Wahlumfragen:Immer wieder betörend

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Wahlumfragen geben Anhaltspunkte - den Parteien, zum Beispiel, ob und wie sie mir ihrer Politik bei den Wählern ankommen. Doch Formulierungen wie "Prognosen sehen die Union bei X Prozent" führen in die Irre. Umfragen sind Projektionen - keine Vorhersagen.

Ein Kommentar von Detlef Esslinger

Umfragen gehören zu den Ritualen, die in einem Wahlkampf wirklich betören. Ein Wahlkampf ohne Umfrage ist ungefähr so wenig vorstellbar wie ein September ohne Herbstanfang. Das ändert aber nichts daran, dass mit so gut wie jeder Umfrage eine ungeheure Anmaßung einhergeht.

Umfragen sind sinnvoll, weil sie den Parteien Anhaltspunkte liefern, wie sie von den Bürgern bewertet werden. Die Meinungsforscher liefern Politikern damit auf ähnliche Weise eine Grundlage, wie es Ökonomen mit ihren Konjunkturprognosen tun. Irgendeine Basis braucht man ja, um zum Beispiel Steuereinnahmen schätzen und einen Etat planen zu können. Im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise ist jedoch auch Laien bewusst geworden, dass eine Konjunkturprognose immer nur einen Orientierungswert liefert, nicht aber auf die Nach-Komma-Stelle genau eine Entwicklung vorzeichnet.

Die Ergebnisse der Demoskopie hingegen werden weiterhin viel zu wörtlich genommen. Oder gibt es irgendeinen anderen Grund, weshalb es die landläufige Meinung ist, dass die Bundestags- und auch die bayerische Landtagswahl längst gelaufen seien, obwohl noch keine einzige Wahlurne auch nur aus dem Depot geholt wurde? Die Umfrage-Institute sind daran lediglich zum Teil schuld. In den Berichten zum Beispiel der Forschungsgruppe Wahlen heißt es immer: Wäre am nächsten Sonntag Bundestagswahl, könnten die Parteien mit soundsoviel Prozent "rechnen". Wird über diesen Bericht anschließend in den Medien berichtet, wird daraus oft: " . . . käme die Union auf 41 Prozent."

Diese Formulierung suggeriert eine Genauigkeit, die einer Anmaßung gleichkommt. Erstens sind Umfragen immer nur Aufnahmen vom Moment ihrer Erhebung. Plötzliche Kriege, Fluten oder Skandale können eine Stimmung immer noch drehen. Zweitens räumen Wahlforscher (allerdings nur in den Fußnoten ihrer Mitteilungen) ein, dass es bei gut 1000 Befragten einen Fehlerbereich gibt. Er beträgt bei einem ermittelten Stimmenanteil einer Partei von zehn Prozent circa zwei Prozentpunkte - woraus schon deutlich wird, wie gewagt es in Wahrheit ist, bei einem FDP-Umfrageergebnis von fünf oder sechs Prozent zu behaupten, dass Schwarz-Gelb wieder eine Mehrheit hat.

Drittens liefern Demoskopen noch eine weitere Zahl, die von erheblicher Bedeutung ist, die in dem Geheische um Aufmerksamkeit aber kaum noch Beachtung findet: die Menge der unentschlossenen Bürger. Laut Forschungsgruppe Wahlen sind das derzeit tatsächlich 48 Prozent der Wahlberechtigten.

Wer all dies ignoriert, hat sich betören lassen. Die Herde mag der Auffassung sein, dass Peer Steinbrück und Christian Ude arme Tröpfe sind, dass es für die FDP knapp wird und dass die AfD sicher scheitert. Der Herde sei gesagt, dass Angela Merkel vor acht Jahren am Schluss mit mehr als 40 Prozent gehandelt wurde, dann aber bei 35 Prozent landete. Umfragen sind Projektionen. Prognosen sind sie nicht.

© SZ vom 02.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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