Wirtschaft:Toleranz und Geschäft

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Unternehmen haben immer schon wirtschaftspolitische Lobbyarbeit gemacht. Doch nun mischen sie sich in den USA offen in gesellschafts- und sozialpolitische Dinge ein. Das wirft Fragen auf: Wer gibt einem Manager das Recht, Politik zu machen?

Von Kathrin Werner

Einst galt die Regel in den USA: Unternehmen haben keine Meinungen. Die Verstrickungen der Wirtschaft in die Politik sollten geheim bleiben, um keine Kunden zu verschrecken. Coca-Cola hatte keine Haltung zum Vietnamkrieg, General Electric äußerte sich nicht zu Watergate, Nike nicht zum US-Präsidentschaftswahlkampf. Natürlich gab es massive Lobbyarbeit, natürlich beeinflussten Manager Gesetze zu Umweltauflagen, Steuern, Handel und Regulierung. Sie spendeten wohlgesonnenen Politikern Milliarden für deren Wahlkämpfe. Aber nach außen blieb das Unternehmen neutral.

Diese Zeiten sind vorbei. Amerikanische Unternehmen werden immer politischer - und immer öffentlicher dabei. Gerade hat Paypal verkündet, die geplante Zentrale in North Carolina doch nicht zu bauen, weil dem Konzern ein neues Gesetz nicht passt. Es geht um Toiletten: Wer als Frau geboren wurde, soll dem Gesetz zufolge aufs Damenklo gehen - egal, ob diese Person sich nach einer Geschlechtsumwandlung als Mann identifiziert und auch so aussieht. Transsexuelle finden das diskriminierend, und in so einem Umfeld will Paypal keine Mitarbeiter beschäftigen.

Wenn North Carolina also nicht 400 Arbeitsplätze und 3,6 Millionen Dollar an Investitionen verlieren will, hat der Staat nur noch wenig Zeit, das Gesetz wieder aufzuheben, Paypal suche schon nach politisch genehmeren Ansiedlungsorten.

US-Unternehmen mischen sich immer offener in die Politik ein

Derartige Unternehmensentscheidungen liegen im Trend: In Georgia hat eine Gruppe um Coca-Cola, Delta Airlines, Disney und 500 weitere Firmen gerade den Gouverneur mit Abwanderungsdrohungen dazu gebracht, ein Gesetz zu stoppen, das Menschen erlaubt hätte, im Namen der Religionsfreiheit Schwule und Lesben zu diskriminieren. Neu ist auch in diesem Fall: Geheim passiert all das nicht, die Unternehmen spielen offen ihre Macht aus. Manager machen Politik.

Dahinter steckt mehr als bloße PR. Besonders die jüngere Kundschaft und potenzielle Mitarbeiter erwarten, dass Unternehmen, von denen sie kaufen, mit ihren Werten übereinstimmen. Zwar gibt es noch ein paar Konservative, die sich weigern, Hochzeitstorten für homosexuelle Paare zu backen. Die gesellschaftlichen Mehrheiten haben sich aber verschoben. Acht von zehn Amerikanern zwischen 18 und 29 Jahren sind inzwischen für die Gleichstellung von Lesben und Schwulen. Für Firmen, die sich bei dieser Zielgruppe beliebt machen wollen oder die besten Mitarbeiter gewinnen wollen, ist also klar, welcher Meinung sie sich anschließen - und zwar in aller Öffentlichkeit. Das bringt, so ergeben Studien, Kunden. Es geht also ums Geldverdienen. Und damit um den Kern der Wirtschaft.

Doch selbst wenn man in der Sache mit den Unternehmen übereinstimmt, wirft die wachsende Einflussnahme der Konzerne doch Fragen zu Macht und Demokratie auf. Schließlich hat die Manager niemand gewählt, die homophoben Lokalpolitiker in North Carolina und Georgia dagegen schon. Die Unternehmen wiederum sehen sich als Vertreter des Volkes oder zumindest der öffentlichen Meinung.

Für den demokratischen Prozess ist diese neue Art der offenen Einflussnahme besser als die alte geheimniskrämerische Lobbyarbeit, weil sie öffentlich ist. Das Volk kann mitreden und Politiker dazu anhalten, sich gegen die Einflussnahme der Firmen zu stemmen, wenn diese Unternehmen in eine Richtung drängen, die dem Volk nicht passt. Doch je wirtschaftsfreundlicher einer Partei ist, desto schwieriger wird es, sich den Konzernen zu widersetzen. Das merken vor allem die Republikaner. Und so wird es schwer sein für den republikanischen Gouverneur von North Carolina, sich als Freund der Wirtschaft zu präsentieren, wenn er die gesamte Wirtschaftswelt gegen sich hat.

© SZ vom 07.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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