Weißrussland:Alles andere als humanitär

Lukaschenko lässt sechs Oppositionelle frei. Das sollte niemanden beeindrucken.

Von Julian Hans

Diktatoren entdecken nicht über Nacht ihr gutes Herz. Aber Diktatoren haben meist ein gutes Gespür dafür, woher der Wind weht. Danach setzen sie die Segel, um noch eine Weile weiter am Ruder bleiben zu können. Daran, dass Alexander Lukaschenko aus "humanitären" Erwägungen sechs Oppositionellen die Freiheit geschenkt hat, wie der weißrussische Präsident mitteilen ließ, glaubt in Europa und den USA niemand.

Deren Politiker und Diplomaten müssen demnächst darüber befinden, ob ein neuer Kredit des Internationalen Währungsfonds nach Minsk fließt, wo Wirtschaft und Währung im Abwärtssog Russlands stark gebeutelt sind. Nach Jahren der Isolation gibt es seit einer Weile vorsichtige Annäherungsversuche. Die EU hob die Einreiseverbote gegen einige Funktionäre auf. Ein kurzes Tauwetter hatte es schon vor der letzten Präsidentschaftswahl 2010 gegeben; es endete jäh am Tag nach der Wahl, als der Kandidat Nikolaj Statkewitsch festgenommen wurde, der bekannteste Oppositionelle.

Angesichts der Entwicklung in Moskau erscheint Lukaschenko manchen dennoch als kleineres Übel - und er beeilt sich, diese Chance zu nutzen. Seine Macht wird er deshalb nicht teilen. Nikolaj Statkewitsch etwa kann nicht mehr an der Wahl teilnehmen. Aber sechs Menschen in Freiheit sind immer besser als sechs Menschen, die wegen ihrer Überzeugung zu Unrecht in Haft sitzen.

© SZ vom 24.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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