Nazi-Spuren am Wiener Heldenplatz:Aufgeflogen nach 75 Jahren

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Brisanter Fund in Wien: Auf dem Heldenplatz wurde im Denkmal für den unbekannten Soldaten eine Nazi-Huldigung entdeckt. Dort platziert hatte sie der Erbauer persönlich. Nun soll ein neues Konzept für die gesamte Anlage her.

Cathrin Kahlweit, Wien

Der Verteidigungsminister selbst war gekommen, um die Sensation mitzuteilen, und er konnte eine gewisse Genugtuung nicht verhehlen. Seine Anordnung, einem ewigen Gerücht nachzugehen und ein Denkmal für gefallene Soldaten in der Krypta am Wiener Heldenplatz öffnen zu lassen, hatte Norbert Darabos (SPÖ) einige Anerkennung, aber auch Häme eingebracht.

Gedenkveranstaltung mit Vertretern von Studentenverbindungen für die Opfer des Zweiten Weltkriegs auf dem Wiener Heldenplatz im Mai 2011. (Foto: REUTERS)

Seit Jahrzehnten kursiert in Österreichs Hauptstadt die Geschichte, dass der Bildhauer und heimliche Nazi Wilhelm Frass, der das Mahnmal geschaffen hatte, 1935 eine Huldigung an Hitler und das Deutsche Reich in seiner Arbeit versteckt habe. Nachdem rechtsextreme Burschenschaften auch diesen Mai einmal wieder ihr ganz spezielles Heldengedenken vor der Krypta an der Hofburg abgehalten hatten, reichte es Darabos; er kündigte an, man werde unter der Skulptur nachschauen lassen. Und dabei gleich die ganze Krypta umgestalten. Totenbücher mit Namen von SS-Soldaten entfernen, alte Kränze diffuser Herkunft abräumen. Antifaschistisches Großreinemachen, sozusagen.

Am Donnerstag nun präsentierte der Minister das Ergebnis: Tatsächlich ist bei der Öffnung am Mittwoch im Sockel der liegenden Figur eine Metallkapsel gefunden worden, und tatsächlich befanden sich darin nicht ein, sondern sogar zwei Schreiben. Frass selbst hatte offenbar eine Art "Grundsteinurkunde" verfertigt, wie Heidemarie Uhl von der militärhistorischen Denkmalkommission das Papier auf der Pressekonferenz im Verteidigungsministerium bezeichnete. Darin fabulierte Frass von seinem "Glauben an die ewige Kraft des deutschen Volkes", dem er diesen Stein widme - und er hoffe, dass der Herrgott "unser herrliches Volk einig im Zeichen des Sonnenrades dem Höchsten" zuführe.

Gleichzeitig, und das war die zweite Überraschung für die Historiker, fand sich ein zweites, konträres Schreiben in der Kapsel, das offenbar ein Gehilfe des Bildhauers verfertigt hatte. Es bekennt sich zum Frieden; sein Autor Alfons Riedel wünscht sich, dass künftige Generationen "keine Denkmäler für Gefallene aus gewaltsamen Auseinandersetzungen mehr errichten" müssten. Ob Riedel sein Brieflein als Gegenmanifest zu Frass in das Denkmal des unbekannten Soldaten geschmuggelt hat? Keiner weiß es bisher - über den Mann ist nichts bekannt. Anders als über den Faschisten und Künstler Frass, der im Ersten Weltkrieg kämpfte und sich später der NSDAP anschloss.

Neues Konzept für gesamte Anlage in Planung

Der Verteidigungsminister jedenfalls zeigte sich zufrieden über den Fund. Man habe einen Mosaikstein zur Aufarbeitung der österreichischen Geschichte entdeckt, sagt Darabos. Der Gedanke, dass die Krypta in der Hauptstadt, in der die Staatsspitze regelmäßig gemeinsam mit Staatsgästen Kränze für die Gefallenen der Weltkriege ablegt, durch Nazi-Propaganda entweiht werde, sei für ihn immer unerträglich gewesen. Nun werde man bis zum österreichischen Nationalfeiertag im Oktober mit einem neuen Konzept für den Raum und die ganze Anlage aufwarten.

Um nicht wieder neue Gerüchte aufkommen zu lassen - etwa, dass der spektakuläre Fund vielleicht eine Inszenierung, ja eine Fälschung war - hatte man sich besondere Mühe gegeben, die Aktion historisch und juristisch belastbar zu gestalten. Ein Notar war bei der Öffnung der liegenden Figur des gefallenen Kriegers anwesend, auch wurde die ganze Sache durchgängig gefilmt.

Vorher hatte man eine Expertise von einem Bildhauer über das Vorgehen eingeholt, ein Obmann der Goldschmiede-Innung war auch dabei. Nachdem die Hülse im Betonsockel des Denkmals entdeckt worden war, wurde sie aufgemacht, überprüft, und umgehend wieder versiegelt - um keine Zweifel an der "Echtheit" aufkommen zu lassen, wie später betont wurde. Am Donnerstag wurde die Kapsel dann im Ministerium präsentiert: Dazu holte sie ein Uniformierter mit Handschuhen aus einem Metallkoffer, als handele es sich um eine Präsentation verschollener Liebesbriefe von Kaiserin Sisi.

Die Funde sollen nun von Historikern weiter ausgewertet und dann wahrscheinlich einem Museum übergeben werden. Frass, der sich einst über die "Würdenträger der Systemzeit" lustig machte, die "keine Ahnung hatten, dass unter der Figur eine hochverräterische Inschrift liegt", wie er 1938 an einen Kunsthistoriker geschrieben hatte, ist somit nach 75 Jahren aufgeflogen.

© SZ vom 20.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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