Wohnungsbau:Schnell, praktisch, bezahlbar

Lesezeit: 3 min

Die Siedlung Haselhorst in Berlin war eine der letzten Großsiedlungen der Weimarer Republik. Ihre Ideen sind heute wieder hochaktuell.

Von Ingrid Weidner

Zwei Zimmer, Küche, Bad - das galt in den Zwanzigerjahren als große Errungenschaft. In den Städten herrschte Wohnungsnot. Auch damals strömten die Menschen dorthin, wo es Arbeitsplätze gab. Architekten, Städteplaner und Sozialpolitiker dachten daher intensiv darüber nach, wie sich das Bauen verändern muss, damit kostengünstig und schnell möglichst viele Unterkünfte für die arbeitende Bevölkerung entstehen. Experimente mit neuen Grundrissen und Materialien gehörten ebenso dazu wie utopische Pläne.

In Frankfurt am Main hatte der Architekt und Stadtbaurat Ernst May gemeinsam mit einem Team von Architekten 1925 damit begonnen, das neue, moderne Frankfurt zu bauen. Mit der Römerstadt und weiteren Siedlungen setzte er Maßstäbe für seriell gefertigte, ästhetisch ansprechende und bezahlbare Wohnungen. Auch im Inneren der Häuser überließen die Planer nichts dem Zufall. Sie gestalteten Mobiliar und Lampen gleich mit. Speziell für kleine Wohnungen entwarfen sie ausgeklügelte Einbauschränke, um den Bewohnern das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Die von Margarete Schütte-Lihotzky 1926 entworfene "Frankfurter Küche"‟ gilt als Urtyp der modernen Einbauküche.

Viele prominente Architekten haben Anfang der Dreißigerjahre ihre Ideen in die Siedlung Haselhorst in Berlin-Spandau eingebracht.

1 / 3
(Foto: Michael Bienert)

In kurzer Zeit sollten möglichst viele Wohnungen entstehen - heute stehen viele Städte wieder vor der gleichen Herausforderung.

2 / 3
(Foto: Sabine Dobre/Gewobag)

Wie es damals in den Häusern aussah, zeigt eine Museumswohnung des Eigentümers Gewobag.

3 / 3
(Foto: Hendrick Pohl/Gewobag)

Während der zehnjährigen Bauzeit hat das Wohnungsunternehmen zirka 130 Millionen Euro investiert.

Auch in Berlin fehlte es an bezahlbaren Wohnungen. Die 1927 dort gegründete "Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen"‟ (RFG) galt zwar auch als Debattierclub von und für Architekten, doch genauso wichtig war die wissenschaftliche und praktische Arbeit. Namhafte Architekten wie Walter Gropius, Ernst May, Bruno und Max Taut sowie Martin Wagner zählten zu den Mitgliedern sowie die Reichstagsabgeordnete Marie-Elisabeth Lüders. Anders als der Name suggeriert, hatte das während der Weimarer Republik gegründete Institut nichts mit faschistischem Gedankengut zu tun. 1931 löste sich der eingetragene Verein auf.

Lüders setzte sich dafür ein, staatliche Fördergelder für eine Mustersiedlung einzuwerben. Im industriell geprägten Berlin-Spandau fand sich ein 45 Hektar großer und für das Projekt geeigneter Bauplatz für die Reichsforschungssiedlung Haselhorst. Den 1928/29 ausgeschriebenen Architektenwettbewerb gewann Walter Gropius zusammen mit Stephan Fischer. Doch die vom Bauhaus-Gründer skizzierten zehn- bis zwölfgeschossigen Hochhäuser überzeugten den Bauherrn nicht. Zwar blieben der ursprüngliche Bebauungsplan und die Zeilenbauweise erhalten, doch die Gesamtfläche wurde in mehrere Segmente unterteilt und unterschiedliche Architekten wurden mit der Planung beauftragt. Das hatte den Vorteil, dass wirklich experimentiert wurde, so wie es sich die RFG wünschte, es entstand eine neue, moderne Formensprache. Manche Planer arbeiteten mit Laubengängen als Erschließungsfläche für die Wohnungen, andere setzten Stahlbeton als neuen Baustoff ein. In Haselhorst gibt es etwa 20 Variationen für Treppenhäuser, 21 unterschiedliche Typen für Türen und 13 verschieden geformte Loggien und Balkone.

Die meisten Wohnungen der Siedlung sind zwischen 37 und 67 Quadratmeter groß

Anders als für die funktional gestaltete Küche in Frankfurt gab Marie-Elisabeth Lüders in Berlin die Maxime aus: "Erst die Küche, dann die Fassade". Für sie zählte die Wohnküche zum wichtigsten Raum. Die meisten der zirka 3500 dort gebauten Wohnungen umfassten 37 bis 67 Quadratmeter und bestanden zum Großteil aus einem oder zwei Zimmern, nur einige wenige waren größer. Schließlich war das erklärte Ziel, mit möglichst kreativen Grundrissen Wohnraum für möglichst viele Menschen zu schaffen. Die Bauarbeiten in Haselhorst begannen 1930, bereits 1931 zogen die ersten Mieter ein und 1935 erfolgte die feierliche Eröffnung. Allerdings konnten nicht alle Architekten ihre Pläne selbst umsetzen. Allein der Architekt Fred Forbát plante 1220 Wohnungen und 21 Läden in der neuen Siedlung. Dazu zählt der markante, in Stahlbeton erbaute Block mit einer Ladenzeile und Wohnungen am Haselhorster Damm. Der in Ungarn geborene Architekt wurde 1933 gezwungen, sein Berliner Büro aufzulösen. Ihm gelang die Flucht nach Schweden. Auch andere renommierte Baumeister mit jüdischen Wurzeln wurden aus dem Projekt gedrängt, die Siedlung wurde von den neuen Machthabern für ihre Zwecke vereinnahmt. Doch auch wenn sie dort ihre Fahnen hissten und einige Fassaden mit naiven Blut-und-Boden-Bildern verunstalteten, an den klaren Strukturen des Quartiers änderten sie kaum etwas. In den Wohnungen lebten damals etwa 12 000 Menschen, selbst ein Kino gab es dort.

Seit 1995 steht die komplette Reichsforschungssiedlung Haselhorst unter Denkmalschutz, auch die Reihenhäuser, die sich überwiegend in Privatbesitz befinden. Der Eigentümer Gewobag entschloss sich 2003 für eine groß angelegte Sanierung, tauschte Fenster aus, isolierte Fassaden und erweiterte viele Wohnungen um Balkone. Während der zehnjährigen Bauzeit hat das Wohnungsunternehmen zirka 130 Millionen Euro investiert. Kurz vor Abschluss der Bauarbeiten entschied sich die Gewobag, eine Museumswohnung im Stil der Dreißigerjahre einzurichten. Die Originaltüren und Teile des Terrazzobodens in Küche und Bad waren noch vorhanden, Mobiliar, Hausrat und Tapete konnten anhand von Fotos rekonstruiert und manche Töpfe auf Flohmärkten angekauft werden. Den zentralen Raum bildet die etwa 14 Quadratmeter große Wohnküche mit einer Kochnische, in der Herd und Spüle untergebracht sind. Einen Großteil der guten Stube nimmt ein großes Sofa ein, der Nebenraum ist das Elternschlafzimmer. In dem nur drei Quadratmeter kleinen Bad brachten die Planer Toilette, Badeofen und eine Miniaturbadewanne unter. Konzipiert war die zirka 46 Quadratmeter große Zweiraumwohnung für eine mindestens vierköpfige Familie.

© SZ vom 02.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: