Wirtschaft:Nur die Ruhe

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Die Börsenkurse sind abgestürzt, das Pfund auch, schon macht die Sorge um eine neue Finanzkrise wie 2007/2008 die Runde. Doch solche Vergleiche sind absurd, dafür sind zu viele Spieler an den Börsen unterwegs.

Von Marc Beise

Börsen werden gerne als Indikator für künftige Entwicklungen herangenommen. Sehr viele Menschen aus aller Welt mit unterschiedlichen Erfahrungen und Kenntnissen kaufen oder verkaufen Wertpapiere von Unternehmen, Branchen, gar Staaten. Das könnte, sollte man meinen, ein Bild kollektiver Vernunft ergeben. Wenn das aber so wäre, dann müsste man jetzt das Schlimmste befürchten. Denn die Kurse der Weltbörsen sind abgestürzt nach der Brexit-Entscheidung, und es gibt sehr viel Aufruhr, weil ungewiss ist, wie es im Finanzsektor weitergeht. Kommt die "Katastrophe", die selbst aus Chefetagen der Wirtschaft in den vergangenen Tagen beschworen worden ist?

Glücklicherweise ist die Aussagekraft der Börse begrenzt. Unter anderem deshalb, weil dort jede Menge Spieler unterwegs sind, die volles Risiko gehen. Sie haben viele Milliarden Euro, Pfund oder Dollar auf den Brexit gesetzt und machen jetzt richtig Kasse. Der normale Anleger, der in Panik bei seinem Bankberater angerufen hat und um 10 Uhr endlich durchkam, ist bei diesem Spiel nicht dabei. Er verkauft womöglich zum genau falschen Zeitpunkt. Oder gerade noch rechtzeitig. Oder sollte man vielleicht gar nicht verkaufen? Wer kann das schon wissen?

Was man aber wissen kann, wird in diesen aufgeregten Stunden viel zu wenig kommuniziert: Politisch mag der Brexit ein Riesendesaster sein, die wirtschaftlichen Folgen sind bis auf Weiteres begrenzt. Erstens dauert es ohnehin noch Jahre, ehe Großbritannien endgültig aus der Europäischen Union aussteigt. Zweitens geht das Wirtschaftsleben natürlich weiter, und vielleicht nicht mal so sehr anders als heute. Gespräche über Handelsmaßnahmen, Liberalisierungen, nationale Vorbehalte, all das bleibt. Verhandlungen mit den Briten finden dann nicht mehr in den Gremien der EU statt, sondern vielleicht im Rahmen des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR); so ist das beispielsweise bei Norwegen und Island. Oder es wird eigene Handelsabkommen Großbritanniens mit der EU geben. Notfalls gelten die allgemeinen Regeln der Welthandelsorganisation (WTO), unter deren Schirm man auch Geschäfte machen kann.

Vergleiche mit der Finanzkrise 2007/2008 sind absurd

Vielleicht kommt es nicht einmal zu neuen Zöllen, wie sie besonders die exportstarken deutschen Branchen fürchten, die Autos, Maschinen, Chemie- und Pharmaprodukte verkaufen wollen und eine Verteuerung ihrer Produkte befürchten. Nicht einmal die Wartezeiten für Waren an den Grenzen sind ein Naturgesetz. Das alles ist eine Frage des Aushandelns - bei dem die Briten allerdings keine guten Karten haben werden. Deshalb sitzen die eigentlichen Verlierer des Brexits nicht in Deutschland, nicht in Kontinentaleuropa und auch nicht in der weiten Welt. Sie leben in Großbritannien. Europa kann, wirtschaftlich betrachtet, gelassen bleiben.

Unternehmen brauchen vor allem Planungssicherheit. Alles, worauf sich die Wirtschaft einstellen kann, was sie "einpreisen" kann, ist halb so schlimm. Deshalb ist auch jeder Vergleich mit der Finanzkrise 2007/2008 absurd. Damals kollabierten quasi über Nacht und selbst für viele Insider überraschend weltweit die Märkte. Auf den Brexit können sich alle Akteure in Ruhe vorbereiten - und sie werden es tun.

© SZ vom 25.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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