Wichtiger Zeuge im NSU-Prozess:Erinnerung oder Einbildung

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Andreas T. war am Tatort, als Halit Yozgat erschossen wurde. Angeblich hat der ehemalige Verfassungsschützer nichts davon mitbekommen - sagt er. Ein Abhörprotokoll aber lässt Zweifel an seiner Aussage zu.

Aus dem Gericht von Tanjev Schultz

Als der frühere Verfassungsschützer Andreas T. endlich drankommt, geht zunächst sein Mikro am Zeugentisch nicht. Der Vorsitzende Richter im NSU-Prozess, Manfred Götzl, nutzt die kleine Panne für einen Gag: "Herr Kienzle, haben Sie den Stecker gezogen?" Heiterkeit im Saal. Dazu muss man wissen, dass Alexander Kienzle ein Anwalt der Nebenkläger ist, der sich zuvor vehement dafür eingesetzt hat, die Vernehmung von Andreas T. zu verschieben.

Da war die Stimmung im Gericht zeitweise sehr frostig. Kienzle wollte, dass erst mal zwei andere Männer des Geheimdienstes als Zeugen geladen werden. Und er warf der Bundesanwaltschaft vor, wichtige Akten nicht freizugeben für das Verfahren. Nach längerem Hin und Her beschließt Götzl jedoch, Andreas T. nicht wieder nach Hause zu schicken.

Es ist nun schon der dritte Auftritt dieses Mannes, der am 6. April 2006 Kunde in einem Kasseler Internetcafé war, in dem der 21-jährige Betreiber Halit Yozgat ermordet wurde. Die Anklage ist überzeugt davon, dass die NSU-Terroristen in den Laden gestürmt waren und Yozgat niederschossen. Nach dem Mord war zunächst Andreas T. unter Verdacht geraten, nachdem er sich nicht als Zeuge gemeldet und später in Widersprüche verwickelt hatte. Seine Rolle bleibt dubios, viele halten es für unwahrscheinlich, das T., der im Internetcafé ein Online-Flirtforum besucht hatte und dann verschwand, von der Tat gar nichts mitbekommen haben soll.

Götzl tatestet sich an Telefonat heran

Der Richter hält ihm nun den Polizeivermerk über ein "kognitives Interview" vor, zu dem T. 2009 gebeten wurde. Ein Psychologe versuchte, den Beamten in einen Zustand zu versetzen, in dem seine Erinnerungen an den Tattag wieder wach werden. Andreas T. sprach in dieser Situation von einem Geräusch, das er womöglich gehört habe; es habe geklungen wie beim Verrücken von Möbeln. Es könnte der Moment gewesen sein, als Halit Yozgat zu Boden sank. Doch vor Gericht relativiert Andreas T. die Wahrnehmung: Er wisse nicht, ob er eine echte Erinnerung hatte oder er sich das - wegen all der Medienberichte und anderer Zeugen - nur einbildete. Diesen Vorbehalt habe er auch 2009 bereits gemacht.

Götzl tastet sich anschließend an ein Telefonat heran, das T. wenige Wochen nach dem Mord mit einem Kollegen des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz führte. Die Polizei hing damals mit in der Leitung - zu der Zeit war Andreas T. nicht Zeuge, sondern Beschuldigter. Laut Abhörprotokoll sagte der Kollege an einer Stelle, Andreas T. habe sich beim damaligen Chef des Landesamts, Lutz Irrgang, "nicht so restriktiv" geäußert wie bei der Polizei. Für Kienzle und andere Anwälte der Opfer ist das ein Hinweis darauf, dass der Verfassungsschutz mehr wusste als die Polizei.

Und nun wirke die Bundesanwaltschaft daran mit, das "Exklusivwissen" des Geheimdienstes zu erhalten - das Abhörprotokoll fanden die Anwälte in vertraulichen Akten, die nur in Karlsruhe eingesehen werden dürfen und nicht zum Verfahren beigezogen wurden. Götzl hält das Abhörprotokoll offenbar aber für so relevant, dass er Andreas T. ausgiebig dazu befragt. Der kann sich allerdings mal wieder nicht so richtig erinnern.

© SZ vom 30.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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