woche kommt zum Beispiel Amitabh Bachchan aus seiner Villa in der Nachbarschaft hierher.

Wer dann um fünf Uhr aufsteht, kann den würdevollen Herrn im Hotel-Spa wie einen Geist durch die Dampfschwaden ins Schwimmbecken steigen sehen. Man kann seine Bahnen ziehen neben dem "größten Schauspieler des Millenniums" (BBC), dem James Dean Indiens, der jetzt mit 68 Jahren und meliertem Bart eher an Sean Connery erinnert.

Die Angestellten des Hauses erzählen gerne, das Marriott sei das Gesellschafts- und Businesszentrum der größten Filmindustrie der Welt. Jahr für Jahr werden in Bombay 250 Hindi-Filme gedreht - und hier im Hotel werden die Verträge unterzeichnet und die Abschlusspartys gefeiert. Abends in der Speisehalle mit der 30-Meter-Glasfront zum Ozean hin folgt man einfach den Blitzlichtern, stellt sich am Buffet neben einen geschminkten Mann mit tief aufgeknöpftem Seidenhemd und lässt sich mit ihm fotografieren - der Kellner wird einem hernach verraten, welcher aufstrebende Jungstar da Modell gestanden hat.

"Wir wissen mehr über euch als ihr über uns"

Ohne die Kunst von Vaibhavi Merchant wäre ein klassisches Bollywoodwerk undenkbar: Fünf, sechs Mal je Film beginnen die Spielfiguren urplötzlich minutenlang aus der Realität zu tanzen. Für Inder ist das ganz normal: "Wir tanzen, wenn wir heiraten, wenn wir nicht heiraten, wenn wir uns scheiden lassen - wir tanzen zu jedem Anlass", sagt Vaibhavi Merchant, die selber nicht mehr in Filmen tanzt.

Als Choreographin hat sie 2006 und 2007 den Bollywood-Movie-Award gewonnen. Als Jurorin der wichtigsten TV-Tanz-Show der Welt, "Nach Baliye", sahen ihr jede Woche 15 Millionen Inder zu, und jetzt, mit 30, liefert ihr Leben die Handlung für das von ihr choreographierte Bühnenmusical "Bollywood - The Show", das gerade durch Europa tourt. Vaibhavis Urgroßvater tanzte den heiligen Kathak vor dem Königspaar, ihr Großvater Shri B. Hiralal brachte den Tanz zum Film und war Mitbegründer des Bollywood-Kinos, und auch sie setzte sich durch, dreht jetzt zehn Filme im Jahr mit den Superstars. Mit "Lagaan" war sie 2007 für den Hollywood-Oscar nominiert. "Jetzt gibt es endlich einen Kulturaustausch", sagt sie, "aber noch wissen wir viel mehr über euch als ihr über uns."

Das ändert sich gerade. Brad Pitt und Johnny Depp werden 2009 in indischen Filmen Hauptrollen spielen und nicht nur die fanatischen Anhänger der RTL-II-Bollywood-Nächte ins Kino locken. Als der in Indien von jedem zweiten Plakat winkende Shahrukh Khan voriges Jahr zur Eröffnung eines "Megastores" für Platten nach Paris kam, sagte das Fernsehen ein Interview mit Tom Cruise ab und filmte nur noch den "größten Star der Welt", der angeblich 3,6 Milliarden Fans in Asien hat.

Weil sie die Leinwand-Lieblinge auch in echt sehen wollen, reisen immer mehr Fans nach Bombay. Für die Promi-Pirsch liegt das Marriott ideal: mitten in Juhu Beach, dem Beverly Hills von Bombay, wo die meisten Schauspieler wohnen, zu erkennen an den vor ihren Villen ausharrenden Fans. In Juhu gibt es für die Verhältnisse der 13-Millionen-Stadt Bombay viele Villen. Doch auch die Stars sehen aus den Fenstern unter ihren tausendfach vervielfältigten Abbildern auf den Kinoplakaten die Ärmsten und deren Lager in Kanalröhren und Straßengräben. Auch hier im Reich der Reichen zupfen einen Bettelkinder am Ellbogen.

