Zum 100. Geburtstag:Ein Mann wie ein Kraftwerk

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Horst Möllers Strauß-Biografie macht den CSU-Politiker langweiliger, als er war: Dieser Strauß ist weder lernfähig, noch scheint es in seinem Leben so etwas wie eine brisante Polit-Affäre gegeben zu haben.

Von Franziska Augstein

Der Wille zur Macht ist in der Politik nicht ehrenrührig. Politiker müssen das Sagen haben, so sie ihre Ideen verwirklichen wollen. Horst Möller konzediert, dass auch Franz Josef Strauß von Machtstreben und Geltungssucht nicht frei war. Stärker sei indes ein anderer Antrieb gewesen: "seit jungen Jahren das durchgängige Motiv, helfen zu wollen".

Franz Josef Strauß gelang, was wenigen Politikern beschieden ist: Der CSU-Mann aus Bayern brachte es dazu, für säkular denkende Zeitgenossen fürchterlich wie der Gottseibeiuns zu sein. Er provozierte alle, die irgendwie links oder liberal dachten. Ganz allein schaffte er es, wie eine abstrakte Macht dazustehen: als "Gefahr für die Demokratie".

Kanzler Adenauer wehrte sich mit Händen und Füßen und war doch wie gefesselt, als er 1956 den Atomminister Strauß zum Verteidigungsminister bestellen musste. Als Strauß 1966 Finanzminister in der Großen Koalition wurde, beredete der kommissarische SPD-Fraktionschef und spätere Kanzler Helmut Schmidt die Genossen: "Strauß ist eine Kröte, die man schlucken muss." Mit einer ähnlichen Formulierung beschwerte sich der Altkanzler Helmut Kohl in seinen "Erinnerungen" (2004) über den langjährigen Vorsitzenden der CSU: "Was hatte ich alles hingenommen und um des Unionsfriedens willen heruntergeschluckt, wo ich lieber massiv Kontra gegeben hätte!"

Möllers Strauß hatte es nicht nötig, aus dem Leben zu lernen

Schon viele Autoren haben den 1988 verstorbenen Strauß gegen das verteidigt, was dieser den "Mob der Linkspresse" und den "Mob der öffentlichen Meinung" nannte. Aber keine Apologie ist so lang geraten wie die Biografie von Horst Möller, dem früheren Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte.

Möller sympathisiert mit vielen politischen Ansichten seines, man darf sagen, Helden. Strauß ersteht in dieser Biografie als ein brillanter politischer Kopf, der klug erkannte, was andere erst Jahre später begriffen; der selbstlos darauf achtete, zwischen widerstreitenden Interessen einen Ausgleich zu finden; der Rückschläge tapfer hinnahm, sich nichts zuschulden kommen ließ und die vielen Diffamierungen, mit denen der oben erwähnte Mob ihn verunglimpfte, selten mit gleicher Münze heimzahlte.

Untertanen-Pflege mit Orden: "Zum neuen Jahr - eine bayerische Wildfütterung", hieß die Karikatur von Ernst Maria Lang im Jahr 1979. (Foto: Ernst Maria Lang)

Möllers Strauß hatte es nicht nötig, aus dem Leben zu lernen: Im Gegensatz zu anderen Politikern war er schon zur vollen Reife und Einsicht gekommen, als er 1946 mit 30 Jahren seine Karriere als Landrat in Schongau begann. Die Kinder von Franz Josef Strauß können mit dieser Biografie zufrieden sein: Der Vater kommt gut weg. Leider allzu gut. Horst Möller hat Strauß konsequent einem historiografischen Fotoshop-Verfahren unterworfen. Entsprechend plakativ ist das dabei entstandene Bild. Der wirkliche Franz Josef Strauß war viel destruktiver und viel interessanter, als er aus Möllers Buch hervortritt.

Wenn Angela Merkel bloß dreimal pro Jahr öffentlich so lustig-pointierte Dinge sagte, wie sie Strauß allerwege aus dem Mund fielen, würde ihre steife Rhetorik nicht bemängelt werden. Wenn Horst Möller mehr der politisch unbedeutenden, aber gelungenen Aperçus von Franz Josef Strauß zitiert hätte, würden skeptische Leser dem "bayerischen Kraftwerk", wie Möller ihn nennt, manch verbale Ausfälligkeit nachsehen. Strauß trug sein Herz auf der Zunge. Das ist der Grund, warum viele seiner politischen Gegner heute, da er nicht mehr ist, mit fast zärtlicher Nostalgie an ihn zurückdenken. So intrigant er sein konnte (etwa als es ihm 1956 darum ging, seinen Vorgänger im Verteidigungsministerium abzuservieren, weil er selbst den Posten haben wollte), so waghalsig und ohne Rücksicht auf Verluste überließ er sich bei vielen Auftritten seinem Redefluss. Könnte ein so offenherziger Mann heute noch als Politiker reüssieren? Möller stellt die Frage. Die Antwort zu finden überlässt der Historiker seinen Lesern.

