Wahlkampf:Ein Camp als Politikum

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Wem nutzt das Elend politisch? Die Regierung konkurriert mit Möchtegern-Präsident Sarkozy und dem Front National.

Von Christian Wernicke

Calais zieht an. Nicht nur Flüchtlinge, auch Politiker lockt es dieser Tage an die Küste des Ärmelkanals. Die vom "Dschungel" geplagte Stadt wird zur Bühne prominenter Besucher, weil im Frühjahr 2017 Präsidentschaftswahlen anstehen. Präsident François Hollande verspricht am Montag neue Wirtschaftshilfe. Und sein Vorgänger Nicolas Sarkozy, der bei den im November anstehenden Vorwahlen der oppositionellen Republikaner seine Wiederkehr versucht, war schon vorige Woche da - um "das völlige Versagen des Staates" anzuprangern. Und um zu versichern: Wenn er, Sarkozy, erst wieder Präsident sei, "dann ist die Sache hier vor Sommerende 2017 geregelt." Wie, das ließ er offen.

Klar ist nur, dass Sarkozy und seine Vertrauten zwar die Räumung des Lagers wollen, aber die landesweite Umsiedlung der geschätzten 10 000 Dschungel-Bewohner in Notunterkünften bekämpfen. "Wir wollen nicht überall Mini-Calais", schimpfte Laurent Wauquiez, der von Sarkozy eingesetzte Parteichef, als bekannt wurde, dass das Innenministerium überall im Land nach leeren Häusern oder freien Ferienzentren sucht. Wauquiez, selbst Präsident der Region Auvergne-Rhône-Alpes, ermunterte Frankreichs Bürgermeister, sich zu wehren gegen diese "Schaffung von neuen Dschungeln im ganzen Land". Dazu legte Wauquiez eine Protest-Resolution auf. Dasselbe Ziel propagiert seither auch der rechtsextreme Front National, der zu diesem Zweck einen Verein namens "Meine Gemeinde ohne Migranten" gründete. Der für Calais zuständige Regionalpräsident Xavier Bertrand, selbst ein gemäßigter Republikaner, gab zu, dass es ihm "schwerfällt, Fragen nach dem Unterschied zwischen beiden Initiativen zu beantworten."

Sarkozy will Härte zeigen - gegen die Sozialisten, vor allem aber gegen Alain Juppé, seinen Kontrahenten um die republikanische Präsidentschaftskandidatur. Der moderate Bürgermeister von Bordeaux äußerte nur kleinere Vorbehalte gegenüber dem Plan zur Räumung des Camps. Im Prinzip stimmt der Ex-Premier zu, dass die Flüchtlinge irgendwo im Land ein Dach über dem Kopf finden müssen.

Sarkozy war übrigens der Innenminister, der 2003 den Vertrag von Touquet unterschrieb. Seither ist Frankreich verpflichtet, für London in Calais praktisch die britische Grenze zu überwachen. Nun kündigt Sarkozy an, er wolle den Vertrag von Touqet aufkündigen und die Briten zwingen, selbst Lager für Flüchtlinge nahe Dover zu bauen. Der sozialistische Innenminister Bernard Cazeneuve warnt, dann drohe Chaos in Calais: "Selbst wenn wir unsere Grenze öffnen - das garantiert nicht, dass die Briten das auch tun." Und auf dem Meer drohten dann Tragödien, wie man sie schon heute vor den Mittelmeer-Küsten Italiens und Griechenlands beobachten kann.

© SZ vom 26.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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