Zivilcourage:Die Mutbürger

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Nach Bayerns Innenminister Herrmann stecken linke Autonome hinter den Protesten von Nürnberg. Tatsächlich war es schlicht Zivilcourage, mit der sich die Berufsschüler gegen eine zynische politische Demonstration gewehrt haben.

Von Joachim Käppner

Glaubt man Bayerns Innenminister, dann verfügt er in der Sicherheitspolitik über ein beachtliches Geheimwissen. Eine der größten Gefahren ist demnach der linksautonome Mob. Jedes Jahr vor der Münchner Sicherheitskonferenz berichtet der Minister von Heerscharen linksradikaler Gewalttäter, welche den Schrecken über die Landeshauptstadt zu bringen trachteten. Dass von diesen Leuten dann nur wenige oder gar keine zu sehen sind, zeigt wahrscheinlich nur, wie raffiniert und heimtückisch sie vorgehen. Laut Joachim Herrmann stecken die Autonomen auch hinter den Nürnberger Schülerprotesten gegen die Abschiebung eines jungen Afghanen. Mit dem richtigen Feindbild kann man sich das Leben manchmal leichtmachen.

Ein führender Gewerkschafter und der Schulleiter sprechen dagegen von Zivilcourage, welche die Berufsschüler gezeigt hätten, als sie sich zwischen die Polizei und ihren Mitschüler stellten. Die Behörden wiederum sehen darin ein strafbares Handeln, da die Beamten eine rechtmäßig zustande gekommene Abschiebung und damit das Gesetz durchsetzen wollten. Kann es das also geben: Zivilcourage gegen den Rechtsstaat?

Die Frage ist kniffliger, als sie erscheinen mag, sie begleitete einst die Sitzblockaden vor Raketenstützpunkten und seit Jahren die Debatte um das Kirchenasyl: Darf man aus ethischen Motiven die Befolgung der Gesetze verweigern? Ein beliebtes Gegenargument lautet von jeher, da könnte ja jeder kommen und auch aus ganz anderen und wesentlich weniger edlen Gründen die Gesetze nicht akzeptieren, wie es etwa die sogenannten Reichsbürger versuchen.

Die Schüler in Nürnberg haben gezeigt: Die oft beklagte Apathie der Jugend ist eine Legende

Formal ist diese Auffassung nicht falsch, sie verwechselt im Nürnberger Fall jedoch Ursache und Wirkung. Natürlich darf nicht jeder Bürger das Recht auslegen, wie es ihm gerade passt; aber das ist hier ja nicht der Kern des Problems. Gesetzestreue kann nicht bedeuten, dass der Bürger jede Maßnahme der Exekutive sofort widerspruchslos zu akzeptieren hat, vor allem wenn diese so unsensibel und aus politisch so durchsichtigen Absichten heraus erfolgt wie in Nürnberg geschehen. Die Idee, den Schüler durch die Polizei aus dem Unterricht herauszerren zu lassen, diente ja weniger einer konsequenten Durchsetzung des Rechtsstaates, auf die sich die Staatsregierung beruft, sondern sollte offenbar demonstrieren, wie rigoros sie ihre Abschiebepolitik umsetzt. Das Signal ist auch angekommen, allerdings nicht mit der Wirkung, die sich seine Urheber gewünscht hatten.

Wieder einmal zeigt sich, dass die oft beklagte politische Apathie "der Jugend" eher eine Legende ist. Viele junge Menschen besitzen ein starkes Gerechtigkeitsgefühl und sind durchaus bereit, sich zu engagieren, wenn auch lieber konkret für Menschen und Projekte und weniger in politischen Parteien. Und es ist für das Gemeinwesen allemal besser, wenn sie mitdenken und ihrem Gewissen folgen, statt wie brave Untertanen einer Ausweisung zuzusehen, für die dann schon einen Tag später die Rechtsgrundlage entfiel, weil die Bundesregierung einen Abschiebestopp nach Afghanistan beschloss.

Zivilcourage kann für den Rechtsstaat lästig sein, wenn sie sich gegen seine Vertreter richtet. Und doch lebt eine souveräne Demokratie vom Mut ihrer Bürger, für ihre Werte einzustehen.

© SZ vom 03.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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