Zypern:Ernsthaft festgefahren

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Ihr Traum ist aufgeschoben: Griechische und türkische Zyprer fordern bei einer Kundgebung in Nikosia die Wiedervereinigung der Insel. (Foto: Yiannis Kouroglou/Reuters)

Mit großen Hoffnungen waren die Zypern-Gespräche gestartet, doch nun konnten sich beide Seiten bei Verhandlungen nicht auf eine Wiedervereinigung einigen. Doch Experten glauben, der Prozess sei noch nicht beendet.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Nach dem Scheitern der Gespräche über eine Wiedervereinigung der geteilten Insel Zypern ist Streit zwischen den beiden Volksgruppenführern ausgebrochen. Über ihre Sprecher machten sich Nikos Anastasiadis, Präsident des griechisch-zyprischen Südens und Mustafa Akıncı, Präsident der Türkischen Republik Nordzypern, die nur von der Türkei anerkannt wird, gegenseitig Vorwürfe. Akıncıs Sprecher warf der griechischen Seite vor, zu unflexibel in den Verhandlungen auf "Maximalpositionen" bestanden zu haben. Dabei sei der Norden bereit gewesen, etwa sieben Prozent des von ihm kontrollierten Gebietes abzutreten. Anastasiadis' Sprecher wies diese Darstellung später schroff zurück.

Ohne die Türkei ist der Konflikt nicht ernsthaft zu lösen

In der Nacht zu Dienstag waren die Verhandlungsführer ohne Einigung über den künftigen territorialen Zuschnitt einer vereinten Insel nach zwei Tagen Diskussion am Genfer See auseinandergegangen. Damit schwinden die Hoffnungen auf eine baldige Wiedervereinigung der Insel. Das Scheitern der Gespräche in der Schweiz kommt überraschend. Bereits in der zweiten Novemberwoche hatten sich Akıncı und Anastasiadis dort getroffen, um die schwierigsten Probleme auf dem Weg zur Wiedervereinigung aus dem Weg zu räumen. Dabei ging es um territoriale Fragen.

Seit 1974 kontrolliert der Norden ungefähr 36 Prozent der Inselfläche, stellt aber nur etwa ein Viertel der Bevölkerung. Der Süden erhebt Ansprüche auf Gebiete, die vor der Invasion überwiegend von griechischen Zyprern bewohnt waren. Im Zuge der Teilung flohen 162 000 griechische Zyprer aus dem Norden in den Süden. Aus dem Süden suchten fast alle 48 000 türkischen Zyprer Zuflucht im Norden.

In der Schweiz wollten sich die Verhandlungsführer auf Kriterien einigen, die den genauen Grenzverlauf bestimmen. Dies gelang in einer ersten Verhandlungsrunde nicht. Dass sich beide Seiten aber von Sonntag an ein zweites Mal getroffen hatten, war allgemein als Zeichen gewertet worden, dass eine Einigung bevorstehe. Diese soll aber am Streit darüber gescheitert sein, wie viele Flüchtlinge aus dem Süden in den Norden hätten zurückkehren sollen. Außerdem sei es um die einst wohlhabende und von Zitrus-Plantagen umgebene Stadt Morfou gegangen, hieß es. Der Süden besteht auf der Rückgabe dieser ehemals fast ausschließlich von griechischen Zyprern bewohnten Stadt. Der Norden hält einen solchen Schritt seiner Bevölkerung, die - wie jene des Südens - in einem Referendum einer Wiedervereinigung noch zustimmen müsste, für nicht vermittelbar.

Hinzu kommt, dass die Vorbehalte in Ankara geteilt werden. Ohne Einbeziehung der Türkei scheint eine Lösung des Zypernkonfliktes ohnehin nicht möglich zu sein. Noch immer sind etwa 35 000 Soldaten im Norden stationiert. Die Türkei weigert sich, ihren Status als Garantiemacht aufzugeben. Dies aber ist wiederum für den Süden der Insel und Griechenland Voraussetzung für eine Einigung. Der Grundkonflikt dürfte die Einigungsversuche in anderen Streitfragen überschattet haben. Wie die Zeitung Cyprus Mail am Dienstag berichtete, soll sich Griechenlands Premier Alexis Tsipras wiederholt direkt in die Verhandlungen in der Schweiz eingeschaltet haben, ebenfalls mit der Forderung, dass die Türkei ihre Rolle als Garantiemacht zunächst aufgeben müsse. Der Norden wollte diese Frage bei einer internationalen Konferenz zusammen mit den Territorialfragen diskutieren. Der Süden will den Zuschnitt vorher geklärt haben.

Inwieweit das Scheitern in der Schweiz das endgültige Aus für den Wiedervereinigungsprozess bedeuten könnte, war am Dienstag noch nicht absehbar. Hubert Faustmann, Politologe an der Universität von Nikosia und Experte für den Zypernkonflikt, sagte der SZ: "Es ist noch nicht vorbei." Er habe den Eindruck, dass die Verhandlungsführer weitermachen wollten, auch wenn die Gespräche in Fragen des Territoriums gescheitert seien. "Die Verhandlungen sind ernsthaft festgefahren."

Die Verhandlungsführer kehrten nach Zypern zurück, um dort mit ihren Gremien das weitere Vorgehen zu beraten. Eigentlich hatten sie sich eine Frist bis Jahresende gesetzt, um einen Durchbruch zu erzielen. In den vergangenen anderthalb Jahren hatten sie zunächst große Fortschritte erzielt. Anders als bei früheren Einigungsversuchen werden beide Volksgruppen von Wiedervereinigungs-Befürwortern angeführt. Das Klima zwischen beiden galt bislang als gut.

© SZ vom 23.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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