Wolfgang Schäuble:Der Solist

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Schäubles Bilanz: Steuerliche Förderung des Wohnungsbaus? Gescheitert. Erbschaftssteuer? Vorläufig gescheitert. (Foto: Metodi Popow/imago)

Beim Bundesfinanzminister kommen die Dinge oft anders als geplant. Das liegt auch an seiner Attitüde, politische Weggefährten gegen sich aufzubringen.

Von Guido Bohsem, Cerstin Gammelin, Wolfgang Wittl, Berlin

Auf einmal ging es ganz schnell, am Donnerstag im Bundeskanzleramt. Angela Merkel (CDU) bat ihren Finanzminister vor die Tür. Als die beiden zurückkamen, boten sie den wartenden Ministerpräsidenten einen Blanko-Scheck an, der später alle zufrieden stellte. Jeweils zwei Milliarden für die nächsten drei Jahre, insgesamt sechs Milliarden Euro, und das pauschal, also ohne die Pflicht nachzuweisen, wofür die Länder das Geld ausgeben.

Es hörte sich ganz anders an als das, womit Wolfgang Schäuble (CDU) die Ministerpräsidenten noch Stunden zuvor geschlossen gegen sich aufgebracht hatte. Im Streit um die Flüchtlingskosten hatte er sich geweigert, Zuschüsse zur Integration zu zahlen, etwa für Sprachkurse und Kita-Plätze. Besonders empört hatte die Länderchefs sein Prinzip: Geld gegen Rechnung. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) fühlte sich "im Stich gelassen". Bayerns Regierungschef Horst Seehofer (CSU) schäumte, "ich bin doch kein Bettler".

So wie bei den Integrationskosten laufen die Dinge am Ende oft anders, als Schäuble ankündigt. Was, so sagen es Mitstreiter, an seiner Attitüde liegt, Vorhaben in Alleingängen durchbringen zu wollen. "Er ist kein Freund des Föderalismus", bescheinigt ihm Seehofer das Talent, alle gegen sich aufzubringen. Das Bild, das die Öffentlichkeit von ihm hat, weicht immer öfter von dem des politischen Betriebs ab.

Die Deutschen hängen an seinen Lippen. In Umfragen zählen ihn die Bundesbürger regelmäßig zu den beliebtesten Politikern der Union, zuletzt vor Merkel. Schäubles Leben im Dienst des Landes, sein Schicksal, das ihn an den Rollstuhl gebunden hat, seine Knarzigkeit, all das fasziniert. Schäuble ist in die Riege der elder statesmen aufgestiegen, die Narrenfreiheit genießen. Inzwischen könnte er sich eine Kippe anzünden, wo es ihm passte. Man würde ihm den Fauxpas vergeben, wie man ihn Helmut Schmidt vergeben hat.

Dagegen steht, dass in der Koalition der Ärger über ihn wächst. Den Sparringspartner im Kampf gegen Steuerhinterziehung, Nordrhein-Westfalens Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) ärgert, dass oft Worte das eine seien, aber Taten das andere. Schäuble verstehe es, "seine Prinzipien wirkungsvoll nach draußen zu demonstrieren und zugleich zuzulassen, dass sich seine Parteifreunde bei der Bedienung ihrer Wählergruppen wenig um seine vollmundigen Ansagen scheren". Ein Unionskollege moniert, dass Schäuble sich in höheren Sphären der Abstraktion bewege, was viele "faszinierend" fänden. "Aber konkret kommt nichts." Er verweist auf nicht durchgebrachte Vorhaben. Energetische Gebäudesanierung: gescheitert. Steuerliche Förderung des Wohnungsbaus: gescheitert. Erbschaftsteuer: vorläufig gescheitert. Bund-Länder-Finanzbeziehungen: vorläufig gescheitert. Integrationskosten: Merkel geht mit Schäuble vor die Tür. Der Nimbus, "der Schäuble wird es schon richten", bröckelt.

