Wiens Sozialdemokraten:Gewinner unter Verlierern

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Die SPÖ hat sich getraut, im Wahlkampf eine flüchtlingsfreundliche Politik zu vertreten. Nun kann sie wohl weiterregieren - doch die herben Stimmenverluste zeigen, wie schwierig dieser Weg ist.

Von Cathrin Kahlweit

Bis kurz vor sechs tanzten sie bei der FPÖ noch auf den Tischen. Die ersten Prognosen waren ja auch wirklich zu schön gewesen. Dann, am frühen Abend, wurde es schlagartig still. Wie, nur knapp über 30 Prozent? Andere Parteien jubeln, wenn sie mehr als fünf Punkte zulegen. Für Österreichs Rechtspopulisten aber war das Ergebnis enttäuschend. Sie wollten Wien einnehmen, sind aber nur zweitstärkste Kraft geworden mit einem Wahlkampf, der die Angst vor Flüchtlingen nutzte und schürte.

Bei den Sozialdemokraten ging die Sause nach der ersten Hochrechnung erst so richtig los. Auch wenn manchem SPÖ-Mitglied mulmig war angesichts der Niederlage, dem Absacken unter die 40-Prozent-Marke, die nun wie ein Sieg gefeiert wurde. Schließlich waren es die Flüchtlinge gewesen, die Bürgermeister Michael Häupl und seine Partei gerettet hatten. Wären nicht in den vergangenen Wochen täglich Tausende Flüchtlinge von Nickelsdorf im Osten Richtung Freilassing und Passau quer durch das Land gereist, hätte sich Häupl nicht hinstellen können und im Wahlkampf seinen Luther bemüht: "Hier stehe ich und kann nicht anders."

Belohnt wurde das schließlich, laut vorläufigem Endergebnis, mit einem Minus von 4,9 Prozent; die Grünen kamen auf 11,1 (minus 1,5), die Neos auf 6,0 (sie sind neu im Landtag), die ÖVP rutschte auf 8,7 Prozent ab (minus 5,3). Die FPÖ schaffte es schlussendlich auf 32 Prozent und legte damit um 6,5 Punkte zu.

Gerade bei der Kernklientel müssen die Roten schwere Verluste hinnehmen

Die Flüchtlingskrise war in den Wochen vor der Landtagswahl das dominierende Thema gewesen. Und Häupl hatte sich in der Hauptstadt, wo ein Viertel aller Einwohner keinen österreichischen Pass hat, dafür entschieden, einen Pro-Flüchtlings-Wahlkampf zu machen. Er hatte mehr Menschen aufgenommen als nötig, hatte unbegleitete Minderjährige aus dem Erstaufnahmelager in Niederösterreich übernommen, hatte damit geworben, dass er Menschenrechte hochhält und nicht nur über Menschlichkeit redet.

Seine Partei bleibt stärkste Kraft: Bürgermeister Michael Häupl bei der Verkündung der ersten Hochrechnungen. (Foto: Hans Punz/AP)

In drei anderen Bundesländern hatten sich zuvor die Kandidaten von SPÖ und ÖVP darin überboten, schärfere Maßnahmen gegen den Flüchtlingsstrom zu fordern. Mit wenig Erfolg, sie haben trotzdem überall Stimmen verloren. Häupl hatte sich hingestellt und die Merkel gegeben: Wir schaffen das. So wie zuvor schon Kanzler Werner Faymann (SPÖ). Daraufhin hatte vor allem die FPÖ ihnen Realitätsferne vorgeworfen; und die ÖVP hatte sich vom gemeinsamen Kurs abgesetzt.

In Deutschland lavieren derzeit sogar beide Koalitionspartner und suchen eine Haltung, mit der man die rechten Pegida-Aktivisten nicht stärkt und trotzdem flüchtlingsfreundliche Wähler nicht verschreckt. Nun konnte die Wiener SPÖ den Absturz, der ihr wegen der Flüchtlingsfrage vorhergesagt war, zumindest bremsen. Wegen ihrer Flüchtlingspolitik. Und zum ersten Mal seit Langem schaut man nicht aus Österreich nach Deutschland, um zu sehen, wie der große Nachbar alles anders oder besser macht. Sondern man fragt sich in Deutschland: Funktioniert das Wiener Modell, das ja auch ein Merkel-Modell ist, auch bei uns? Klare Kante statt Anbiederung - verscheucht man damit Ängste und überzeugt Wähler?

Die Antwort entspricht dem Charakter von Wien, sie ist zweigeteilt, ja und nein. Denn die SPÖ hat weniger verloren, als sie sonst verloren hätte, weil sie mit ihrer Anti-FPÖ-Taktik Nichtwähler und Wechselwähler erreicht hat: die Jungen, die Frauen, die wirtschaftlich Starken, die Bürgerlichen, die Intellektuellen, die Alternativen. In den wohlhabenden Innenstadtbezirken haben die Sozialdemokraten so gut abgeschnitten wie lange nicht. Dort beherrschte die Angst vor den Rechten die Agenda. Aber jenseits des Gürtels, wo Wiens Außenbezirke beginnen, ist die SPÖ eingebrochen.

In den Arbeitervororten, wo 40 bis 50 Prozent der Wähler Migrationshintergrund haben, wo die Müden und Abgehängten, die Bildungsfernen wohnen, da hat die FPÖ abgeräumt wie noch nie. Simmering, 100 000 Einwohner, fiel eindeutig an die Blauen. Florisdorf, 150 000 Einwohner, ging nach dem vorläufigen Ergebnis knapp an die Blauen. In Favoriten, 200 000 Einwohner, ist das Rennen so eng, dass niemand eine Vorhersage wagt, bis die letzte Briefwahlstimme gezählt ist.

Die SPÖ ist nicht untergegangen, weil sie ein Herz gezeigt hat? Nein, die SPÖ ist nicht untergegangen, weil ein Teil ihrer Wähler verhindern wollte, dass ganz Wien an die Blauen fällt. Das ist ein Unterschied.

Und so hat Bürgermeister Häupl, der nun wohl mit den Grünen weiterregieren wird, auch von "Demut" gesprochen. Was man so sagt, wenn man davongekommen ist. Aber es wird schwerer. Die Seestadt Aspern zum Beispiel ist ein komplett neuer Stadtteil, aus dem Boden gestampft für 20 000 Menschen, samt U-Bahn, See, Grün, viele Familien leben dort. Das Klischee, nach dem die Gemeindebaubewohner sich über Schimmel im Flur, einen fehlenden Hausmeister und die vielen Araber im Nachbarhaus beklagen - es funktioniert hier nicht. Und doch hat Aspern mehrheitlich FPÖ gewählt.

Daher herrscht im Wiener Rathaus wie im Kanzleramt Ratlosigkeit. Faymann werde sich Häupl wohl als Vorbild nehmen und sich klar gegen die FPÖ positionieren, wird gemutmaßt. Nach einer Auswertung der Wählerstromanalyse und der Wahlmotive ist das aber gar nicht so sicher.

© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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