Wolfgang Schäuble:Koalition der Willigen

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Sieht keinen Anlass für Euro-Skepsis: der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble. (Foto: Olivier Hoslet/dpa)

Der Bundesfinanzminister zeichnet in München seine Vision von einem Europa nach Überwindung der aktuellen Krise, und er belebt dafür eine alte Idee neu.

Von Nikolaus Piper, München

Vieles ist im Vorhinein in diese Rede hineininterpretiert worden: Wolfgang Schäuble war nach München gereist und sollte über "Europa - Wunsch und Wirklichkeit" reden. Würde der Bundesfinanzminister die Kanzlerin in Sachen Flüchtlinge zurechtweisen? Oder Horst Seehofer und seine CSU? Würde er gar eine Kehrtwende der Berliner Politik gegenüber Migranten verkünden?

Nichts von alledem geschah. Schäuble nutzte seine Rede - Anlass war der Festakt zum Abschied von Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn -, um seine alte Idee von einem Europa der zwei Geschwindigkeiten hervorzuholen und angesichts der Existenzkrise der Europäischen Union neu zu definieren. Das Konzept eines Kerneuropa, bestehend vor allem aus Deutschland und Frankreich, das sich schneller integriert als der Rest der EU, hatte Schäuble erstmals 1994 mit dem CDU-Politiker Karl Lamers vorgelegt. Heute, da das Ziel einer immer engeren Union in der EU grundsätzlich infrage gestellt wird, soll ein flexibles Modell her, das niemanden überfordert. Zu "Euroskepsis" gebe es jedenfalls keinen Anlass, sagte Schäuble. Stattdessen seien Überlegungen angebracht, wie die Handlungsfähigkeit Europas besser erreicht werden könne.

Die EU müsste darüber nachdenken, wie sie handlungsfähiger wird

Europa-Politik müsse immer auf "nationale Erfahrungen" Rücksicht nehmen, sagte Schäuble. "Das gilt in der wirtschaftlichen Integration zwischen unterschiedlichen Leistungsniveaus ebenso wie in der Integrationspolitik, wo nicht alle Gesellschaften in gleicher Entwicklung die Vorzüge von Offenheit gegenüber Abschottung kennenlernen konnten." Vorbild für den Umgang mit Osteuropa in der Flüchtlingspolitik könnten die Verhältnisse innerhalb Deutschlands nach der Wiedervereinigung sein. Dort wurden den ostdeutschen Ländern für eine Übergangszeit weniger Flüchtlinge zugeteilt als den westlichen. "Das wird auch in Europa zu schaffen sein, auch ohne Vertragsänderungen."

Das "Europa der zwei Geschwindigkeiten" sei mit dem Euro und der Reisefreiheit im Schengen-Raum schon teilweise Wirklichkeit. "Jetzt muss das Verhältnis zwischen Ins und Outs, also zwischen den unterschiedlichen Integrationsstufen besser gelöst werden", sagte Schäuble. So könnte die EU jenen Ländern, besonders in Osteuropa, entgegenkommen, die zu weniger Souveränitätsverzicht bereit sind als Deutschland. "Vielleicht lässt sich auf diese Weise eines Tages auch die Frage des EU-Beitritts der Türkei lösen."

Auch die Vertiefung der Währungsuni-on sei unabweisbar. Schäuble deutete an, dass Deutschland zu einer europaweiten Banken-Union mit gemeinsamer Sicherung der Bankeinlagen bereit wäre, vorausgesetzt, Staatsrisiken würden in der gesamten Euro-Zone konsequent von Bankenrisiken getrennt. Das würde zum Beispiel bedeuten, dass eine Regierung pleitegehen kann, ohne dass alle nationalen Banken mit in den Abgrund gerissen werden.

Schäuble ist, das hat der Auftritt in der Münchner Universität gezeigt, immer noch davon überzeugt, dass die Krisen der Gegenwart nur auf europäischer Ebene gelöst werden können. In einem Interview der Süddeutschen Zeitung hatte er kürzlich vorgeschlagen, die EU solle eine Abgabe auf Benzin erheben, um die Ausgaben für die Flüchtlinge zu finanzieren. Der Vorschlag, der in Deutschland auf allgemeine Ablehnung stieß, würde dazu führen, dass die EU eigene Mittel zur Verfügung hätte und entsprechend auch Verantwortung für die praktische Lösung der Krise übernehmen müsste.

Vor seinem Auftritt in München war der Finanzminister beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Dort drang er auf schnelle Lösungen in der Flüchtlingskrise: "Lasst uns eine Koalition der Willigen machen", forderte Schäuble. "Wer immer kann, soll tun. Aber wir können nicht mehr so lange warten, bis wir in Brüssel Ergebnisse haben." Koalition der Willigen - das ist eine Konsequenz des Europas der zwei Geschwindigkeiten.

© SZ vom 25.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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