Die Erbschaftsteuer ist das große steuerpolitische Vorhaben der Koalition. Bis zum 30. Juni sollte die Reform stehen. Die Frist ist verstrichen. Eine Regelung gibt es noch nicht. An diesem Freitag rief der Bundesrat den Vermittlungsausschuss an, um den quälenden Streit zu lösen, Ausgang ungewiss. Warum? Mitglieder aus Union und auch SPD werfen Schäuble vor, Fraktionen und Länder nicht rechtzeitig eingebunden zu haben. Er habe einen Entwurf erarbeiten lassen, ohne sich um deren Anliegen zu kümmern. Die SPD moniert, dass Schäuble in Steuerfragen eben nicht die Richtlinienkompetenz der Union habe, obwohl ihm diese durch Amt und durch Seniorität doch praktisch zufalle.

Solitäres Management lautet auch der Vorwurf beim Länderfinanzausgleich. Aus dem mit Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ausgearbeiteten Vorschlag wurde vor allem nichts, weil Seehofer und die Fraktionen im Bundestag sich übergangen fühlten. Inzwischen ist es Seehofer gelungen, alle Länder auf Linie zu bringen. Sie fordern deutlich mehr Geld.

Und Schäuble, der Europäer? Manfred Weber, CSU-Politiker und Chef der mächtigen Fraktion der europäischen Volksparteien im EU-Parlament, stellt Schäuble nach diversen Interviews indirekt unter Populismusverdacht. Europa brauche gerade jetzt "Staatsmänner, die erklären und Verantwortung übernehmen". Stattdessen erlebe er, "dass sich Populismus bis in höchste Regierungskreise einnistet". Schäuble hatte die EU-Kommission beschuldigt, die Flüchtlingskrise verschlafen zu haben, und gedroht, an ihr vorbei zu arbeiten. Er muss allerdings wissen, dass Kommissionschef Juncker der Einzige war, der Merkels Quote unterstützt hatte.

Verantwortungslos mutet für viele der Umgang mit Portugal an. Schäuble stürzt die Regierung in Lissabon am 29. Juni in eine Krise, als er auf einer Veranstaltung in Berlin erklärt, die Portugiesen "werden ein neues Programm beantragen müssen, und sie werden es bekommen." Portugal wieder unter dem Rettungsschirm? Die Märkte reagieren sofort, die Zinsen steigen. Ministerpräsident António Costa glaubt, dass Schäuble seine Aussage, dass Portugal ein neues Kreditprogramm brauche, mit dem Spitzenpersonal des Internationalen Währungsfonds (IWF) abgestimmt hat, das zeitgleich in Lissabon mit der Regierung redet und eine Untersuchung der Staatsfinanzen abschließt. Der IWF allerdings reagiert überrascht, er dementiert. Schäuble rudert zurück, aber der Schaden ist da. Außenminister Augusto Santos Silva übermittelt "über die üblichen diplomatischen Kanäle das Missfallen" der Regierung. Er schiebt einen Satz nach, der zeigt, wie zerrüttet das Verhältnis ist: Solche ungerechten Äußerungen seien beim deutschen Minister "Standard". Sie schadeten dem Land, "an den Märkten, bei den Zinssätzen als auch beim Vertrauensklima".

Parteisoldat Schäuble macht auch vor der Europäischen Zentralbank, dem Garanten der Euro-Zone, nicht halt. Am 9. April macht Schäuble im hessischen Kronberg Mario Draghi mitschuldig am Erstarken der AfD . "Ich habe Mario Draghi (...) gesagt: Sei ganz stolz. 50 Prozent des Ergebnisses einer Partei, die neu und erfolgreich zu sein scheint in Deutschland, kannst du den Auslegungen dieser Politik zuschreiben." Bundesbankpräsident Jens Weidmann springt Draghi bei, ebenso Angela Merkel. Ob sie mit Schäuble damals auch vor der Tür geredet hat, ist unbekannt.

© SZ vom 09.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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