Zivilcourage:Was man von Frau Brachtel lernt

Humanität ist keine Saisonware.

Von Heribert Prantl

Erich Kästner war ein gebürtiger Dresdner. Fast so berühmt wie seine Kinder- und Jugendbücher ist sein Spruch: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es": Man kann diesen Satz für esoterisches Geschwätz halten. Aber das wäre falsch. Der Satz ist eine Aufforderung. Steffi Brachtel aus Freital, Kellnerin in Dresden, hat diese Aufforderung verstanden. Sie hat sich der grassierenden Hetze gegen Flüchtlinge in ihrer Heimat entgegengestellt. Sie hat dafür am Mittwoch in Berlin einen Preis für Zivilcourage erhalten, an einem Tag, an dem die Polizeidirektion von neuen Bedrohungen gegen und Steinwürfen auf Flüchtlinge im sächsischen Bautzen berichtete.

Politiker haben der Frau die Hand geschüttelt. Das ist richtig und wichtig, weil es viel mehr Steffi Brachtels braucht. Und wenn einem die Asylpolitik tausendmal nicht passt: Es gibt keine Rechtfertigung oder Entschuldigung für den menschenfeindlichen Hass im Internet und für die Jagd auf Menschen. Die Hasser müssen den Widerstand nicht nur von Polizei und Justiz spüren, sondern auch den Widerstand der ganz normalen Bürger.

"Alleine kann man nichts bewirken", heißt es oft. Es stimmt nicht. Steffi Brachtel hat sich den Hassern und Pöblern entgegengestellt. Der Widerstand gegen die Verrohung der Gesellschaft beginnt mit der Überwindung der eigenen Angst. Das ist wichtig für den Rechtsstaat, die Demokratie - und für die Selbstachtung.

© SZ vom 03.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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