Wikileaks:Blackbox der Menschenrechte

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Julian Assange sitzt seit 2012 in der ecuadorianischen Botschaft in London, aus Angst vor einer Auslieferung. Eine Arbeitsgruppe der UN spricht jetzt von illegaler Haft. Das ist merkwürdig - Assange könnte das Haus jederzeit verlassen.

Von Heribert Prantl, München

Die Lage von Julian Assange ist nicht gemütlich und auch nicht gesund. Seit dreieinhalb Jahren hockt der Mann in Ecuadors Botschaft. Diese Botschaft befindet sich zwar in zentraler Lage von London, an der Rückseite vom Kaufhaus Harrods; aber das macht sie nicht zum Gourmet-Tempel. Die Botschaft ist eine eher winzige Klause und verfügt nicht einmal über ein Gärtlein, das eine Art Hofgang erlaubt. Kein guter Ort also, um dort dreieinhalb Jahre zuzubringen.

Hätte eine staatliche Justiz den Wikileaks-Gründer dort nun schon so lange eingesperrt - man müsste von einer Menschenrechtsverletzung reden. Aber: Assange hat sich dort selbst eingesperrt, auf der Flucht vor der schwedischen Justiz, die ihn wegen angeblicher Sexualdelikte verfolgt, und aus der Furcht, dass ihn die schwedische Justiz an die USA ausliefert, die ihm dann den Prozess wegen des angeblichen Verrats von Staatsgeheimnissen macht. Deswegen hat sich Assange in den Schutz der Botschaft begeben und genießt dort den Schutz der Immunität - die, wie die eine Arbeitsgruppe der UN-Menschenrechtskommission erklärt, kein Genuss ist.

In dem - rechtlich nicht verbindlichen - Votum der unabhängigen UN-Arbeitsgruppe heißt es, dass es sich bei den Formen der Freiheitsberaubung, unter denen Assange leide, um "willkürliche Inhaftierung" handele. Darin finden sich Wörter wie "illegale Haft" und "Menschenrechtsverletzung" sowie ein Hinweis darauf, dass ihm für diese Haftzeit beziehungsweise für den Hausarrest in der Botschaft ein Schadenersatz zustehe.

Seltsam? Seltsam! Die schwedischen als auch die britischen Behörden verweisen darauf, dass Assange nicht in die Botschaft eingewiesen worden sei, sondern sich freiwillig dort hinbegeben hat. Beide Länder argumentieren, der Wikileaks-Gründer könne das Gebäude jederzeit verlassen. Und der Staat Ecuador hält ihn nicht in seiner Botschaft fest. Assange kann natürlich jederzeit gehen - aber draußen wartet die Polizei mit einem europäischen Haftbefehl. Über die rechtsstaatliche Sorgfalt solcher Haftbefehle kann man nun allerhand Kritisches sagen, aber der Haftbefehl gegen Asssange ist nun einmal wirksam; er fußt auf den Ermittlungen der schwedischen Justiz.

Man muss das Votum des UN-Gremiums genauer anschauen, um auf die Spur ihrer Überlegungen zu kommen. Es geht den UN-Streithelfern von Assange offenbar vor allem um die Dauer des Verfahrens. Seit 2012 sitzt der nun in seinen 20 Quadratmetern in London. Wenn ein Strafverfahren nach so langer Zeit noch nicht richtig begonnen hat, kann von einem speedy trial, wie es rechtsstaatlich notwendig ist, keine Rede sein. Bei einer Untersuchungshaft von dreieinhalb Jahren würde das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht anders sehen. Aber es handelt sich nicht um U-Haft.

Europas Richter für Menschenrechte prüfen, wenn es um die Dauer eines Verfahrens geht, stets die Frage: Wer trägt die Verantwortung dafür? Es geht, so sagen das die Juristen, um eine "Gesamtbetrachtung". Bei einer solchen Gesamtbetrachtung findet der Straftrechtsexperte Otto Lagodny nicht die Dauer des Verfahrens, sondern das Votum der UN-Arbeitsgruppe "befremdlich". Lagodny ist in Salzburg Professor für ausländisches Straf- und Strafverfahrensrecht sowie Strafrechtsvergleichung, und ein Kenner des Völkerrechts und der Rechtsprechung zu Menschenrechten. Ein Strafverfahren in Abwesenheit, so sagt er, dürfe Schweden nicht führen. Er sieht deshalb nicht, wie man im Fall Assange eine Menschenrechtsverletzung stichhaltig begründen kann - Assange habe sich aus freien Stücken in den Schutz der Botschaft begeben. Vielleicht, so der Professor sybillinisch, sei die Botschaft Ecuadors in diesem Fall so etwas wie "eine Blackbox der Menschenrechte".

In ein paar Jahren wird womöglich ein Mafia-Boss, der sich zwanzig Jahre vor der Justiz auf einem sizilianischen Bauernhof versteckt hatte, die Anrechnung dieser "Haft" auf die Freiheitsstrafe beantragen, zu der er nach seiner Ergreifung verurteilt wird - und zur Begründung auf das Assange-Votum der UN-Arbeitsgruppe verweisen.

© SZ vom 06.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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