Oasen der Stille im lärmenden Bombay

Wer sich auf der Star-Safari vor traurigen Blicken und feuchtheißer Luft schützen möchte, schließt sich einer Busgruppe an. Yamini vom Tourismusamt, die in Bremen gelebt und Deutsch gelernt hat, kennt alle Schlupfwinkel. "Die Schauspieler kommen schon heraus", sagt sie, "aber keiner weiß, wann." Eine Schweizerin sei wegen ihrer großen Liebe Shahrukh nach Bombay gekommen. Yamini führte sie bis an sein Gartentor.

Der Star ließ sich nicht blicken, eine Woche lang. Zum Trost schenkte die quirlige Reiseleiterin der Enttäuschten ein Poster. Yamini macht möglich, was eigentlich nicht mehr geht, weil sich die Stars durch Neugierige beim Arbeiten gestört fühlen: den Besuch eines Filmstudios. Die Yash Ray Films bieten zwar nicht wie die Universal-Studios Touristen-Entertainment - dafür blickt man durch offene Türen wirklich da hinein, wo Air India in einem Flugzeugtorso eine Reklame dreht, oder man erkennt im Studio-Bistro den McDonald's aus dem neuen Khan-Streifen.

Nachts wird die Marriott-Lobby ein Vergnügungszentrum für die reichen Nachbarn, die hier essen, trinken, sehen und gesehen werden. Zum Tanzen treten sie durch Metalldetektoren in die Marriott-Disco Enigma, einen dunklen Raum mit einem drei Meter hohen Kristalllüster und Separees für die VIPs. Auf der Tanzfläche posieren Muskelmänner, daneben bewegt sich Akshay Khanna, auch so ein Jungstar, elegant und schnell im vertrackten Takt.

Langhaarige Machos baggern Blondinen schneller an, als DJ Pearl, eine hübsche junge Frau, die Platten wechselt: Sie mischt Folk aus Rajasthan mit Bangra-Pop, alten Filmschlagern und Clubhits aus dem Westen.

Morgens um halb drei taucht ein Schlacks mit Designerbrille auf, blickt auf die Tanzenden, wippt mit den Mokassins. Salim Merchant hört gerne, wenn sie seine Musik hier spielen, zusammen mit seinem älteren Bruder Sulaiman komponiert der 33-Jährige für Bollywood. Indische Filmhits landen immer auch im Radio und der Disco, ein Film ohne Hit ist meist ein Kassenflop. Salim trinkt zügig einen Gin-Tonic, nickt der DJane zu, dann zieht er weiter.

Kinos wie das Metro oder das Galaxy, die letzten Art-Deco-Gebäude aus der Glanzzeit des indischen Films, sind Oasen der Stille im lärmenden Bombay. Bis die Vorführung beginnt. Sobald die indische Flagge auf der von einer Lichterkette umrahmten Leinwand flattert und ein Band die Hymne herunterleiert, springen die Gäste auf, singen und sind nicht mehr zu beruhigen. Wenn Sharhukh Khan in "Chakde!" ("Auf geht's!") als Trainer die indischen Hockey-Damen zum Olympiasieg führt, schreien sie, als wären sie live im Stadion dabei.

Bei allem Kitsch - etwas an diesem Sportfilm ist anders als das im Westen verbreitete Bollywood-Klischee: Niemand singt, niemand tanzt, es gibt keine Liebelei. Hier kopiert Bollywood das moderne Hollywood. Kein Einzelfall, längst und immer öfter befassen sich Filme mit Börsenturbulenzen, dem pakistanisch-indischen Konflikt, Armut und Menschenrechten - ohne Garantie auf ein Happy End. Auch Bollywood ist keine heile Welt mehr.

© SZ vom 03.04.2008/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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