Möller konnte Strauß' schriftlichen Nachlass einsehen. Nach dem zu urteilen, was er daraus zitiert, muss dieser Fundus ziemlich unergiebig sein. Sehr oft beruft Möller sich auf Straußens posthum erschienene "Erinnerungen". Zwar merkt er es mehrmals an, wenn Strauß geflunkert hat, aber ebenso oft zitiert er aus den "Erinnerungen", als wären sie eine verlässliche historische Quelle. Andere Quellen hingegen und wichtige Zusammenhänge übergeht Möller.

Horst Möller: Franz Josef Strauß. Herrscher und Rebell. Piper Verlag, 2015. 832 Seiten, 39,99 Euro. (Foto: N/A)

Das Vehikel für die neue Strategie der Nato war der "Starfighter"

Das Kapitel über einige Skandale, die den Verteidigungsminister Strauß umwaberten, hebt mit den beschwichtigenden Worten an: "Bis heute blieb es kaum einem Verteidigungsminister erspart, vor allem bei Fragen der Ausrüstungspolitik angegriffen zu werden." Wohl wahr. Nur dass die Dinge bei Strauß allzu oft ins Zwielichtige abglitten, macht den Unterschied. Ein Beispiel ist die Starfighter-Affäre: Die Anschaffung dieses unausgereiften Jägers hat Dutzende Militärpiloten das Leben gekostet.

Stets war Strauß ein Freund der Atomtechnologie. Außerdem war er ein robuster Antikommunist. Beides gehört zu den wenigen politischen Konstanten in seinem Leben. Außerdem war Strauß ein Freund von Entspannungspolitik (worauf Möller Wert legt), dies freilich vor allem insofern, als er meinte: Begleitend müsse die Nato so gerüstet sein, dass die Chefs der Sowjetunion nicht im Traum an einen Erstschlag denken könnten. In den 50er-Jahren teilten die USA ihren Nato-Partnern die Direktive aus: Atomwaffen seien wichtiger als konventionelle Verteidigung. Das kam Franz Josef Strauß entgegen. Das Vehikel dafür war der Starfighter.

Die Idee, atomar bewaffnete Flugzeuge zu besitzen, gefiel allen gut: sogar der SPD. Adenauer, mit der Gabe der Vereinfachung gesegnet, betrachtete Atomwaffen als eine "Weiterentwicklung der Artillerie". Mit Strauß war er eines Sinnes: Europa brauchte eigene Atomwaffen, und wenn Europa nicht mitspielen wollte, dann sollte Westdeutschland das Zeug für sich allein anschaffen - letzteres hängten die Strategen in der kriegsversehrten Bundesrepublik aber nicht an die große Glocke.

Möller hat recht: Von einer Woge politischer Zustimmung getragen, mag ein Verteidigungsminister dazu neigen, einen Fehler zu machen. Aber sollte er nicht dennoch vorher nachfragen? 1958, nach einem sinnlich befeuernden Besuch bei der Firma Lockheed in Kalifornien, bestellte Strauß 300 Starfighter. Voreilig: Die Experten des Luftwaffenführungsstabs waren noch dabei, die Konkurrenten Mirage III A und Super Tiger zu prüfen. Letzteres erwähnt Möller nicht.

Manch brisante Akten finden in der Biografie keinerlei Erwähnung

Der Starfighter war ein Schönwetterjäger. Für Deutschland musste er hektisch umgerüstet werden: zu einem Allwetterflugzeug, das zudem Atomwaffen trug. Die Umrüstung misslang. 1969 veröffentlichte der Bundesrechnungshof einen vernichtenden Bericht, den Möller mit keinem Wort erwähnt: "Von dem Minister wurde entschieden", ein Flugzeug zu bestellen, das de facto eine "Neukonstruktion" gewesen sei. Daraus hätten sich "Nachteile für den Bund" ergeben, "die nicht wiedergutzumachen" seien. In Möllers Augen hingegen ist die Starfighter-Affäre 1965 so gut wie erledigt. Er zitiert wohlwollend einen "objektiven Kommentar" der Süddeutschen Zeitung von 1965: "Ärgerlich an der ganzen Sache" sei nur die Geheimnistuerei des Verteidigungsministeriums.

In den 70er-Jahren kam in den Vereinigten Staaten von Amerika ans Licht, dass Lockheed den Flugzeug-Absatz per Schmiergeld hochgeschraubt hatte. Dem japanischen Premier wurde deshalb der Prozess gemacht, Italiens Präsident trat zurück, und Prinz Bernhard der Niederlande durfte künftig nicht mehr in Uniform auftreten. Strauß blieb schon deshalb unbehelligt, weil die meisten Lockheed-Akten des deutschen Verteidigungsministeriums vernichtet worden waren. Möller aber schreibt lediglich von einem "Verdacht", dass Lockheed bestochen haben könnte. Er treibt es mit der Strauß-Apologie wirklich zu weit.

© SZ vom 23.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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